artmap.com
 
PAULA BÖTTCHER
 

MOSKAU-BERLINER SCHATTENSPIELE KOMMENTAR ZUR AUSSTELLUNG "BERLIN-MOSKAU 1950-2000" IM MARTIN-GROPIUS-BAU BERLIN

Werte Moskauer Leser, Sie wissen schon alles über die Ausstellung "Berlin-Moskau 1950-2000". Sie wissen wer ausstellt, was ausgestellt wird, und in welchen Mengen wie Unmengen. Sie wissen viel über Moskau, auch über Berlin und über die Zeit zwischen 1950 und 2000. Und ich wage zu behaupten, Sie wissen vielleicht mehr darüber als die Kuratoren selbst. So viele Werke, wie zur ersten Station dieses teuren Prestigeprojektes angehäuft wurden, so viele Kritiken flossen auch darüber aus den Federn. Dennoch wurde ich gebeten, einen kleinen Bericht nach Moskau zu senden, (vor)herrschende Meinungen und Stimmungen weiterzuleiten. Ich bin keine Marktforscherin und habe auch keine Meinungen eingetrieben. Ich möchte nicht einen verbalen Gang durch die überfüllten Räume dieser Ausstellung wiederholen, um Ihnen diese teure Materialschlacht nochmals nahe zu bringen. Gestatten Sie mir statt dessen eine Aneinanderreihung kleiner Begebenheiten, Episoden im Zusammenhang mit dieser Ausstellung. Anhand dieser und kleiner eingeworfener persönlicher Bemerkungen wird sich eine Meinung kristallisieren, die als universell hinzustellen nicht meine Absicht ist, welche ich aber durchaus mit Zeit- und Denkgenossen geteilt weiß.

Moskau – Berlin: Brücke oder Graben?

Etwa genau zwischen der ersten und zweiten Pressekonferenz zu "Berlin-Moskau 1950-2000" besuchte ich eine Diskussionsveranstaltung in der Akademie der Künste zu Berlin mit dem Titel „Wohin fährt die Troika?“. Russische und deutsche Geisteswissenschaftler und Ökonomen durften sich öffentlich zu den Gegebenheiten und Perspektiven deutsch-russischer Beziehungen äußeren. Arroganz herrschte auf beiden Seiten. Die Deutschen riefen den Russen in ihrer noch immer – und: wie lange noch? – währenden Selbstherrlichkeit zu: Nehmt erst einmal unsere Werte und Gesetze an, dann werden wir Euch auch einer europäischen Zugehörigkeit für würdig erachten. Die Russen schrieen zurück: was sollen wir mit Euren veralteten, morschen Werten und Gesetzen? Wir haben Euch längst überholt. Bei uns herrscht der Hyperkapitalismus. Wir brauchen Eure Werte und Gesetze nicht mehr. Für jemanden, der nach wie vor an eine Brücke zwischen der deutschen und der russischen Bevölkerung glaubt und daran baut, ist es, als würden beide Stühle zwischen denen man versucht, sitzend Halt zu finden, gnadenlos weggerissen werden.
Wohl sind Russland und Deutschland Gemeinsamkeiten zueigen: Beide Völker sind zutiefst kulturelle Völker. Beide Völker sind Barbaren. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die Russen sind leidenschaftlich, die Deutschen leidenschaftslos. Die Russen füttern ihre Monster und leben mit ihnen, die Deutschen verdrängen sie, wie Ludmila Ulitzkaja auf oben erwähntem Podium so treffend formulierte.
Was bedeutet dieser Ausgangspunkt für eine Ausstellung wie "Berlin-Moskau 1950-2000"? Ein auf die Tagesordnung der Kulturpolitik gesetztes Unterfangen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Nicht weil ein solches Projekt für die Kulturen beider Seiten und deren Verständigung keinen Sinn ergeben würde, sondern weil der Wunsch nach Austausch, Annäherung und Auseinandersetzung miteinander ein nicht ernst gemeinter war. Dieses Unterfangen hätte nur dann eine Chance gehabt, wenn man herrschendes Desinteresse und seine Ursachen zum Thema gemacht hätte und den Monstern in die Augen geschaut hätte.
Aber: Man spürte in aller Öffentlichkeit der Realisierung Eiseskälte, Missverständnisse und Unverständnis zwischen den Machern der Ausstellung zugunsten eigener Interessen und Selbstbehauptung. Wo liegen aber diese eigenen Interessen?
"Berlin-Moskau 1950-2000" hätte eine Behandlung von fünf Systemen, deren Verstrickungen und deren Knoten gefordert: Die Sowjetunion, die Deutsche Demokratische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, das postsowjetische Russland und das wiedervereinigte Deutschland. Gesellschaften, die auf ganz eigene Weise von Ökonomie oder Ideologie diktiert wurden/werden. Und somit auch deren kulturelles Bewusstsein. Es hätte eine Kulturgeschichte geschrieben werden müssen, welche die fragilen Fäden dieser Systeme zu einem Teppich spinnt, der eine Geschichte erzählt, die Chance eines lesbaren Bildes ermöglichen könnte. Statt dessen wurden ausgefranste, schmerzlich abgerissene Fäden nebeneinander gehangen, um die Forderung nach einer solchen Ausstellung schnell abzuhaken.
Joachim Satorius, Indendant der Berliner Festspiele und geistiger Begründer dieser Ausstellung benennt sie als „Projekt der Hoffnung“ und als Beginn eines tabufreien Umganges mit trennender Geschichte. Und behauptet: Europa ist ohne Moskau nicht mehr vorstellbar. Wenn ein Herr Satorius das sagt, kann man ihm diese Emotionalität und diesen idealistischen Denkansatz glauben, weil er auch in seiner Haltung und Handlung diesen vertritt, wenn auch mit wenig Rückenstärkung.
Pawel Choroschilow, der russische Staatskurator wies deutlich und ehrlich auf die bis zur letzten Minute währenden Diskrepanzen zwischen beiden Kuratorenteams hin. Nicht alles, was geplant war, wurde realisiert. Die Ausstellung zieht nur in gewissen Bereichen Bilanz. Ein Geständnis, dass es Träume gab, die Schäume waren, weil es Gegner dieser Träume gab.
Der einzige, der ein lesbares, authentisches Statement in zwei Teilen zur Lage der russisch- deutschen Beziehungen abgab, war Wladislaw Mamyschew-Monroe, einer der aus Moskau angereisten Starkünstler: Zur morgendlichen Pressekonferenz erschien er perfekt verkleidet: als Adolf Hitler. Zum abendlichen VIP-Empfang verführte er als L.P. Orlowa und war die schönste Frau des Abends...

Konzept ohne Konzept

Nach der ersten Pressekonferenz zu "Berlin-Moskau 1950-2000" im Frühjahr dieses Jahres blieben Jubelrufe seitens der Presse aus. Vorsichtshalber hing man deswegen an den herausfordernden Ausstellungstitel den kleinen Nachtrag „von heute aus“ an. Eine Absicherung gegen genaues Hinsehen, sowohl zurück als auch nach vorn.
Zur Eröffnungspressekonferenz fielen den Herren Kuratoren noch mehr solcher „Vorwarnungen“ ein: Man wäre von einer „Erklärung“ der deutschen und russischen Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgekommen, zugunsten einer Präsentation derselben ohne Kommentare, ohne Benennung eines Kontextes, in dem sie geboren wurde. Die Kunstwerke hätten für sich selbst zu sprechen. Man wolle keinen Wettkampf zwischen Nationen und Künstlern, keine Erstellung nationaler Helden (Choroschilow). Eine kulturhistorische Methode, diese Ausstellung zu realisieren, war für das Anliegen dieser Ausstellung nicht mehr brauchbar und eine „wiederholte Nacherzählung von Geschichte“ funktioniere nicht. Bei der Suche nach dem und Präsentation dessen, was in den „Lagern“ existiere, wäre es unmöglich, „wissenschaftliche Zeitgeistbegriffe“ zu finden. Stattdessen habe man alternativ Themenbegriffe gefunden, welchen die Werke zugeordnet werden.
Was ist nun das Ergebnis eines solchen (un)kuratorischen Ansatzes, der dem Betrachter als pompöse Werkschau präsentiert wird? Was passiert, wenn man durch die in Schubladen aufgeteilten, konzept- und kontextlosen Räume des Gropiusbau flaniert?
Die Schubladen wurden voll geladen, damit bloß nicht der Eindruck geistiger Leere entsteht. Dem Betrachter und den Werken selbst wird durch die Überladung die Luft zum Atmen genommen. Eine durch die angeblich wohldurchdachte Dramaturgie der Schubladen und ihres Inhaltes gewollte Möglichkeit einer Orientierung wird zum Nonsens. Viele gute und wichtige Werke (besonders aus der Sowjetunion und aus dem postsowjetischen Russland) fanden ihren Weg in den Gropiusbau, doch bleibt ihnen durch die unsinnige Präsentation und durch die noch unsinnigeren Zusammenhänge, in die sie gewaltsam gepresst werden, jegliche Möglichkeit zur Sprache und zur Selbstbehauptung verwehrt. Nicht einer Arbeit wurde der Raum gewährt, in welchem sie hätte eine Aura entfalten können, in welchem die Arbeit eine Möglichkeit zur angeblich gewünschten Redefreiheit hätte. Der Betrachter steht vor einer sprachlos schreienden „Materialschlacht in Petersburger Hängung“, ohne Struktur, ohne Rhythmus.
Was passiert nun in diesen “40 Räumen beispielhafter thematischer Konstellationen aus aktueller Sicht“? Dem verwirrten Betrachter, besonders jenem, für den die deutsche und russische Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder Teile ihrer ein noch nicht allzu bekanntes Terrain ist, werden diese Werke nicht nur aus höchst unsinnigen sondern auch aus teilweise falschen und verklärenden Zusammenhängen heraus vermittelt. Hierzu drei Beispiele, die für sich selbst sprechen:
Einem Raum wurde der Begriff “Politisch engagierte Kunst” zugeordnet und dort findet man folgende Werke: Pablo Picassos „Massaker in Korea“ und “Frau mit Blumenstrauß”, Willi Sittes “Studie zu Lidice” sowie Wolf Vostells “Maya in Gold”. Wenn man bedenkt, dass eine jede künstlerische Äußerung wenn nicht als engagierte, so doch zumindest als politische Position zu werten ist, kann solch ein Räumchen nur als ein schlechter Scherz verstanden werden. Dass aber ein nicht geringer Teil der in den restlichen Schubladen zu findenden Werke – auch und besonders im russischen Teil – eines politischen Engagements nicht entbehrt, die Kuratoren aber nicht nur einen Spanier sondern auch noch Frauenbildnisse zur Lückenfüllung politischen Engagements heranziehen, ist schlicht und einfach eine Anmaßung.
Ein anderer Raum nennt sich “Disput über die Kunst”: Es disputieren Gerhard Richter, Marcel Broodthaers mit Wladimir Jakowlews „Disput über die Kunst“ Die in anderen Zusammenhängen sehr achtenswerte Arbeit von Broodthaers ist so platziert, dass ein wertfreies Betrachten von Jakowlews Bild rein physisch unmöglich ist. Was hier geschieht ist eine ganz offizielle Attacke gegen den sozialistischen Realismus, das schwarze Schaf der Ausstellungskonzeption, das man gern unter den Kuratorentisch hätte fallen lassen.
Gleich zu Beginn der Ausstellung fällt der Besucher in den Raum der “Rethorik des Erhabenen” und wird angeschrieen von Barnett Newmans „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau”. Begleitschutz erhält Newmans erhabenes Meisterwerk von Fjodor Bogorodskis „Ruhm den gefallenen Helden“, Komar & Melamids „Ursprung des Sozialistischen Realismus“ und Andreas Gurskys fotografischer Wiedergabe einer Riesenleinwand von Jackson Pollock. Im Zusammenhang mit dem unerklärlichen Auftauchen von Künstlern und Werken der amerikanischen und westeuropäischen Kunstszene hallen mir noch Erklärungen seitens der Verantwortlichen im Ohr, wie zum Beispiel jene unseres Generaldirektors der Sammlung Preußischer Kulturbesitz zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, auf der ersten Pressekonferenz: „Wir freuen uns, die Neue Nationalgalerie als einen der Hauptleihgeber der Ausstellung Moskau Berlin zu wissen. Ein zentrales Werk der Ausstellung wird eine Arbeit von Barnett Newman aus unserem Besitz sein. Nun wird sich wohl manch einer fragen, was eine Arbeit von Newman in einer Ausstellung mit dem Titel ‚Moskau-Berlin’ zu suchen hat – ich sag es Ihnen: Barnett Newman ist einer der wichtigsten Künstler der Avantgarde und seine Arbeiten hätte es nicht gegeben ohne die russische Ikonenmalerei.“ Das ist so bodenlos, dass es keines weiteren Kommentars bedarf.

Die grauen Eminenzen und ihre Jünger

Auf der Pressekonferenz zur Eröffnung ließ sich Herr Schuster zu noch mehr Blödsinnigkeiten folgenden Wortlautes hinreißen: “In einer Stadt, wo es eine Stalinallee gibt, ist man in Moskau; in einer Stadt, wo eine Arbeit von Barnett Newman die Flagge der Nationalgalerie ist, befindet man sich auch in New York.” Als die Berliner Stalinallee in Karl-Marx-Allee umbenannt wurde, hat Herr Schuster wahrscheinlich gerade im Schulunterricht den Siegeszug der amerikanischen Postmoderne vorbereitet. Glücklicherweise schmückte er seine nicht nachvollziehbaren Bemerkungen mit dem dreimal wiederholten Ausruf: “Diese Ausstellung ist monströs!” Das war zur Abwechslung niedlich und erheiternd.
Jürgen Harten, der Kurator der deutschen Seite, relativierte den Größenwahn Schusters: „Es gab weder Zeit, Mittel noch Notwendigkeit, an die legendäre Moskau-Berlin-Ausstellung von 1995 anzuschließen. Deswegen wird das Publikum angenehm enttäuscht sein. Wir mussten wählen: Kunst oder Kontext.“ Wenn all dem so ist, dann hätte man das magere Budget von 5 Millionen Euro vor 2 Jahren auch wahllos an bedürftige Künstler in Russland und Deutschland verteilen und sie bitten können, ihre Werke zum Oktober 2003 im Gropiusbau zu installieren, aber bitte kontextlos! Harten resümiert: Es gibt zwischen Berlin und Moskau viele Differenzen in den Denkansätzen und in den gesellschaftlichen Strukturen, aber: Wir wollen zusammen kommen!“ Es tönt wie ein billiger, auswendig gelernter Werbeslogan.
Nicht irrsinnige, aber bedenkenswerte Worte kamen aus dem Munde des russischen Staatskurators Pawel Choroschilow: „Die Ausstellung wurde von der Politik bestellt.“ Auf Russisch zakazali. Dieses Phrase hört man jetzt oft in Russland. Besonders in den unzähligen billigen Fernsehserien, in welchen groß angelegte Geschäftemacherei, Korruption und versnobte Kriminalität eine neue gesellschaftliche Ästhetik und Moral diktieren und die kaltblütigen Killer (wir Deutschen nennen sie noch immer voller Respekt die Mitglieder der russischen Mafia) zu den Robin Hoods der postsowjetischen Gesellschaft gekrönt werden. Und dort sagt man, man bestellt die Mafia. Gut, und jetzt wurde eben eine Ausstellung bestellt. Die Wahl auf dieses Wort fiel nicht umsonst. Auch hier offenbaren sich korrupte Verbandelungen, Entscheidungen, Vereinbarungen hinter den Kulissen – die mit einem ernsthaften kulturpolitischen Anliegen weniger zu tun haben als mit ganz gezielten Interessen grauer Eminenzen im Hintergrund. Choroschilow nennt hier die Politik. Sie können die Auftraggeber nennen, wie Sie wollen. Choroschilow setzte mit Drohungen aus dem kriminellen Milieu fort: „Das Publikum wurde rechtzeitig gewarnt.“ Womit er die erste Pressekonferenz ein halbes Jahr vor Ausstellungseröffnung meint. Wovor wurde ein Publikum gewarnt? Und warum sollte ein Publikum gewarnt werden? Damit wurde Enttäuschung von vornherein eingeplant und einem Aufbegehren soll der Wind aus den Segeln genommen werden.
Was zu einem gewissen Grade auch gelang. Die deutsche Presse reagierte verhalten, die Ausstellung wurde zwar nicht bejubelt, aber immerhin als nicht angreifbar besprochen. Die deutsche Kunstszene reagierte wie gewohnt leidenschaftslos und von den russischen Künstlern schimpften nur jene, die in der Ausstellung nicht berücksichtigt waren. Einzig eine junge Frau begehrte zur Pressekonferenz auf: Anstelle dieser kontextlosen Nebeneinanderstellung hätte man auch eine Ausstellung mit mexikanischen Webarbeiten und polnischer Keramik zeigen können. "Berlin-Moskau 1950-2000" ist nichts als Amnesie! Es gab keine einzige ernsthafte Reaktion darauf seitens der Kuratoren, diese Frau wurde einfach ignoriert. Choroschilow beschloss die Pressekonferenz mit den selbstherrlichen Worten: „Wir haben die Ausstellung so gemacht, wie wir sie gerne machen wollten.”

Eine kleine Verschwörungstheorie

Es wurden 5 Millionen Euro in eine Schlacht zusammen gewürfelten, unreflektierten Materials geschmissen. Da man in Berlin an Kulturpolitik solcher Art gewöhnt ist, wäre dies zu verschmerzen, wenn die Ausstellung beispiellos und folgenlos wäre. Dann könnte man die Kuratoren und ihre Handlanger als unfähig beschimpfen und seiner Wege gehen. Das Problem liegt aber anderswo: Es scheint, dass jene, die sich für diese Großschau verantwortlich zeichnen sollten, von vornherein von anderen Plänen und Zielen geleitet wurden als ein ehrliches und aufschlussreiches Bild davon zu erstellen, was in den letzten 50 Jahren in zwischen Moskau und Berlin passiert(e) oder eben nicht passiert(e). Nennen wir das Kind beim Namen: In meinen Augen wurde versucht, auf ziemlich skrupellose Art und Weise Kunstgeschichte zu verklären und neu zu schreiben. Und zwar „The American Way“ und seinen Supermarkt der trivialen Ästhetik zum einzig Wahren zu ernennen. Und was da nicht hinein passt, wird diskriminiert – in legaler oder illegaler Form. Es wird entweder ausgeklammert oder lächerlich gemacht. Die westdeutsche Kultur ist davon durchsetzt und beherrscht. Die deutschen Ausstellungsmacher sind – ob bewusst oder unbewusst – allesamt Diener von Guggenheim & Co.
Noch immer und immer wieder versucht das sowjetische und neurussische Imperium, sich dem gegenüber zu behaupten. Es hätte gute Karten gehabt, dieser postmodernistischen Maskerade andere Modelle von Geschichte und Kunst aus dem Gestern und Heute entgegen zu setzen. Schade eben nur, dass eine Utopie bereits scheiterte, dass unter widrigen Umständen entstandene Bilder neben „Rot, Gelb, Blau“ farblos erscheinen und Radikalität in weißem Neonlicht weichgespült wird, und dass Positionen wie Haltungen sehr oft auch nur käufliche Ware sind.
Darin liegt eine Tragödie unserer heutigen Kultur, auch eine von "Berlin-Moskau 1950-2000". Die Gefahr liegt beim Spiel mit dem Publikum, das ein Spiel mit Masse ist. Scheinbar wird bei dieser Masse ein Vorwissen und eine Fähigkeit zur Differenzierung vorausgesetzt. Deswegen verzichtet man großzügig auf einen Kontext in dieser Ausstellung. Aber man weiß, dass ein Publikum in Berlin nicht alles wissen kann und nutzt diesen Tatbestand, um einen vermeintlichen Sieg zu verteidigen. Den Sieg Amerikas über die Sonne. Nur zu gut erinnere ich mich noch an einen weiteren bezeichnenden Satz von Peter-Klaus Schuster: „Der ‚Sieg der Sonne’ von Gerhard Merz ist eine Absage an Malewitsch. Die Wunderkammern der Utopien sind leer gefegt.“
Bleibt noch ein hoffnungsvoller Fakt, der weder eines Wunders noch einer Utopie bedarf: Die Sonne geht nach wie vor im Osten auf. Und die Hoffnung, dass zumindest ein Teil der Ausstellungsbesucher diese Show mit einem Blick betrachtet, der jenseits von Opportunismus angesiedelt ist und zu differenzieren weiß. In dem Sinne, lieber Moskauer Leser, dürfen Sie gespannt sein auf Station Nummer zwei des Ausstellungsprojektes "Berlin-Moskau 1950-2000" im Frühjahr 2004 in der Tretjakow Galerie zu Moskau. Auf Teil zwei des Kampfes um die Sonne und des leidenschaftslos begonnenen Brückenbaus zwischen Moskau und Berlin. Im Zuge des deutsch-deutschen Brückenbaus fiel oft der Satz: “Was zusammen gehört, wächst zusammen.” Zur Moskau-Berliner Version fällt mir ein: Was nicht zusammen gehört, muss sich ja nicht zwangsläufig gegenseitig das Licht auslöschen.

Paula Böttcher, Oktober 2003


Abbildung: Wladislaw Mamyschew-Monroe
„L. P. Orlowa nach einem schöpferischen Treffen mit Matrosen des legendären Kreuzers ‚Aurora’während ihres Gastspiels in Leningrad. 1936“, 2000, s/w Fotografie, Kugelschreiber auf Karton, 42 x 29, 7 cm
© Wladislaw Mamyschew-Monroe / XL-Galerie, Moskau / courtesy Trilistnik, Moskau