MELDUNGEN VOM HINTERLAND (EIN TEXTAUSSCHNITT)
Die beiden Künstler, Stian Ådlandsvik & Lutz-Rainer Müller, kennen sich seit ihrer gemeinsamen Akademiezeit in Oslo. Ihre Vorliebe für Raumerkundungen, ihre Faszination an Unterbrechungen und ihre Überzeugung, dass Raum durch Bewegung entsteht, hat dazu geführt, dass sie hin und wieder künstlerisch zusammen arbeiten. Während Ådlandsvik durch Sensibiltät und Organisationstalent besticht, fällt bei Müller sofort seine Intuition und Unvoreingenommenheit ins Auge. Neben ihrer Leidenschaft künstlerisch um die Ecke zu denken, haben beide ein Faible für Senf, Hamburg und Tanz.
In vier Jahren hatten sie Gelegenheiten, sich so gut kennen zu lernen, dass sie sich nicht nur gegenseitig in ihrer Verschiedenheit anerkennen und respektieren, sondern sie vertrauen sich mittlerweile blindlings. Sie sprechen in drei Sprachen mit einander. Manchmal gestikulieren sie auch einfach nur, spielen Darts in ihrem Studio oder hecken Ideen aus. Ideen gibt es bei ihnen zu Hauf: Manche sind flüchtig dahin geworfen, andere sind auf Papier festgehalten, einige sind in Modelle eingeflossen. Ihre Haltung „It is already there, anyhow! More digging than adding is important“ flackert in all diesen unterschiedlichen Entwürfen immer wieder auf.
Neben der Freude an Ideen haben sie großen Spaß daran, als eingespieltes Team aufzutreten und Rollen vom laughing/struggeling/sleeping artist zu performen. YOU ONLY TELL ME YOU LOVE ME WHEN YOU'RE DRUNK ist ihr drittes gemeinsames größeres Projekt. Und selbstverständlich kommen auch hier ihre sich ergänzenden Persönlichkeiten zum Tragen. So kommen die Befragung der Verhältnisse von normierter Architektur und persönlichem Erlebnisraum, die Durchführung notwendiger Planungen und das Einräumen von Kontingenz gleichermaßen zum Zuge.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, wirklich innovative, experimentielle Kunst markiert keinen ausschließenden, exklusiven Gegensatz, sondern einen individuellen Unterschied. Einen Unterschied, den die beiden Künstler in ihren gemeinsamen Arbeiten maßgeblich durch das Sich einlassen auf das Nichtwissen produktiv machen. Die Unvorhersehbarkeit der verschiedenen Entwicklungsphasen, die ihr aktuelles Projekt durchlaufen hat, haben die Künstler nicht nur bejaht, sondern auch als Qualität interessiert. Strukturiert haben sie die Dynamik, indem sie YOU ONLY TELL ME YOU LOVE ME WHEN YOU'RE DRUNK von Anfang an auf eine konzeptuelle Grundlage mit offenem Ende gestellt haben.
Nachdem klar war, dass ein simples Wohnhaus aus den nicht gerade glamourösen fünfziger Jahren auf der Insel Askøy zugunsten eines profitablen Investmentprojekts abgerissen werden sollte, sahen sie die Chance, es für ein künstlerisches Projekt zu nutzen. Die Herausforderung lag für sie darin die räumende Kraft des Raumes selbst auszuloten: „der Raum räumt“, so die Losung Martin Heideggers. Und er ergänzt: „Räumen heißt roden, freimachen, freigeben ein Freies, ein Offenes. Insofern der Raum räumt, Freies freigibt, gewährt er erst mit diesem Freien die Möglichkeit von Gegenden, von Nähen und Fernen, von Richtungen und Grenzen, die Möglichkeit von Abständen und Größen.“
Einen Raum einzuräumen, heißt demnach nicht, in ihm Dinge zu platzieren, sondern ausgehend von den Dingen und ihren Orten Raum zu eröffnen und zu denken. Genau das scheint mir, Stian Ådlandsvik & Lutz-Rainer Müller, in ihrer Transformierung eines Hauses in eine temporäre, nicht begehbare Skulptur zu tun. Sie lassen sich nicht in den Sog der bizarren Intimitäten und Verschrobenheiten, die das Innere des bis vor kurzem bewohnten Hauses in sich geborgen hat, einlullen, sondern das Einräumen geschieht hier als Dekonstruktion des Hauses. Bagger legen dafür nach Handlungsanweisungen Teile der Bausubstanz und der architektonischen Struktur frei, so dass räumlichen Anordnungen und die damit einhergehenden Vorgaben an das Wohnen zutage treten konnten und in ihrer normierenden Konstruktion reflektierbar werden.
Mit dieser Intervention setzen die Künstler das Haus als Heimisches, Schutz-Gewährendes außer Kraft und legen eine andere Seite des Häuslichen, nämlich seine Fragilität und seine Unbehaustsein – als ein Moment des Unheimlichen – frei. Sie tun das ohne Nostalgie und Sentimentalität. Indem das Interieur weder sichtbar noch zugänglich ist, bleibt ein Aspekt von Räumlichkeit entzogen. Die spannende Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Wie verhält sich unter diesen Bedingungen Ort, Raum, Skulptur mit der Idee der Autonomie und der Teilhabe?