artmap.com
 
RIA PATRICIA RÖDER
 

„DIE KÜNSTLERIN UND IHR WERK, VEREINT IM EIGENEN BILD“ VON MATTHIAS HARDER

„Die Künstlerin und ihr Werk, vereint im eigenen Bild“
von Matthias Harder


Experimente in der zeitgenössischen Photographie sind selten geworden, insbesondere was die „altertümliche“ kameralose Photographie mit anschließender Laborentwicklung betrifft. Doch nicht nur Puristen erfreuen sich noch immer an exquisiten Handabzügen, und dies gilt wohl umso mehr, wenn es sich – wie hier – um ein großformatiges Unikat handelt. Damit nicht genug: Ria Patricia Röder bedient sich einer Technik, die kaum noch jemand in Deutschland verwendet oder beherrscht – sie stellt Farbphotogramme her. Auch dafür gilt genauso wie beim Schwarz-Weiß-Photogramm: Die auf dem Papier liegenden Gegenstände bilden sich wie ein negativer Schatten, also vollfigurig weiß, selbst ab; transparente oder semitransparente Dinge erzeugen differenzierte, raumkonstituierende Verschattungen, teilweise mit Binnenzeichnung. Bei der Belichtung des Photopapiers im abgedunkelten Raum, bewegt die Künstlerin die Lichtquellen so, daß sie interessante formale Wechselwirkungen erzeugen, wie wir hier sehen.

Röder arbeitet in Einzelbildern, die sich als unterschiedliche Annäherungen an ein Thema zu Serien gruppieren lassen. Als solche sind sie jedoch nicht von vornherein geplant. Manchmal wachsen sie immer weiter an, werden von der Künstlerin schließlich auf eine Projektgröße beschränkt, mit der sie die zugrunde liegende Werkidee knapp und schnörkellos visualisieren kann. Das Editing, also das Auswählen der Aufnahmen, bleibt ein wichtiger Aspekt. In ihrer Ausstellung in der Orangerie der Kunstsammlung Gera, zeigt sie zwei bereits existierende, jedoch nicht ganz vollständige Serien, die sich inhaltlich ergänzen: „Laboratorium" und „RAYDIATOR".

Für letztere hat sie einen Kunstbegriff gewählt, der an die Rayographien von Man Ray erinnert. Der heutzutage nur noch selten verwendete lateinische Begriff „Laboratorium“ verweist etymologisch auch auf die ursprüngliche Bedeutung des Arbeitens, also auf das Experimentieren in der Dunkelkammer. Bei beiden Serien entspricht der Arbeitsprozeß gleichsam dem Bildinhalt. Und die „RAYDIATOR"-Sequenz kommt, wenn wir uns die Bildentstehung vor Augen führen, einem wissenschaftlichen Versuchsaufbau nahe. Die ersten vorangegangenen Schwarz-Weiß-Experimente wurden verworfen; anschließend arbeitete die Künstlerin mit farbigem Licht, das sich auf dem Photopapier nach der Entwicklung im Komplementärkontrast niederschlägt. Fällt an manchen Stellen zu viel farbiges Licht auf das Papier, entsteht Schwarz. Die teilweise leuchtend schrillen Farbkombinationen erinnern an die psychedelische Farbigkeit der 1970er Jahre oder an ineinanderlaufende Tinten; auf diese Weise spielt Röder subtil mit Zeitschleifen und malerischen Wirkungen.

Oft ist es die Photographin selbst, die sich auf das zu belichtende Papier legt, auf den Boden oder auf Tische. Dabei belichtet sie mit kleinen Lampen im Radius der eigenen Hand oder des Armes zusätzlich einige Partien rund um ihren Körper, der sich aufgrund der direkten Auflage auf dem Papier – wie eine Kontaktkopie – als weiße Silhouette abzeichnet. Das Bild entsteht dabei immer in mehreren Belichtungsstufen, woraus sich seine farbliche Komplexität und Vielschichtigkeit ergeben. Im Bildfeld entdecken wir zudem Materialien aus dem Atelier der Künstlerin, etwa Luftpolsterfolie, Drahtbänder oder ausgeschnittene Papiere. Es stehen amorphe neben geometrischen Formen; doch alles bleibt mehr oder weniger abstrakt und wird seinem funktionalen Zusammenhang entrissen. Dabei entsteht eine eigene Dingwelt, die nach einem Zentrum zu suchen scheint – der lebensgroßen menschlichen Figur. Gelegentlich scheint diese doppelt aufzutauchen, als würde sich die Künstlerin mit ihrem alter ego auf dem Photopapier vereinen. Auf anderen Blättern der Serie erscheint auch eine männliche Figur, teilweise existieren Kombinationen von Mann und Frau oder Körperfragmente parallel. Gelegentlich sind es nur zusätzliche Hände oder Füße, die die einfache menschliche Abbildung ergänzen und einen Ablauf suggerieren (z.B. in „RAYDIATOR IV"). Das Nacheinander der Aufnahmesituation ist hier als Gleichzeitigkeit inszeniert, so als ob die Person(en) aufeinander reagieren würden.

Mit dem Drahtauslöser, der zwar prominent als Equipment im Bild auftaucht (z.B. in „RAYDIATOR I" und „RAYDIATOR IV"), wird freilich nicht – wie in ihrer Serie „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ von 2007 – die Aufnahme gemacht, denn für die Herstellung eines Photogramms bedarf es ja schließlich keiner Kamera und entsprechend keines Fernauslösers; doch er verweist grundsätzlich auf das Medium Photographie in traditioneller analoger Ausrichtung und wird zudem als zeichenhaftes Collage-Element eingesetzt. So dient er in den einzelnen Motiven auch häufig als „Kontaktlinie“ zwischen der menschlichen Figur und der Dingwelt, die sie umgibt. Die Gegenstände und ihre Präsenz sind Röder dabei – nicht nur in jener Serie – genauso wichtig wie der Mensch und bilden mit diesem teilweise labyrinthartige Verbindungen. Eine Laborzange verlängert in „RAYDIATOR I" etwa den Finger respektive den Körper der dargestellten Person, die gleichzeitig Bildschöpfer ist. In „RAYDIATOR V" erscheint der Rachen eines männlichen Kopfes im Profil wie blau ausgemalt; ähnlich einer Röntgenaufnahme erkennen wir den Schatten einer Glühbirne in seiner Wange. In der linken Bildhälfte von „RAYDIATOR XI" schwebt eine knittrige Pergaminhülle – sie scheint in ihrer Materialwirkung so plastisch, als wäre sie in das Photogramm hineinphotographiert. So wird alles zu einer großen Collage, die jedoch nicht wie noch vor hundert Jahren zusammengeklebt wird, sondern sich in einem Transferprozeß abbildhaft selbst erschafft.

Mit der Präsentation im Ausstellungskontext kippt die Horizontalität, die während der Bildproduktion entscheidend war, in eine Vertikalität – die Körper und die Dinge liegen nun nicht mehr, sie scheinen schwerelos. Der Kippeffekt unterstützt die sonderbare Wirkung eines Bildraumes, der keine Richtung zu kennen scheint.

Körperlichkeit ist ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Faktor für Bildwirkung und -aussage – dies unterscheidet Röders Werk von demjenigen Floris Neusüss’, der in den 1970er Jahren das lebensgroße Schwarz-Weiß-Körperphotogramm als sogenanntes Nudogramm in die Photographiegeschichte eingeführt hatte – eine experimentelle Variante von Helmut Newtons berühmter „Big Nudes“-Serie, die ab 1980 folgte. Vorbilder seien die beiden aber ebenso wenig wie Yves Kleins Anthropometrien, so die Künstlerin. Sich selbst als Motiv zu wählen ist in ihrem Werk auch kaum mit den teilweise radikalen Selbstbefragungen der gender studies aus jener Zeit vergleichbar.

Die indirekte Selbstdarstellung scheint bei Röder vielmehr auch einen Grund zu haben: Wenn sie selbst auf dem Photopapier während der Photogrammbelichtung liegt und dabei mit kleinen Lampen bestimmte Partien mehr ober weniger mit Licht bearbeitet, hat sie die Kontrolle über die Bildentstehung. Die Photogramme entstehen nach einer vorher festgelegten bildnerischen Strategie als überlegt gebaute Kompositionen, die jedoch auch spontane Reaktionen erlauben. Im Nachhinein lässt sich vom Betrachter kaum mehr bestimmen, was innerhalb des Prozesses von ihr selbst vorgegeben und was vielleicht Zufallskomponente war. Die Bildformate sind unterschiedlich groß und werden in den Ausstellungen formal spannungsvoll miteinander kombiniert, insbesondere über sich abstoßende oder sich zuwendende Bewegungen der Protagonisten im jeweiligen Bild. So kann im Idealfall durch die Hängung alles installativ verwoben werden.

Die Bildoberflächen und die Rahmung wählt Röder von Werkgruppe zu Werkgruppe unterschiedlich; die unikatären Photogramme sind auf Aludibondplatten aufgezogen und werden ohne Glas oder Rahmen präsentiert. Dies unterstützt die leuchtende Farbigkeit der Bilder, ohne jede Spiegelung. Die fehlende Fassung an den Bildkanten betont die Ausschnitthaftigkeit der Motive auf prägnante Art.

Bei der „Laboratorium"-Serie von 2005-07 hingegen, die auf Kameraaufnahmen basiert, kann man einen etwas andersartigen konzeptionellen Aspekt konstatieren. Die Künstlerin ist hier mit sich und ihrer Kamera in der Dunkelkammer allein und wird zusammen mit den Laborapparaturen wieder selbst zum Motiv. Der zu Photographie früher synonym verwendete Begriff der Lichtbildnerei wird in diesem Zusammenhang besonders augenfällig: das farbige Licht der Dunkelkammerleuchten oder des Vergrößerers ist, auf geometrische, den Bildraum konstituierende Farbflächen heruntergebrochen, Lichtquelle und Bildgegenstand zugleich. Hinzu kommt stets ein menschliches Antlitz im Anschnitt, das schemenhaft aus dem dunklen Fond auftaucht und der Photographin gehört; bei „Laboratorium V" ist es nur auf ein Auge, also auf das Prinzip des Sehens, reduziert. Die eigenständige Sequenz, die Züge eines mehrteiligen Selbstporträts hat, vereint – ebenso wie bei einigen „RAYDIATOR"-Photogrammen – die Künstlerin und ihr Werk im Bild. Der Bildautor und die Bildentstehung thematisieren sich in Röders Arbeiten stets wechselseitig.

In beiden Serien ist das Licht Thema und Ausgangspunkt ihrer zeitlosen, abstrakten Aufnahmen, die stets Einzelbilder und Bestandteil einer sequentiellen Idee zugleich sind. Es gibt eine stringente Entwicklungslinie in ihrem Werk, die dem Licht die entscheidende Rolle sowohl bei der Bildherstellung als auch der Motivik zuweist, beispielsweise bei den 2009/10 entstandenen Diptychen verschiedener Nachtaufnahmen mit den Titeln „Untertag", „Inzersdorf" oder „Basement": Hier begegnet uns in unterschiedlichen räumlichen Situationen jeweils eine Person mit einem Blitzgerät. Diese setzt für Röders Bild das notwendige Licht, um einen Kellergang oder eine nächtliche Straße zu illuminieren, doch in der zweiten Aufnahme, um die eigene Achse gedreht, blendet sie die Photographin mit dem Blitz. Röder arbeitet hier mit Stativ und längeren Belichtungszeiten und paraphrasiert den filmischen Schuss-Gegenschuss-Topos. Sie blickt mit der Kamera statisch in nur eine Richtung, der Protagonist auf der inszenierten Alltagsbühne hingegen agiert nach ihren Vorgaben und radikalisiert das Licht in seiner Wirkung zwischen Erhellung und Überblendung.

In Röders noch jungem Werk stehen solche ungewöhnlich inszenierten Realbilder neben den abstrakten Farbphotogrammen; die konzeptionelle Vielseitigkeit der Photographin und ihr kreativer und intelligenter Umgang mit dem Medium faszinieren.


--

Matthias Harder (Helmut Newton Foundation Berlin) in
Ria Patricia Röder – RAYDIATOR | Hg. Stadt Gera / Kunstsammlung Gera | 2012