PROJEKTRÄUME IM WANDEL 1976-2007
Dabei galt noch im Frühjahr 2006 als ausgemacht: Die Projekträume sind die Basis, an der entsteht, was Kunst aus Berlin international bekannt gemacht hat. Damals listeten die drei Kuratoren der „4. Berlin Biennale” rund 20 unabhängige Kunstorte auf ihren Internetseiten, um ein größeres Publikum darauf aufmerksam zu machen. Und fast zeitgleich brachte das Rotterdamer Künstlermagazin „Fucking Good Arts” in seiner Berliner Sondernummer eine Liste mit 36 Berliner Ausstellungsorten, die von Künstlern geleitet werden. Mit Begriffen wie Kooperationen, Partnerschaft, Dialog, Ortsspezifität, Gastfreundschaft und Netzwerke, so hieß es da, charakterisierten die Betreiber ihre Projekträume. Sie wollen die Kunst zwar auch verkaufen, aber den Markt nicht unbedingt hofieren.
Projekträume sind informelle Netze, die Künstlern die Möglichkeit bieten, zu eigenen Bedingungen am Kunstbetrieb teilzunehmen. In preisgünstigen Räumen, meist leerstehenden Ladenlokalen, Containern und Vitrinen, aber auch in Kellern und Wohnungen, können die Initiatoren ihre Vorstellungen von Kunst realisieren. „Ich mache einen Raum von Künstlern für Künstler”, sagt Thomas Kilpper von After the Butcher und lächelt: „Weil der bewaffnete Kampf gescheitert ist”. In Projekträumen haben Berufsanfänger die Chance, sich bemerkbar zu machen, und Fortgeschrittene den Freiraum, auszuprobieren. „Man muss sie pflegen, jede Empfindung von Unabhängigkeit”, sagen Julia Pfeiffer und Roseline Rannoch von Montgomery. Dank ihrer Unabhängigkeit, so die bisherige Annahme, entsteht in Projekträumen Unvorhersehbares.
Diese Freiheit hat Tradition. Besonders in den 70er und 90er Jahren, als der Kunstmarkt daniederlag, gaben die Betreiber der Projekträume den Ton an und bestimmten den Diskurs. Sie galten als Förderer transdisziplinären Austauschs und als so wendig, dass sie auf jede Veränderung und noch so kleine Strömung unmittelbar reagieren konnten. Berühmte Bespiele dafür waren das Büro Kippenberger in Berlin (1978-1980) und die Hamburger Buch Handlung Welt (1976-1983), die Kunst, Literatur, Musik, Tanz und Super-8-Film zusammenbrachten. Für das Berlin der 90er Jahre wiederum war das Büro Friedrich wegweisend, das mit Unterstützung der niederländischen Regierung ein internationales Programm zeigte, wie es damals in der Hauptstadt noch rar war.
Montgomery, After the Butcher, emyt, Espace Surplus, A trans Pavilion, General Public, Sparwasser, Forever and a Day Büro und Jet: Die Liste der Projekträume ist noch immer lang. Doch je mehr Bedeutung der wachsende Kunstmarkt insgesamt erhält, desto stiller ist es um sie geworden. In diesem Kunstherbst galt die ganze Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit den Galeristen, Händlern und Sammlern. Eine Eröffnung jagte die nächste: Publikum, Kuratoren und Kritiker sind von der Menge der Ausstellungen längst überfordert, auch wenn die Qualität der Ausstellungen nicht immer mit der Quantität mithalten kann.
Hier läge im Grunde die Chance der Projekträume. Die Dichte sämtlicher Ausstellungen fordert Unterscheidbarkeit, Diversifikation. Doch sich von der Masse abzugrenzen, gelingt längst nicht allen. Wenige sind in ihrem Programm so entschieden wie After the Butcher oder setzen auf Überraschendes wie General Public in der Schönhauser Allee, wo Kunst, Performances, Musik und Gespräche zusammenkommen. Projekträume der jüngeren Generation dagegen verzichten oft auf das Szenische, Performative und Experimentelle. Offensichtlich sorgt gegenwärtig die Angst, etwas falsch zu machen dafür, dass kaum Unkalkuliertes erprobt wird.
„Bei Künstlern und Publikum hat sich das Interesse verändert. Dem Thema Kommerzialisierung haben wir uns ernsthaft stellen müssen”, sagt Martin Städeli, der in der Brunnenstraße den Projektraum Wand Boden Decke, kurz WBD, mitbetreute: „ein Fan- und Liebhaberprojekt”, wie er sagt, „und das sollte es auch bleiben, beziehungsweise wieder werden, sollten wir die Auszeit beenden”. WBD schloss 2006, genau wie Capri am oberen Ende der Brunnenstraße, ausgerechnet in dem Jahr, als die Off-Szene in aller Munde war. Was lag da in der Luft?
Projekträume kommen und gehen, nicht zuletzt, weil sie mit Kosten und vor allem mit viel Arbeit und Engagement verbunden sind und trotz vieler Anträge nur geringe öffentliche Förderung erhalten. Irgendwann stehen die Initiatoren vor der Entscheidung, entweder eine Verkaufsgalerie daraus zu entwickeln oder ihre Aktivitäten einzustellen. Und doch war 2006 ein besonderes Jahr. Die drei Kuratoren der 4. Berlin Biennale luden zur Eröffnung einer Dependance der berühmten Galerie von Larry Gagosian aus New York in der Auguststraße. Doch die entpuppte sich am Eröffnungsabend als Persiflage. Das Kuratorentrio hatte Gagosians Namen und Design für ein kleines Ladenlokal gekapert, das fortan im Rahmen der Biennale kleine Gastausstellungen präsentierte. Das Ganze war ein ironisches Spiel mit dem „massiven Drang nach Identifizierbarkeit”, wie Martin Germann von der Berliner Gagosian Gallery rückblickend sagt, „und den damit verbundenen Marketingstrategien”, etwa einem permanentem Namedropping, das auch in der Projektszene in den vergangenen Jahren immer stärker geworden sei.
Tatsächlich grenzen sich nur wenige Projekträume strikt vom Markt ab, etwa, indem sie Alter und Lebenslauf des ausstellenden Künstlers, die ebenfalls über Marktchancen entscheiden, nicht nennen. Häufiger ist das Gegenteil der Fall: Projekträume präsentieren sich zunehmend mit Arbeiten, Ausstellungsdesign und Preislisten ähnlich wie Galerien und machen sich damit für das breitere Publikum ununterscheidbar. Und umgekehrt nähern sich auch viele Galerien dem Kunst-Underground an. Fast gehört es schon zum guten Ton, dass Galerien von Haunch of Venison über Peres Projects und Volker Diehl bis Arndt & Partner einen zusätzlichen „Project Space” für Experimentelleres unterhalten oder ihre auswärtige Dependance „Projektgalerie” nennen. Es lohnt, solche hybride Formen zu beobachten. Doch für die Projekträume wird es nicht zuletzt ihretwegen schwieriger, etwas zu bewegen.