KÜNSTLER ALLER LÄNDER, VERKAUFT EUCH! KARL MARX UND (S)EINE KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE.
Karl Marx (1818 bis 1883), der in Berlin 1886 im Kreis der Linkshegelianer seine philosophischen Impulse erhielt, hätte seine bittere Freude angesichts jener Händel der Moderne und all ihrer Post-Varianten gehabt. In seinem späten Werk – ausgehend von und in Abgrenzung zu bürgerlichen Nationalökonomen wie Adam Smith oder David Ricardo – widmete er sich detailliert der Kritik der politischen Ökonomie. Im Zentrum seines im Londoner Exil (seit 1849) unter dem programmatischen Titel Das Kapital (Band I 1867 und die Bände II und III posthum 1885 und 1894 von Marxens jahrelangem Mitstreiter Friedrich Engels herausgegeben) verfassten Hauptwerkes steht eine klare Analyse kapitalgesteuerter Produktionsverhältnisse, welche Weltgeschichte als ökonomische beschreibt, schreibt und schreiben wird.
Alles ist Ware. Ihr in der Marxschen Werttheorie nachgewiesener Doppelcharakter besteht einerseits aus einem Gebrauchswert – der stofflichen „Nützlichkeit eines Dings“ – und andererseits aus dem Tauschwert. Jener verselbständigt sich zum geldwerten Schein, verdrängt den Gebrauchswert vollständig und bezieht als Objekt der Begierde seine gesellschaftliche Allmacht. Nirgendwo ließe sich die mythische Aufladung des Ware-Geld-Fetischs besser erblicken als im Trash kulturindustrieller Massenware. Der genauere Blick ist gegen die Spielregel und steht unter Verbot.
Denn alles ist Warenzirkulation. Nur aus der permanenten Produktion, Konsumtion, Verwertung zum Mehrwert und dessen Akkumulation zum Kapital speist sich die zivilisatorische Existenz und deren Fortgang. Was bei Hegel noch Weltgeist, wird bei Marx zum sich in seiner Bewegung verwirklichenden Weltkapital „als ein mysteriöses Gesetz“ und einzige Realität. Was ökonomisch ein offenes Geheimnis, wird in der Kultur zur euphemistischen Verklärung. Mit der Aneignung der Natur wurde eine zweite artifizielle – die „unsichtbare Hand des Kapitals“ – in Herrschaft gesetzt. Das (Kultur)-Produkt hat sich seines Schöpfers bemächtigt. Das Argument der gesellschaftlichen Relevanz durch (ästhetische) Bedürfnisbefriedigung wird mithin als ideologisches desavouiert. Die Schallgeschwindigkeit der kursierenden (kulturellen) Aktien wird zum Lärm des Daseins.
Doch alles ist sich fremd. Marx weist uns auf die Ursache jener Herrschaft des Fremden schon in seinen Frühschriften – besonders in den in Paris entstandenen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844 – hin. Hier entwickelt er den Entfremdungsbegriff aus der Teilung der Arbeit heraus. Arbeit stellt bei Marx als „Selbstverwirklichung des Menschen“ eine zentrale utopische Kategorie dar. Doch gerade in ihrer abstrakten Form – und längst selbst zu rarer Ware geworden – zwingt sie uns zu blindem produzierend-konsumierendem Objekt-Dasein. Eine unmittelbar sinnvolle Beziehung zu sich selbst, zum Produkt sowie zu Welt und Umwelt rückt in fremde Ferne. Unter diesen Umständen bleibt auch dem Künstler nichts anderes übrig, als sich und seine Ware – wenn auch „mit Stil“ – zu Markte zu tragen.
Eine Armee kreativer Arbeitsknechte steht in ständiger Konkurrenz zueinander sowie im Dienst der monströsen Maschinerie des Kunstmarktes. Dass jener nur Teil des Weltmarktes ist, spricht nicht gerade für ein Behagen in der Kultur. Mit dem globalen Diktat einer Leitkultur oder eines international style trivialästhetischer Beliebigkeit wird jede Spur von traditioneller Kultur ausgelöscht – auch hier erweist sich Marx als Prophet. Im Rachen der Kulturmaschine verschwindet folgenlos alles irgend Verwertbare. Was nicht verwertbar ist, stapelt sich in den musealen Deponien und shopping malls des Kitsches zum Zwecke des Selbstkonsums. Im inszenierten Spektakel schafft man sich ein illustres und illustrierendes Alibi, das Verdrängung zur kulturellen Hochleistung macht. So wird die Kunst letzten Endes doch noch zum „nützlich Ding“. Die Totalität der Entfremdung findet im klaffenden Abgrund zwischen Kunst und Leben eine ihrer Entsprechungen.
Solch schlechte Unendlichkeit schien selbst Marx befremdlich. Für den teleologisch denkenden Geschichtsphilosophen war es das sich im Klassenkampf des Antagonismus immer bewusster werdende Proletariat, welches mittels einer Revolution die kapitalistische Gesellschaft zugunsten ihrer klassenlosen Variante ablösen soll. Im Manifest der Kommunistischen Partei (1848, gemeinsam mit Engels verfasst) umreißt er jenes Szenario historischen Fortschritts sehr narrativ. Auch Kunst und Kultur als Teilen des Gesamtprozesses gesteht er zu, sich in Dialektik mit den gegebenen Herrschaftsverhältnissen fortzuentwickeln und erst im Kommunismus zu wahrer Entfaltung zu gelangen.
Marx als Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft blieb uns eine Vorgeschichte der Entfremdung schuldig und entledigte sich mithin auch einer genaueren Prognose für das „Reich der Freiheit“. Vielleicht zu früh, in jedem Falle aber mit einem missverstandenen und instrumentalisierten Marx haben sich das Experiment Realsozialismus und die Arbeiterschaft als „revolutionäres Subjekt“ im Schlund des Kapitals längst ihre Gräber geschaufelt. Denn was gegenwärtig nach Entfaltung strebt, ist die perpetuierende Reproduktion einer Gesellschaft, deren Reichtum und Herrschaft sich aus einem gestörten Naturverhältnis und barbarischer Ausbeutung konstituieren und deren Kultur die perverse Sublimierung solcher Selbstbehauptung verkörpert. Die einfältigen aber wirkungsvollen Kapriolen des Kunstmarktes lassen ahnen, wie viel Spielraum bis zur Vollendung noch vorhanden ist. So gilt auch weiterhin: „Künstler verkauft Euch!“
Nun beanspruchen gerade die Vertreter der Kultur für sich den Status, Flüchtlinge aus entfremdeter Arbeit und hochrevolutionäre Akteure zu sein. Dem widerspricht die Radikalisierung und Legitimierung gesellschaftlicher Konflikte durch deren ästhetische Aneignung und serielle Vervielfältigung. Revolutionäre Kunst und Kultur wären jene, welche die Bedingungen ihrer Produktion und Vermarktung nicht nur bebildern, sondern angreifen. Diesen – nicht marxistischen sondern – marxologischen Gedanken verfolgten z.B. die Kritische Theorie wie auch die Situationistische Internationale um Guy Debord weiter. Dass in dieser Tradition stehende künstlerische Haltungen und Angriffe existierten und existieren, ist nicht abzustreiten. Doch eine „unsichtbare Hand“ marginalisiert sie als marktuntauglich oder nimmt sie als neuen merkantilen Trend unter ihre Fittiche. Zurück bleiben davon neben einer romantischen Erinnerung an die Revolte haufenweise museale Wertpapiere.
„Karl Marx braucht keine Beine, keine Hände, sein Kopf sagt alles.“, so die Worte des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel, als er 1967 dessen monumentalen Bronzekopf für das ostdeutsche Karl-Marx-Stadt entwarf. Jüngst befiel den litauischen Künstler Deimantas Narkevièius die Idee, jenes Monument im heutigen Chemnitz abzubauen und es bei skulptur projekte münster 07 auszustellen. Die Stadt gab den Kopf nicht aus der Hand. Soll er ruhig in Chemnitz bleiben. Soll sich Narkevièius nicht ärgern. Marxens Gedanken verwirklichen sich auch so. Tagtäglich. Weltweit. Auch in Münster.
August 2007