artmap.com
 
PHILIP TOPOLOVAC
 

DIVERSE ZIMMER VON PETER LANG 2011

Philip Topolovac erzeugt in seiner aktuellen Ausstellung ein Erinnerungsinterieur, eine Zeitmaschine, bestückt mit kriegsversehrten Artefakten, die er in den letzten Jahren auf Baustellen im Zentrum Berlins gefunden hat.
Bereits in bisherigen Arbeiten stehen Leerstellen und Zwischenräume, Unheimliches und Unbewusstes im Zentrum seines Interesses. So z.B. bei den in Wänden montierten Lochinstallationen, aus denen technische Apparaturen wuchern. Im jetzigen Projekt konzentriert er sich auf Löcher im städtischen Gefüge: Baustellen und Brachen, in denen er die Schichtungen der Vergangenheit entdeckt.
Entlang des ehemaligen Mauerstreifens werden rasant langjährige Baulücken geschlossen. Die Ergebnisse sind in ihrer Gestalt und Ästhetik durchaus ambivalent und fragwürdig. Geschichte wird ungeschehen gemacht und zugleich neu geschrieben - die Stadt als Palimpsest.

Im historischen Kern Berlins standen bis in die 40er Jahre des vorigen Jahrhundersts enge Straßenzüge. Die Bewohner lebten dicht an dicht in den typischen Mietskasernen. Dann kam das Flächenbombardement, die Vergeltung gegen das 3. Reich aus der Luft und die Viertel versanken in Trümmern und Asche.
Danach erstreckte sich hier oft Brachland, das mangels Geld oder Planung lange unbebaut blieb. Erst jetzt werden die Zahnlücken der Geschichte in hektischer Eile durch marodierendes Investmentkapital geschlossen. Den kurzen Zeitraum zwischen dem Aushub der Baugruben und der erneuten Versiegelung des Bodens nutzt Topolovac für eine Recherche nach der vergessenen Zeit. Die Habseligkeiten der ehemaligen Bewohner werden durch die Schaufeln der Bagger wieder zum Vorschein gebracht. Topolovac birgt die Objekte aus den zur Entsorgung bestimmten Schuttschichten.
Der Titel der Ausstellung, diverse Zimmer, der von einer im Schutt gefundenen Buchseite übernommen ist, bezieht sich dabei nicht nur auf die verschwundenen Häuser, aus denen die gesammelten Objekte stammen, sondern auch auf die Zeiträume, die zwischen damals und heute liegen - die unterschiedlichen Blickwinkel und letztlich die Frage nach dem, was wir als vergangene und gegenwärtige Realität empfinden.
Was von der zerreibenden Auslöschung eines Stadtquartiers blieb, sind schlichte Fundstücke einer Entropie der Zivilisation des 20. Jahrhunderts. Dem zerschredderten Pathos einer herbeigerufenen Nibelungenschlacht stehen die verrotteten Details kleinbürgerlicher Anrichten als letztes Gefundenes der Zeitspur gegenüber. Morbide erscheinen manche der Gegenstände und zugleich seltsam vertraut. Ein regungsloser Ventilator und ausgetrocknete Wasserhähne werden zu Symbolen ihrer selbst - ceci n ́est pas une pipe. An manchen Objekten wiederum scheint das Inferno spurlos vorbeigegangen zu sein. Sie wirken sauber und ordentlich, fast so, als kämen sie geradewegs aus Omas Küchenschrank.

Diese Artefakte, banale Bruchstücke untergegangener, verschwundener Biografien, werden in einer eigenen Architektur aufgehoben und neu vernetzt. Die Installation aus MDF und Schnellbaumaterial erscheint dabei wie eine Mischung aus Skulptur und Möbelstück - irgendwo zwischen Merzbau, Raumschiff und Frankfurter Küche. Ein umgestülptes Interieur, daß sowohl rekonstruierend als auch inszenierend wirkt und den Gegenständen eine neue Präsenz verleiht. Neutrales Grau und scharfe Kanten heben das eigentlich Vergessene heraus und ermöglichen einen präzisen Blick auf die erstarrten Formen. Geschmolzene Flaschen, zerbeulte Kannen, deformierte Leuchter, Undefinierbares werden in die Regale und Nischen einsortiert. Es entsteht eine abstrakte Rekonstruktion der verschwundenen Räume, in denen diese Dinge einst Verwendung fanden.

Die zeitliche Distanz zu einer unbegreifbar gewordenen Vergangenheit und die räumliche Nähe zu ihren Überresten lassen etwas Neues entstehen. Eingefügt in die Installation werden die Objekte zu selbsreferentiellen, skulpturalen Aliens. Topolovac Installation wird zur Zeitkapsel, zum Trajekt, das diese Exemplare im Jetzt verortet und sichtbar macht. Nicht der Blick zurück steht dabei im Vordergrund, sondern wir, die Blickenden selbst und unser Verhältnis zum Vorher und Nachher. Was bleibt, ist die Frage, wie unsere Flatscreens und Iphones dereinst aussehen werden, wenn man sie aus einem Loch in der Erde gräbt.

Peter Lang