SPECIMEN VON HENDRIK LAKEBERG
Es liegt eine Kälte in den Arbeiten von Philip Topolovac. Geschmolzenes Glas, das während der Bombenangriffe am Ende des zweiten Weltkriegs im Berliner Schutt zurück blieb, präsentiert er auf schlichten weißen Platten wie antike Schmuckstücke in einem anthropologischen Museum. Gewöhnliche Sandhügel fotografiert er als handele es sich dabei um ferne Gebirgszüge – bis man die Bierflaschen entdeckt, die jemand in sie geworfen hat. Von eben jenen Sandhügeln erstellt Topolovac in der Serie „Landschaftsformen“ Abformungen aus Fiberglas als materielles Negativ der Natur. In der Objekt-Serie „Modulite“ erfindet Topolovac zwecklose technologische Gebilde, von denen einige partiell zerstört sind, als wären sie die Kollateralschäden der Klonkriege in Star Wars – Ruinen einer Sci-Fi-Welt.Philip Topolovac Werk besteht im Kern aus drei zentralen Motiven: In seinen Objekten und Installationen liegt immer eine Beschäftigung mit der Konstruktion von kultureller Identität. Es ist zweitens die Landschaft, die zu dieser Identitätsbildung beiträgt und drittens finden sich in seinen Arbeiten häufig Verweise auf die Epoche der Romantik.
Die Romantiker verklärten die Landschaft, indem sie sie zu einer Sehnsuchtsmetapher erhoben. Die Entfremdung von der Natur und die Suche nach einer Identität, nach der Transzendenz des Göttlichem in der Natur malte ihre Bilder. Landschaft wird zur Konstruktion und zum Ausdruck der psychischen Verfasstheit des Künstlers. Spätestens seit dem späten 19. Jahrhundert wird der Topos der Berglandschaft zu einem Klischee, im 20. Jahrhundert zum Kitsch – kein ernstzunehmender Künstler traut sich nach dem Ende von Faschismus und Weltkrieg, Natur darzustellen wie Caspar David Friedrich oder William Turner. In der durch und durch rationalisierten Welt des Spätkapitalismus betrachtet man Berge anders. Doch auch wenn der Umweltschützer, der Geologe, der Unternehmer, der Skifahrer oder der Wanderer jeweils etwas komplett verschiedenes in ihr sieht, trägt diese Landschaft weiterhin zur Identitätsbildung bei, obwohl es sich bei ihr im Endeffekt um nichts anderes handelt als eine Anhäufung von Gestein – für sich genommen eine Banalität.
Dieses Wechselspiel von Verklärung und nüchterner Analyse durchzieht auch die Arbeit „Bodenproben“. Indem er die geschmolzenen Glasstücke präsentiert als wären sie seltene historische Artefakte – oder besser: wie ein Insektenforscher rare Spezies seiner Sammlung –, dreht Topolovac die Konstruktion von Natur vor dem Hintergrund nationaler Identitätsbildung um. Die Spuren des Krieges sind in ihnen sichtbar. Dadurch invertiert er das pathetische, an die Romantik angelehnte Bild von Natur und Landschaft im Faschismus und greift gleichzeitig das Motiv der Ruine auf. Es steht hier nicht mehr stellvertretend für die Sehnsucht nach dem Sublimen in der Landschaft, sondern die Erinnerung an den Schrecken des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs, zu welcher der Sehnsuchtstopos der Romantik beigetragen hat.
In der Werkgruppe „Modulite“ transportiert Philip Topolovac das Landschaftsmotiv in einen technologischen Bedeutungszusammenhang. Dahinter steht die Annahme, dass Identität heute nicht mehr allein als Folge einer lokalen Herkunft oder ähnlichem entsteht, sondern als Konsequenz eines a prioris, in dem Natur, Kultur und Technik untrennbar miteinander verwoben sind. Die Berge und die Maschinen eint, dass sie nichts anderes als materielle Formationen sind – aus Gestein und im Fall der Maschinen aus Metall und Kunststoff.
Der Funktionalismus des Maschinellen wird kulturell überhöht. Deshalb spielt Topolovac in seinen modellhaften Objekten auch auf die Ästhetik von Raumschiffen in Science-Fiction-Filmen an. Technik, also Computer, Maschinen oder auch Lichtmaschinen von Autos, die er in einer Fotoserie porträtiert, sind für den Laien eine ähnlich undurchdringliche Tatsache wie die Weite und die beeindruckende Größe eines Gebirgsmassivs. Ihre Komplexität, die industrielle Formsprache, die sie in nahezu endlosen ästhetischen Varianten hervorbringt, und die potentiell endlosen Möglichkeiten, die sie zu versprechen scheint: Topolovac deutet an, dass auch in Technologie Erhabenheit stecken kann.
Darüber hinaus liegt in den „Moduliten“ ein ironischer Verweis auf die „Architektone“ von Kasimir Malewitsch. Auch bei ihnen handelt es sich um freie Figurationen, die architektonische Strukturen andeuten, aber doch funktionslose Objekte bleiben. Ein zentrales Stück der Ausstellung und Teil der „Modulite“ ist der Nachbau des „Wolkenbügels“ von El Lissitzky, ein utopischer und radikal moderner Entwurf für ein Hochhaus, mit dem der russische Avantgardist 1924 den rückwärtsgewandten Historismus der amerikanischen Wolkenkratzer kritisierte. Malewitschs und El Lissitzkys Arbeiten entstanden in der Tradition eines optimistischen Konstruktivismus, der die Technologie und die neuen Formen, die sie hervorgebracht hatte, als Naturersatz und als Fundus neuer Ausdrucksmöglichkeiten für die Kunst verstand. Bei Topolovacs „Moduliten“ findet man schon im Namen – eine Wortschöpfung aus Modul und Monolith – eine Anspielung auf den Zusammenhang aus Technik und Natur und nicht allein die Überwindung der Natur wie bei Malewitsch und El Lissitzky.
Durch die Zerstörung der Objekte, ihre verletzliche Materialität macht Topolovac das Motiv der Ruine erneut zum Thema. Es liegt eine post-technologische Melancholie in diesen Arbeiten, die man fast wieder als romantisch bezeichnen könnte. Das Erhabene, das er in den Sandhügeln oder dem geschmolzenen Glas dekonstruiert hat, schleicht sich gewissermaßen durch die Hintertür wieder ein.
Verstärkt wird es in der Objekt-Serie „Erdbeobachtungssatelliten“, für die Topolovac unter anderem den Google Earth Satelliten als Modell nachgebaut hat. Der technologische Blick aus dem Weltraum auf die Landschaft und die Erkenntnis, die die Bilder des Satelliten vermitteln, kehrt den Blick der Romantiker um. Es ist nicht mehr die unfassbare Größe der Natur, die sie zeigen, sondern die Kleinheit der Welt angesichts ihrer gnadenlosen technologischen Durchdringung, die kein Geheimnis, keinen blinden Fleck zurücklässt. Für romantische Erhabenheit ist die Erde zu klein geworden.
Doch Philip Topolovac untersucht in seinen Arbeiten nicht nur die Spuren des Systems Romantik in Kunstgeschichte und Gegenwart. Würde man sein Werk in einem Gedanken zusammenfassen so könnte man sagen, dass er sich mit dem fortwährenden und verzweifelten Bemühen der Kunst beschäftigt, nach der Moderne einen zeitgemäßen Ausdruck für das Sublime zu finden.