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PETRA REICHENSPERGER
 

INSIDE & BEYOND BOXES FALLING THROUGH SPACE (EIN TEXTAUSSCHNITT)

Patrick Ireland wurde als Brian O’Doherty 1935 in Irland geboren und lebt seit 1957 hauptsäch¬lich in New York. Er hat seine Kunst immer als Bestandteil konkreter, gesellschaftlicher Kon¬stellationen verstanden. Das zeigte z. B. seine Reaktion auf die Ereignisse, die als „Bloody Sunday“ in die irische Geschichte eingegangen sind. Im Januar 1972 wurden im nordirischen Derry bei der Auflösung einer Protestdemonstration 13 Menschen von britischen Sonderein¬heiten erschossen. Aus Protest gegen die britische Nordirlandpolitik veröffentlichte O’Doherty daraufhin seine Kunst nicht mehr unter eigenem Namen, sondern, in Anspielung auf einen im katholischen Inselstaat bis heute verehrten Nationalheiligen namens St. Patrick, unter dem Pseudonym Patrick Ireland.

Bekannt geworden ist O’Doherty vor allem durch seine Analysen zur Genese und Krise des White Cube, die er 1976 in der Textsammlung „Inside the White Cube. Notes on the Ideology of the Gallery Space“ analysiert hat. Spätestens seit den 1990er Jahren gelten sie als „Klassikertext“ und als „something of a users manual for artists“. Was diese Essays bis heute so lesenswert und kontrovers macht, sind die ihnen eigene assoziative Sprache und die darin dargestellten Zusammenhänge zwischen Ökonomie, Raumpolitik und Kunst. O’Doherty argumentiert dafür, dass sich im White Cube „etwas von der Heiligkeit der Kirche, etwas von der Gemessenheit des Gerichtssaales, etwas vom Geheimnis des Forschungslabors“ mit dem Display verbinde, um in „einem einzigartigen Kultraum der Ästhetik“ zu münden.

Seine Dubliner Retrospektive „Beyond the White Cube. A Retrospective by Brian O’Doherty / Patrick Ireland“ bot in 2006 die Möglichkeit, seine Texte zu seiner eigenen künstlerischen Praxis konkret ins Verhältnis zu setzen. Erst kürzlich hat O’Doherty wieder betont, dass die Kunst seit dem 20. Jahrhundert einen institutionellen Charakter habe, der eng mit dem White Cube – als Rahmung und Diskurskategorie – zusammenhänge. Nun aber ruft er schon im Titel seiner Ausstellung ein „Jenseits“, ein „Beyond The White Cube“ aus.

„Wenn wir die weiße Zelle nicht einfach loswerden können, dann sollten wir versuchen, sie zu verstehen”, schrieb er 1976. Genau diesen Versuch unternimmt er auch in seinen künstleri¬schen Arbeiten, die über weite Strecken eine große Affinität zur Concept(ual) Art zeigen. Sie reichen von Bild-Text-Kombinationen wie „Past, Present, Future: Portrait of the Artist Aet. 7“ oder „Aspen 5+6“, beide von 1967, über performative Anordnungen wie die „Ogham Sculptu¬res“, die seit den 1970er Jahren entstanden sind und die die Vektoren NOW, HERE und ONE zueinander in Beziehung setzen, bis hin zu aktuellen ortsspezifischen Raumarbeiten wie „Rope Drawing“ oder „Labyrinth“.

Das Labyrinth, das vor dem Museum in Dublin platziert war, also buchstäblich „beyond the white cube“, hatte seinerseits kubische Formen und verwies so – in der Selbstreferenz des Kubischen – als skulpturale Anordnung im Außenraum auf das komplexe Verhältnis zwischen den Konventionen und den Grenzen des Ausstellungsbetriebs, der stets ein Innen, aber eben deshalb auch stets ein Außen hat. Diese durch die Kunst immer wieder aufs Neue zu ver-räumlichenden und dabei zu verschiebenden Grenzen waren von Beginn an das zentrale Thema von O’Dohertys künstlerischer wie theoretischer Praxis. So ging diese temporäre Arbeit nicht nur deshalb über den institutionellen Ausstellungsraum hinaus, weil sie im Außenraum positioniert war, sondern auch, weil sie die Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf sich als ein ausgestelltes Objekt lenkte. Sie ließ den Rezipienten vielmehr nach dem eigenen, buchstäblich räumlichen Standpunkt fragen: Bin ich hier innen oder außen?

Diese Focussierung auf Kunst als eine Art Ver-räumlichung der Grenze, oder anders ausgedrückt, der Dialektik von Innen und Außen, begegnete dem Zuschauer auch „inside the white cube“ in der Präsentation und Aufführung von „Aspen 5+6“ wieder: einer verzweigten, ihrerseits labyrinthischen, multimedialen Box, die O’Doherty rückblickend als seine “one-man show for that year” bezeichnet hat. In einem Ausstellungsraum konnten die Besucher wie in einem Archiv zwischen verschiedenen Aufnahmen des Konvoluts wählen. Dabei eröffneten die Anordnungen wechselseitige Perspektivierungen räumlicher Zonen, die durch die Reichweite und Frequenzen vornehmlich von Sound und Film gebildet wurden. Gleichzeitig waren Lesungen von Robbe-Grillet, Samuel Beckett und Marcel Duchamp zu hören, die sich mit Sounds von John Cage und Morton Feldman überlagerten; darüber hinaus konnte man bewegte Bilder von Hans Richter, Robert Rauschenberg oder Láslzó Moholy-Nagy sehen, aber auch Modelle von Tony Smith und Sol LeWitt sowie ein „Structural Play“ von Brian O’Doherty selbst. Ihm ging es bei der Zusammenstellung darum, Beiträge sowohl in ihrer inneren Struktur als auch in ihrem Zusammenwirken zu erfassen.

Sein spezifisches Interesse am räumlichen Intervall hat auch den Ausstellungsparcours von O’Dohertys umfassender Retrospektive bestimmt. Insbesondere die Bewegungen des Bedeutens, die durch das mehrdimensionale verzweigte Netz von Korrespondenzen zwischen den über 100 ausgestellten Arbeiten entstehen, lassen den „Möglichkeitssinn“, der den Künstler so fasziniert, deutlich hervortreten. Möglich ist hier stets beides: Kontextualität und Autonomie, die Kontingenz des Offenen und die Notwendigkeit des Geschlossenen, Ordnung und Desorientierung. Das wird nicht nur deutlich an dem Umstand, dass sich O’Doherty bis heute mehrere Pseudonyme zugelegt hat, die eine kohärente Erzählung verunmöglichen und dennoch eine eigenständige Biographie ausmachen. Es wird auch deutlich an einem Werk wie The Sorrows of Z, einer kleinformatigen Papierarbeit von 1968, die erneut den Kubus als eine ebenso geordnete wie labyrinthische Struktur aufgreift. Die mit Wasserfarbe bemalten in sich verschachtelten Kuben sind hier kombiniert mit einem Text, den der Künstler mit Tusche direkt unter die grauen Graduierungen geschrieben hat: “He did not know where he was. How long he had been there, he had no idea (...). He did not know that he was suspended in a box and that the box was encased in another and yet another. There were five boxes, increasingly regularly in size. They kept out every sound, every light, every touch and smell. He did not know that the boxes were falling through space, as he has one imagined himself falling. And since space is infinite, he fell endlessly.”

In der Sichtbarmachung dieser Doppelheit und ihrer Verschachtelung – der Kontingenz des Offenen und der Notwendigkeit des Geschlossenen, des Äußeren und des Inneren – liegt sicherlich eine der Stärken der Ausstellung. Insbesondere das Labyrinth im Außenraum sowie die performativen Versuchsanordungen im Museum lösen den Anspruch einer Inszenierung auf Gegenwärtigkeit und Originalität ein. Denn der Besucher ist mitten im Geschehen (inside), aber in gewisser Weise auch außen vor (beyond). Dadurch entsteht, zusammen mit O’Dohertys Essays und trotz des ausbleibenden Tabubruchs, ein transformiertes Verständnis und ein lohnendes Ereignis von Ausstellung, das die Dubliner City Gallery The Hugh Lane ausgerichtet hat. Um so mehr darf man darauf gespannt sein, wie sich das Spannungsverhältnis zwischen Inside & Beyond the White Cube am zweiten Ausstellungsort, der Grey Art Gallery in New York, 2007, neu konstituieren wird.