artmap.com
 
PETRA REICHENSPERGER
 

CURATORIAL SOAP EINE UNTERHALTUNG ZWISCHEN DIRCK MÖLLMANN UND PETRA REICHENSPERGER ÜBER WIDERSPRÜCHE, GESTEN UND AUTORSCHAFTEN


Ein Auszug aus der Publikation "NEVER TRUST A CURATOR", hg. von Petra Reichensperger

Welche Aufgaben und Handlungsspielräume haben heute Kuratoren? Würde man beginnen den Kurator mehr als Autor zu begreifen, was könnte er dann bewirken? Wo liegen die üblichen Kuratorenfallen? Und was wird eigentlich in Gang gesetzt, wenn ein Künstler bzw. eine Künstlerin kuratorisch arbeitet?

DM
(...) Nützt es der Kuratorin Idealistin zu sein?

PR
Ich glaube, für die Arbeit von Künstlern wie von Kuratoren ist Idealismus eine grundlegende Voraussetzung.

Die Komplexität der gemeinsamen wie unterschiedlichen Tätigkeiten werden bereits deutlich, wenn man sich die drei Grundtypen von Ausstellungen vor Augen hält: die monografische Einzelpräsentation, die Themenausstellung und die Intervention im Außenraum.

Entscheidend daran ist, dass sich mit dem gewählten Ausstellungsformat nicht nur die Rollen, die Autorenkonstruktionen und die Aufgaben des Kurators verändern, sondern auch der erforderliche Einsatz: der damit zusammenhängende Idealismus und die Menge der Interessen der Beteiligten.

DM
Eine Berufsbezeichnung funktioniert wie ein Sortiment: sie identifiziert mit einem gesellschaftlichen Status, der mitunter einschüchtert oder lockt und manchmal auch verlacht wird. Die Rahmung als „Kurator” wird zwar gerne, salopp gesagt, wie ein selbst gestrickter Status eingesetzt, als freier Kurator zum Beispiel, ist aber mit einer bestimmten Begriffsgeschichte verbunden.


(...) Die Ausstellung bildet eine thematische Klammer, die das Einzelwerk umgreift, insofern wies Sigrid Schade darauf hin, dass die Funktion des Kurators auch über die Anerkennung von etwas als Kunst mit entscheidet. Bestenfalls läuft das auf eine „Win-Win-Situation“ hinaus, keine Frage aber, wer zumeist am „längeren Hebel” sitzt, nämlich der Kurator am Regler für das öffentliche Feld (PR- und Öffentlichkeitsarbeit, Vermittlung, Publikation etc.).

(...) Gleichwohl zehrt der Kurator immer auch von der Zuschreibung anderer: Sie stärkt das Privileg der Kennerschaft und ist hilfreich an der Schnittstelle zwischen Kunst, Geld und Vermittlung, um Kulturprodukte zu vermarkten. Aber wer benötigt dieses Privileg? Eine Antwort wäre: Die „Sache”, und damit wäre die obige Frage geklärt: sowohl Künstler wie Kurator nützt es, Idealist zu sein, um sich der Sache zu verschreiben und sich mit ihr zu identifizieren.

Dem Idealbild (je-idéal) einer Sache als meiner Sache lässt sich zwar spätestens seit Lacan nicht mehr trauen, zumindest spielt die Lust an der Sache dabei eine Rolle. Aber konkreter: Filomeno Fusco, dein Vorgänger am M.1 in Hohenlockstedt, ist selbst Künstler und Kurator. Als erster Künstlerischer Leiter hat er das Konzept der 2007 eröffneten Arthur Boskamp-Stiftung, jährlich wechselnde Kuratoren das Ausstellungshaus mit Residenzstipendien aufbauen und bespielen zu lassen, praxistauglich ausgearbeitet und umgesetzt.

Welche Erfahrungen hast du mit diesem Konzept gemacht, dem die „narzisstische Kränkung“ von Anfang an innewohnt, dass die eigene Aufbauarbeit nach relativ kurzer Zeit von anderen weitergeführt, verändert, aufgegeben oder missachtet wird? Kuratieren ist ein elitäres Privileg, ein Alleinstellungsmerkmal, das man produktiv nutzen kann. Lässt es sich auch vergemeinschaften, selbst transformieren, abtreten an andere und wieder neu ergreifen? Wie sähe eine Curatorial Soap aus?

PR
Eine Curatorial Soap fände ich großartig. Wo führte das hin, wenn Kuratoren sie inszenieren? Sie ihre eigenen Ambitionen und Triebstrukturen gegen den Strich lesen? Sie die ökonomischen Bedingungen und sozialen Zusammenhänge hinterfragen, in denen genau diese eine Ausstellung entstehen konnte und jene andere, die ein mindestens genauso interessantes Konzept hatte, sich gar nicht oder nur als Torso verwirklichen ließ? Sich über die eigenen Ansprüche und die der Kollegen lustig zu machen, macht außerdem Spaß.

(...) Noch empfinde ich die Staffelübergabe an die neue künstlerische Leiterin nicht als Kränkung, was damit zu tun hat, dass die erste Vorsitzende und Gründerin der Stiftung Ulrike Boskamp von Anfang an klar kommuniziert hatte, dass ich diese Position zwar nur für 18 Monate innehaben würde, dafür aber auch größtmögliche Handlungsfreiheit habe und in der wichtigen Aufbauphase Weichen stellen könne.

Die Autorenrolle, die du angesprochen hast, ist weitaus kniffliger. Zum einen ist die Arthur-Boskamp Stiftung noch nicht hinreichend als interessante Stipendiatenstätte und spannender Ausstellungsort bekannt, als dass sie gegenwärtig selbst eine Autorenfunktion einnehmen könnte. Gleichzeitig schwächt ihr hochtouriges Rotations-Modell im Vergleich zu anderen künstlerischen Leitern von Kunstvereinen, Stiftungen und Museen die eingesetzten Personen eher.

Und das auch im Fall von Filomeno Fusco und mir – obwohl insbesondere wir als die ersten gemeinsam mit Ulrike Boskamp und dem Team intensive Aufbauarbeit für das Haus geleistet haben. Das mag auf den ersten Blick unfair scheinen. Muss es aber vielleicht gar nicht sein. Denn das Konzept scheint bewusst die Setzung eines Autors in Frage zu stellen. Die Überschreibungen und Modifizierungen sind also nie persönlich zu nehmen.

Deine Anregung, dies als einen Akt der Vergemeinschaftung zu lesen, greife ich gerne auf. Die lateinische Etymologie des Wortes, legt das sogar nahe: „Cum“ bedeutet „zusammen“, und „Munus“, „eine Gabe, eine Schuld, ein Mangel“. Robert Esposito hebt in seinen Reflexionen über die „ursprüngliche Gemeinschaft“ hervor, dass gerade sie an unsere Andersartigkeit, die ein grundlegender Teil von uns ist, erinnert.

DM
Das ist ja gerade das Unerträgliche, man ist immer von anderen abhängig, will aber nicht mit jedem gemeinsame Sache machen. In diesem Metier führen in der Regel nur Originalität und Distinktion zu Ruhm und Ehre. Das ist wie bei Künstlern. Auch der Kurator eignet sich die Fähigkeit und kreative Macht an, aus „Etwas“ „Das“ zu machen, das heißt aus der Zusammenstellung heterogener Artefakte einen Sinn zu ziehen. Zu dem Part des „Auteurs“, Inhalte zu generieren, gesellen sich mittlerweile aber weitere Verpflichtungen, nämlich durch Verdichtung, Transparenz, Sozial- und Steuerungstechnologien andere wie sich selbst zu motivieren, möglichst reibungslos das Beste aus sich raus zu holen.

(...) Zum Erwerb und Nachweis solch eines sinnstiftenden Privilegs gehört die kuratorische Konzeption, die entweder stringent nachvollziehbar macht, warum dieses und jenes so und nicht anders beisammen ist, oder die genau solch eine objektivierende Weise der Kunstbetrachtung untergräbt und eine assoziative Teilhabe der Beschauer einfordert. So oder so wird eine Ausstellung selbst zum Medium, sie macht (hoffentlich) eine Absicht erkennbar und lässt über deren Sinn streiten. Die Balance zwischen jenen widerstrebenden Interessen zu finden, ist also immer ein Akt der Vergemeinschaftung, der sich an der Sache orientiert und ein Ziel hat.

(...) Toll an Kunst ist doch, dass sie solche Fragen virulent hält, also in der Schwebe. Ihre Wahrhaftigkeit findet sich lediglich in der Souveränität, keiner der Antworten auf diese Fragen zu genügen. Sie ist unterbestimmt, produziert Missverständnisse und wird sowohl von der betrachtenden Theorie als auch der handelnden Praxis verfehlt, anders gesagt, wenn’s nicht klappt und dennoch geht: ästhetisch, ökonomisch, sozial, dann ist das interessante Kunst.

(...) Abhängigkeit von anderen – „communauté“ kann so unromantisch sein.

PR
Mich stört weniger die Abhängigkeit von anderen und die damit einhergehenden Verpflichtungen gegenüber den involvierten Interessengruppen, mit denen Kuratoren konfrontiert sind, als die Abhängigkeit von ökonomischen Zuwendungen. Die Höhe des Budgets bestimmt maßgeblich darüber, unter welchen Bedingungen Kuratoren arbeiten und wirken können.

Sie ist es, die relativ unabhängig von der kuratorischen Haltung darüber entscheidet, in welchem Umfang Arbeiten von Künstlern für Ausstellungen neu produziert werden können, wie ausgefeilt ein Ausstellungsdisplay umgesetzt werden kann, und ob professionelle Öffentlichkeitsarbeit inklusive Anzeigen überhaupt möglich ist. Es ist der hegemoniale Diskurs, der hier hineinwirkt.

(...) Diese duale Förderpraxis trägt maßgeblich dazu bei, dass Ausstellungen und Kuratoren Gefahr laufen, instrumentalisiert zu werden und längst nicht jede avancierte, spannungsreiche Ausstellung ihr Potential entfalten kann.

(...) „System“ im M.1 war so konzipiert, dass es sich zum einen an eine Ausstellung in Akten annäherte und zum anderen die Bedingungen des Ausstellens selbst reflektierte. Im Vergleich mit einer gestischen Ausstellung wie etwa Marcel Duchamps verschnürter Ausstellung „First Papers on Surrealism“ oder Collier Schorrs „Freeway Balconies“, die vor zwei Jahren im Deutschen Guggenheim stattgefunden hat, kommt sie allerdings weder an deren Eigensinn noch an deren Konsequenz heran.

(...) Was mich daran fasziniert, ist, dass diese Ausstellungen eine ästhetisch erfahrbare kuratische Geste voraussetzten, die sowohl in der Lage ist zu verunsichern, als auch Zeugnis einer individuellen Handschrift abgibt.

Beide Gruppenausstellungen wurden von Künstlern gemacht und stellen interessanterweise den Kurator als Autor ins Zentrum. Als Ausstellungen haben sie nicht zuletzt wegen dieser Setzung und wegen ihres gestischen Charakters das Potenzial, Geschichte zu schreiben.

Seit meiner Assistenz an der Hamburger Kunsthalle habe ich mich immer wieder gefragt, ob Künstler bereits durch ihren zugeschriebenen Sonderstatus als nonkonformistische, innovative, kreative Persönlichkeiten und den damit einhergehenden zugestandenen größeren Freiraum ihre kuratorische Vision besser gegenüber den Künstlerkollegen wie auch den Hütern der Institution durchsetzen können .. .Vielleicht lässt sich diese Frage produktiv machen, in dem man sie mit dem filmischen Auteur kurzschließt, den Peter Wollen als einen „unbewussten Katalysator“ beschrieb, der „ein Netzwerk verschiedener Äußerungen, die sich gegenseitig überkreuzen und widersprechen" in Gang setzt.

DM
(...) Ich finde ihn für unseren Zusammenhang ganz passend, weil das Teamwork des Kuratierens eher den organisatorischen Anforderungen für einen Regisseur ähnelt als dem Autorenstatus eines Literaten. Ulf Wuggenig hat interessanterweise bereits vor ein paar Jahren für die partielle Rehabilitierung der Autorschaft nach ihrer Totsagung plädiert. Er argumentiert soziologisch und fordert eine Kritik, wenn nicht gar die Dekonstruktion der Rolle des Rezipienten als Kunden der Kunst.

(...) Im Hinblick auf die Autorfrage ließen sich da einige Beispiele erfolgreicher Störversuche nennen. Deswegen würde ich die eitle Aufgabe des Auteurs im Wettkampf um die Blicke und Gedanken der Betrachter nicht aufgeben.

PR
Natürlich, für den Kultur- und den Kunstbetrieb wäre es fatal, auf die Rolle des Auteurs in einem arbeitsteiligen Prozess von Netzwerken mit vielen Beteiligten und umfangreichen Möglichkeiten zu verzichten. Schließlich impliziert der Begriff eine moderierende, editierende und qualitätssichernde Sprecherposition

(...) Gerade aufgrund dieser Funktionen fügt er sich jedoch bestens in die seit den neunziger Jahren voranschreitenden Prozesse der ökonomischen Kulturalisierung und der kulturalisierenden Ökonomie ein.

(...) Doch kehren wir zurück zur Geste, die eng mit der Strategie der Individualisierung verbunden ist, und die wiederum eng mit dem Autor verknüpft ist: Welche Funktionen kann jemand überhaupt erfüllen, der auf die Geste, also auf die symbolische Handlung setzt?

(...) Dass eine gestische Ausstellung bis heute ein Ringen um die Autorenfrage zwischen Künstlern und Kuratoren hervorruft, hängt zum einen damit zusammen, dass der Begriff des Künstlers sich am wenigsten von der Krise des Autors hat infizieren lassen. Zum anderen gilt das Werk eines Autors nicht nur als seine Schöpfung, sondern auch als sein Eigentum, das Identität stiftet und seine soziale Position definiert.

Und so kehren mit einer gestischen Ausstellung, die von einem Kurator konzipiert wurde, fast schon zwangsläufig die Grabenkämpfe um die Hoheit der Handlungsspielräume von Ausstellungen wieder, wie sie etwa der umtriebige Diskursivitätsbegründer, „geistige Gastarbeiter“ und „sensible Kunstliebhaber“ Harald Szeemann mit Künstlern wie Daniel Buren und Robert Smithson anlässlich der heute legendären documenta 5 geführt hat.

Zumindest solange sich die meisten Künstler trotz veränderter Produktionsprozesse, transdisziplinärer Praktiken, intertextueller Diskurse mit dem modernen mythischen Künstlerbild identifizieren, scheint der Clash in vielen Fällen vorprogrammiert zu sein.

Besser und zeitgemäßer wäre, wenn Künstler und Kuratoren in Gruppenausstellungen stärker als bisher Hand in Hand arbeiten würden. Denn darin liegt die Chance, eine Geste zu lancieren, die eine intensive ästhetische Erfahrung und eine Erschütterung des bisherigen Systems, das zur Instrumentalisierung von Kultur und Kunst neigt, ermöglicht.

DM
In der Hamburger Kunsthalle, wo ich freiberuflich gearbeitet habe, hatte ich lange Jahre mit einem Dinosaurier von Ausstellungsmacher zu tun.

(...) Wichtig sind mir die gemeinsamen Projekte „SNAFU“, über das mediale Missverstehen, und „MANSON 1969“, die sich der Zweischneidigkeit radikaler Haltungen und Handlungen widmeten. Beide Themenausstellungen sind von impliziter Gewalttätigkeit, ohne über sie zu rechten, und die lehrreiche Arbeit an ihnen war vom „Autorenkampf“ hinter den Kulissen geprägt. Autorschaft hat ihre guten Seiten.
(...)