ZWISCHEN AKKULTURATION UND RESTAURATION. STIPPVISITE IN BUDAPESTS KUNSTSÄLEN.
Schwarz fließt die Duna in Richtung Süden, die Lichter der Zentren von Buda und Pest hinter sich lassend. Mit einem Mal erscheint am Pester Ufer in dunkler Peripherie der Stadt ein leuchtender Koloß postmoderner Architektur: neonfarbene Energieverschwendung in gigantomanischen Dimensionen aus Beton und Glas. Welcome to the Millennium City of Budapest! Hier soll „Europas neue kulturelle Hochburg der Zukunft“ entstehen und eine Public Private Partnership setzte mit dem Palace of Arts vor zwei Jahren den Grundstein. Er beherbergt neben Konzertsaal, Theater, Vortrags- und Kinosälen, Cafés und Buchläden auch das Ludwig Museum. A Mall of Culture. Eine Shopping Mall für den Kulturkonsum. Solch Kulturschick scheint an der „Neuen Welt“ bislang vorübergegangen...In der ersten Etage des Museumsteils ist dem ungarischen Maler Ákos Birkás eine sehenswerte Ausstellung mit Arbeiten von 1975 bis 2006 gewidmet. Birkás verließ Ungarn 1985, lebte und arbeitete in verschiedenen Städten Europas. Vor allem seine professionelle Rückkehr vor vier Jahren fiel schwer. Daß ihm dennoch eine große, retrospektive Ausstellung gewidmet wird, ist seiner internationalen Bekanntheit und dem Engagement Einzelner zu verdanken. Man gewinnt Einblick in den nach Werten und Formen suchenden Weg eines Künstlers zwischen den Fronten des Kalten Krieges, der Euro-Vision und der neuen Kriege. Seine Bilder malen nach, was trotz allgemeiner Sprachlosigkeit und medialer Kakophonie des Festhaltens wert scheint. Als der Künstler durch die Ausstellung führte, fragte eine der wenigen ungarischen Anwesenden nach zwei Minuten, ob er sich nicht etwas beeilen könne, sie möchte noch ins Konzert... Wird Birkás jenseits der Rolle des Exoten im eigenen Land einen festen Ort in der ungarischen Kunstszene finden? Kann diese sich unter aktuellen Bedingungen selbst finden?
Wie seine Gesellschaft schwankt auch die kulturelle Landschaft des Magyarenlandes zwischen Anpassung und Restauration. Ein Phänomen, welches Ungarn mit all seinen osteuropäischen Nachbarn seit der Wende teilt. Die Euro-Phorie hat längst nachgelassen und Euro-Vision bedeutet eben auch hier nichts anderes als den Kampf eines jeden um einen jeden Euro. Raum für Kunst? Gespalten, zersplittert und an eine nicht nur geographische Peripherie verlagert, sucht eine ungarische Kunstszene nach ihrem Topos, ihrer Identität. Wenn Staatsauftrag und dessen Gegenspiel obsolet werden, wenn eine bildkünstlerische Tradition jenen anderer Künste nicht das Wasser reichen kann, wo und wie definiert man dann das Eigene, das dazu auch noch euro-tauglich, also marktfähig sein müßte?
Mit dem Aufstieg der „neuen“, also neureichen Ungarn konnte sich allmählich ein nationaler Kunstmarkt entwickeln, der aber eben nur „Nationalkunst“ fördert. Da man nicht genau weiß, was ungarisch aussieht, kauft man, was ungarisch klingt. Dies nutzten Kunstfunktionäre der mittleren Generation, um sich innerhalb dieses Marktes zu etablieren und die ungarische Kunst in der Charakterlosigkeit zwischen Neo-Abstraktionismus, restaurativem Symbolismus und hausbackenen Landschaften zu verankern. Der Spiegel dieser Hermetik sind die Budapester Galerien. Die Blicke nach außen und jene von außen sind verstellt. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Knoll Galéria. Der Wiener Galerist Hans Knoll eröffnete 1989 als erste Privatgalerie nach der Wende in Budapest seine Dependance. Seitdem versucht er, die magyarische Selbstisolation zu durchbrechen, organisiert Touren durch Budapester Ateliers, macht ungarische Künstler in Wien und darüber hinaus bekannt und bringt Neues, Anderes zum Liszt Ferenc tér. Wie zum Beispiel das (hochpolitische) Wagnis der aktuellen Ausstellung Gatekeepers, welche junge und radikale Positionen der russischen Kunstszene vorstellt.
Und wo sind die jungen Ungarn? Die machen lieber Kohle mit Design. Der Rest hat die Wahl, entweder in die opportunen Fußstapfen der Lehrer zu treten oder den Ausbruch zu wagen. „Draußen“ müssen sie sich wiederum Vorgaben anpassen, jenen des internationalen Marktes. Diesen Spagat von Herkunft mit Zukunft schaffen nur die wenigsten. Wenn sie Glück haben, dürfen sie ihre Internationalität bei nationalen Shows beweisen. Man denke zum Beispiel an die aktuelle Ausstellung Lost and found in Baden-Baden im Rahmen des deutsch-ungarischen Kulturjahres, welches insgesamt die These von Akkulturation und Restauration bestätigt. Oder manche Künstler können noch ein Plätzchen bei den auf Ostmitteleuropa fokussierten Ausstellungsprojekten ergattern. Doch mit zunehmendem Alter der Europa 27 dürfte auch dieser Bonus irgendwann aufgebraucht sein.
Neue, andere Wege? Doch die können sich nur die kooperativ oder institutionell abgesicherten Kunsthäuser leisten. Neben dem Ludwig Museum schreibt sich auch die Kunsthalle (Mücsarnok) auf die Fahnen: „We are contemporary!“ Dreamlands Burn - Nordic Art Show oder Man in the Machine - Media Art and History nennen sich die Ausstellungen, die Zeitgeist in die Donaumetropole zu bringen gedenken. Als eine der innovativsten Institutionen erscheint neben Knoll die trafó Galéria, welche mittels konzeptioneller Ausstellungsprojekte von in- wie ausländischen Kuratoren die ungarische mit der internationalen Szene vernetzt und andere, vor allem neue inhaltliche Schwerpunkte setzt. In der aktuellen Ausstellung The Country of the Endangered Body (Hungary) untersuchen ein rumänischer, ein österreichischer und ein deutscher Künstler das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft zur Politik. Dem Trend von konzeptioneller Sozialkritik wird hier gehuldigt, leider jedoch nicht den lokalen Problemen – und davon gibt es genug – zugeführt. In diesem Sinne wird wieder nur eine neue, alte Strategie zur Eroberung eines theorielastig und pseudokritisch getarnten Marktes bedient: nämlich auf der lukrativen Spielwiese der Diskursfähigkeit nach westlichem Muster mitzutümmeln. Hier wie da wie überall beißt sich der Goldesel der schönen Künste in den eigenen Schwanz.
Eine eiskalte verregnete Sonntagnacht senkt sich über das einst vitale Budapester Stadtzentrum. Zwischen den todsanierten Fassaden schleichen auf leeren, dunklen Straßen schemenhaft die Obdachlosen mit Plastikplane und Einkaufswagen auf der Suche nach einem halbwegs trockenen Nachtquartier. Eine Kunstaktion? Nein, die bittere Realität. Und der Nimbus der Palaces of Arts leuchtet fern von dieser Wirklichkeit.
Anke Paula Böttcher 01/2007