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PETRA REICHENSPERGER
 

WEN KÜMMERT'S, WELCHE KUNST IM ÖFFENTLICHEN AUFTRAG GESCHIEHT? DIE AUSEINANDERSETZUNG, ÜBER DAS, WAS KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM SEIN KANN, IST IN OSTEUROPA UND ZENTRALASIEN MIT DEM PROJEKT «RAUM FÜR RAUM» ANGESTOSSEN

Petra Reichensperger ist künstlerische Leiterin der Vorspannphase des Projekts „Raum für Raum“, die in Almaty, Jerewan, Kaliningrad, Minsk, Nowosibirsk, Taschkent, Tiflis und Uljanowsk stattfindet.

An Kunst im öffentlichen Raum fasziniert sie das Ausloten vom ästhetisch eingeräumten Raum und künstlerischen Interventionen. Das spannungsvolle Verhältnis von partizipativer Einbindung und Autonomie, sozialen Anliegen und Subjektivität, raumbildender Kunst und Öffentlichkeit bestimmen dabei den Rahmen, in dem Künstler und alle weiteren Beteiligten des Projektes agieren. Die Frage, was Kunst im Zuge der rasant um sich greifenden privatisierenden Öffentlichkeiten ausrichten kann, lässt sich ihrer Meinung nach insbesondere mit Public Art erproben.

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Irina Posrednikowa:
Du bist gerade für das Projekt „Raum für Raum“, in dem es um Kunst im öffentlichen Raum geht in Nowosibirsk – wie kam es dazu?

Petra Reichensperger:
Bis Dezember vergangenen Jahres hatte ich die künstlerische Leitung für das M.1 der Arthur Boskamp-Stiftung inne, die sowohl Ausstellungsräume unterhält als auch Stipendiaten fördert. Ursprünglich wollte ich danach, vor allem die Zeit nutzen, um anzufangen, wieder ein neues Buch zu schreiben – das Letzte liegt schon sechs Jahre zurück. Aber dann kam unverhofft das Angebot vom Goethe-Institut Nowosibirsk, das das Projekt koordiniert.

Da mich Themen rund um den Raum bis heute interessieren, ich den Ansatz eines mehrphasigen Projekts, das in diesem Fall einen interkulturellen Austausch, einen freien Wettbewerb und einen ausstellenden Part umfasst, spannend finde und ich gerne reise, musste ich gar nicht lange nachdenken, um zuzusagen.

IP:
Was genau ist deine Aufgabe?

PR:
Im Wesentlichen stelle ich immer wieder Möglichkeiten heraus, bringe Menschen zusammen und spreche mich für bestimmte Verfahren aus. Denn damit „Raum für Raum“ entstehen kann, braucht es nicht nur einen Ort, sondern auch eine Gruppe von Personen, die bereit sind, Bedingungen auszuloten, unter denen ästhetisch eingeräumter Raum und Eingriffe in den öffentlichen Raum entstehen kann. Mir ist wichtig, dass an den derzeit beteiligten Orten Experten, Künstler, Kulturproduzenten und Entscheidungsträger die Möglichkeit haben, sich darüber auszutauschen, was heute Kunst im öffentlichen Raum sein kann, was für den jeweiligen Ort heute relevant ist und morgen aktuell sein kann.

Für das Gelingen des Projekts ist es aus meiner Sicht grundlegend, in jeder dieser acht Städte die Teilnehmer der thematischen Workshops nicht Hand zu verlesen. Als erstes gilt es gemeinsam zu recherchieren, welche Bedürfnisse wer hat und wie diese sich bisher visuell und räumlich niederschlagen. Im nächsten Schritt geht es dann um das Entwickeln von Strategien der Raumaneigung und um Entwürfe von Möglichkeitsräumen, die den bisherigen öffentlichen Raum unterbrechen, erweitern oder auch kommentieren.

IP:
Wie realistisch schätzt du die Umsetzung dieser Ziele ein?

PR:
Mein Verständnis von „Raum für Raum“ wandelt sich mit jedem Monat. Zu Beginn habe ich mir vor allem das Potenzial ausgemalt, gemeinsam sich anzusehen was der jeweilige Raum selbst vorgibt, Unterbrechungen der Aufteilung parzellierter Öffentlichkeiten herbeizuführen und diese anschließend in einer gemeinsamen Publikation zusammenzuführen.

Nach und nach erkenne ich aber auch inhaltliche, organisatorische und logistische Herausforderungen, die strukturell mit einem regionalen Goethe-Projekt dieser Größenordnung verbunden sind. Durch die teilweise schwierige politische Situation in Zentralasien und Osteuropa erfüllen z. B. nicht alle an der Vorspannphase beteiligten Orte die Anforderungen eines solchen mehrdimensionalen und zeitintensiven Projektes, das spätestens in der Phase der offenen Ausschreibung und der Umsetzung von Projektvorschlägen öffentliches Verhandeln und heterogene Öffentlichkeiten voraussetzt.

Es wird sich daher im Anschluss an die Vorspannphase zeigen, wo tatsächlich ein freier Wettbewerb in aller Konsequenz und mit vollem Einsatz durchgeführt werden kann und wer Lust und Potenzial mitbringt. Ich bin gespannt.

IP:
Glaubst du, Kunst im öffentlichen Raum wird von den Leuten, mit denen du bisher gesprochen hast, richtig verstanden, oder verbinden sie damit etwas völlig anderes?

PR:
Ein kultureller Unterschied, der sich bereits jetzt abzeichnet und der auch Auswirkungen auf die Produktion von Kunst im öffentlichen Raum und die mit ihr verbundenen Diskursen hat, ist der historisch bedingte, voneinander verschiedene Umgang mit Autonomie und Ironie sowie mit politischer Aktion und künstlerischer Intervention.

Ein weiterer Unterschied scheint mir darin zu liegen, dass man z. B. in Nowosibirsk an den Kategorien „sub“ und „off“ ungebrochen festhält, während sie andernorts eher als regulierende Verfahren und Strategien mitgedacht, aber nicht buchstäblich als Handlungsanweisungen gelesen werden. Man darf also auch hier neugierig darauf sein, wie sich die Vorspannphase konkretisiert und später die Wettbewerbphase entwickelt.

IP:
Vielleicht erzählst du auch etwas darüber, wie du zur Kunst gekommen bist – und warum du dich ausgerechnet für Kunst im öffentlichen Raum interessierst?

PR:
Anfangs bin ich zur Kunst gekommen, weil ich sehr das Anrühren von Farbe mochte und Freude daran hatte, Raumbilder und Körperachsen schnell aufs Papier zu bringen. Aber auch die mit ihr verbundenen Ideale wie künstlerische Freiheit und Autonomie, die Herausbildung von Möglichkeitsräumen und Nischen, die Kunst erzeugen kann, haben mich früh fasziniert.

Die ernsthafte Auseinandersetzung, was künstlerische Interventionen im Außenraum alles bedeuten kann und auch welche Schattenseiten damit einhergehen können, kam erst viel später. Einerseits gibt es Arbeiten, die überzeugende eigenwillige Räume entstehen lassen. Andererseits gibt es viel zu viele Beispiele, in denen Kunst im öffentlichen Interesse instrumentalisiert wird.

Die Paradoxie, die insbesondere beauftragte Kunst eigen ist, finde ich aufschlussreich. Sie sagt viel über das sich ständig wandelnde Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit aus, das sich gerade ziemlich drastisch zugunsten von privaten Lufthoheiten entwickelt. Und genau deshalb ist das Projekt „Raum für Raum“ grundsätzlich wichtig, denn vor allem der öffentlich hergestellte Raum, wirkt sich unmittelbar auf unser Verhalten und unsere Lebensqualität aus.

An Kunst im Außenraum interessiert mich vor allem, dass sie das Potenzial hat, konkret auf räumliche Bedingungen mit Blick auf ihren gesellschaftlichen Ort zu reagieren. Da sie fast immer im öffentlichen Auftrag geschieht, ist sie imstande, Konflikte zu schärfen, genauso wie gerade sie manchmal in der Lage ist, Bedenken aus dem Weg zu räumen. Ihre Produktionsbedingungen und der ihr ästhetisch eingeräumte Raum muss unabhängig dieser beiden Verläufe immer wieder verhandelt werden. Dazu ist nicht immer jeder bereit, zumal das Verständnis, was unter Kunst im öffentlichen Raum zu verstehen sei, von jeher unscharf ist und die sich herausbildenden Akzente und damit die Ästhetisierungsstrategien ständig verändern.

IP:
Inwiefern haben sie sich verändert?

PR:
Nehmen wir z. B. das „Skulpturen-Projekt“ in Münster, das zum ersten Mal 1977 veranstaltet wurde und das alle zehn Jahre eine Überblicks-Ausstellung zu Public Art bietet. Bei der ersten Durchführung hat sich gezeigt, dass die mittlerweile in Verruf gekommene „drop sculpture“ zu diesem Zeitpunkt eine nicht gerade unbedeutende Rolle spielte. Eine Skulptur, die aufgrund ihrer Kontextunabhängigkeit genauso gut in einem Innenraum wie dem Museum hätte aufgestellt werden können. Eben eine „drop sculpture“, eine, die man einfach „abwirft“. Während keine zehn Jahre später bevorzugt ortsspezifische Arbeiten entwickelt wurden, die sich konkret mit der historischen Besonderheit und dem Gemacht-Sein von Räumen beschäftigen. Ende der 1990er war wiederum eine Tendenz hin zur Kunst als Dienstleistung zu beobachten. Kunst, die versucht, soziale Räume zu eröffnen, indem sie Interaktionen unter den Rezipienten und Partizipierenden fördert. Doch unabhängig der hier umrissenen drei Varianten haben sie alle gemeinsam, dass sie im öffentlichen Auftrag realisiert wurden.

IP:
Du hast schon viele Länder auf deinen Reisen kennen gelernt – wo ist Kunst im öffentlichen Raum stärker präsent als hier? Gibt es prinzipielle Unterschiede?

PR:
Da die Förderung und Realisierung von Kunst im öffentlichen Raum jenseits von Denkmälern und Brunnen doch sehr viel mit demokratischen Zusammenhängen und auch mit urbanen Räumen zu tun hat, ist sie bisher in westlichen Ländern sehr viel stärker anzutreffen, als in postsowjetischen.

Wie sehr sich in Osteuropa und Zentralasien die rasante Privatisierung öffentlicher Räume, wie sie seit zehn Jahren in Berlin zu beobachten ist, auswirken wird, kann ich im Moment noch schwer einschätzen. In Kachastan hat sie jedenfalls bereits zu Herausbildung von dutzenden mit Zäunen abgezirkelten Territorien in den Bergen geführt.

IP:
Welche Projekte beeindruckten und begeisterten dich am meisten?

PR:
Projekte, die mir besonders gefallen, sind solche, die nicht so einfach in den Dienst genommen werden können; solche, die um die Ecke denken. Hier zu habe ich schon einige tolle Entwürfe bei meinen Recherchen gesehen. Mich beeindrucken aber auch solche, die selbstreflexiv eine Metaebene eröffnen wie z. B. „Der Park für unerwünschte Skulpturen“ von Elmgreen & Dragset oder „Don’t miss a Sec“ von Monica Bonvincini.

Arbeiten also, die mehr mit Ironie und weniger mit Parodie spielen. Oder auch Projekte, die Nichtwissen als ästhetische und diskursive Qualität ausloten. Zum Beispiel hat Michael Sailsdorfer ein Projekt in Puhlheim initiiert, in dem er die Bevölkerung dazu aufgerufen hat, nach Gold zu graben, das er zuvor versteckt hat. Er führt damit ad absurdum, womit Public Art häufig beauftragt wird, die Förderung sozialer Einbindung der Bevölkerung in städtische Zusammenhänge.

IP:
Dein Aufenthalt in Nowosibirsk ist bald zu Ende. Was waren deine Vorstellungen von der Nowosibirsker-Kunst und deiner Reise zuvor und wie sind jetzt deine Eindrücke?

PR:
Positiv hat mich das große Interesse der relativ jungen Zuhörer und Teilnehmerinnen bei der ersten Projekt-Überblicks-Veranstaltung an der Nowosibirsker Akademie für Architektur und Kunst überrascht. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, ist, dass innerhalb der kleinen Kunstszene in Nowosibirsk das Motto, Kunst ist, was ein Künstler macht bzw. behauptet, weit verbreitet ist. Dass die Auseinandersetzung, was Kunst ist, öffentlich ausgetragen werden sollte, spielte in den ersten Gesprächen, die ich hier geführt habe, eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Das traditionelle Künstlerbild scheint noch recht unbeschadet zu sein und die Älteren kommen oft im Gewand eines Dissidenten daher. Auch bei meinen Ballett- und Konzertbesuchen ist mir aufgefallen, dass die hiesige Kulturszene, immer noch sehr traditionell geprägt ist, viel stärker, als ich es erwartet hatte. Aber genau um solche Korrekturen bin ich während meiner Arbeitsaufenthalte an fernen Orten dankbar.



Das Interview führte Irina Posrednikowa, Nowosibirsk, 4. Juni 2010