„RAYDIATOR - ERINNERUNGSBRÜCKE ZUR ANDEREN WIRKLICHKEIT" VON HOLGER PETER SAUPE
Holger Peter Saupe"RAYDIATOR - Erinnerungsbrücke zur anderen Wirklichkeit"
Ria Patricia Röder wurde durch eine Jury als Artist-in-Residence-Künstlerin des Jahres 2011 ausgewählt und weilte im Rahmen ihrer viermonatigen Residenzzeit ab September 2011 in der Otto-Dix-Stadt Gera. Die zum Abschluss des Künstleraufenthaltes im Mittelpavillon der Geraer Orangerie präsentierte Ausstellung RAYDIATOR will einen Einblick in das aktuelle Schaffen der Künstlerin vermitteln.
Der im ersten Eindruck technoid erscheinende Ausstellungstitel evoziert durchaus Vorstellungen von technischen Gerätschaften oder komplexen Versuchsanordnungen, bei denen es neben Wärme vermutlich auch noch um unbekannte energetische Phänomene geht, deren Beherrschung zugleich eine modernisierte Welt charakterisiert, die ihren Fortbestand und Innovationsgrad unablässig in der weiteren Entwicklung komplizierter Technologien sieht. Aber Kunst geht eben andere Wege und RAYDIATOR bezieht sich vielmehr auf eine Werkgruppe großformatiger Farbfotogramme der Künstlerin, die zum Teil in Gera entstanden sind und in der Ausstellung präsentiert werden.
Die 1983 im niedersächsischen Verden (Aller) geborene Foto- und Videokünstlerin mit portugiesischen Wurzeln studierte Medienkunst und Bildende Kunst in Karlsruhe, Berlin und Wien. Seit 2010 beschäftigt sie sich mit Fotogrammen, einem speziellen kameralosen fototechnischen Verfahren, das die Geschichte der Fotografie begleitet und schon bei den viktorianischen Fotopionieren des 19. Jahrhunderts, in der amerikanischen und europäischen Avantgardekunst der Moderne, in den experimentellen Werkstätten des Bauhauses und schließlich in der Kunst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts auch immer wieder unterschiedliche künstlerische Ausprägungen erfahren hat. Zu den wichtigen Impulsgebern des vielschichtigen experimentellen Aufbruchs im Medium Fotografie gehört in diesem Zusammenhang der US-amerikanische Künstler Man Ray, dessen Name Ria Patricia Röder mit dem Titel ihrer Farbfotogrammserie verwoben hat und damit zugleich die Herkunft, Wiederaufnahme und Weiterführung der Traditionslinie signalisiert. Diese Errungenschaften begreift sie aber lediglich als Ausgangspunkt in der Suche nach der Zuspitzung und Erweiterung fotografischer Bildmöglichkeiten.
Mit den Farbfotogrammen der RAYDIATOR-Serie bewegt sich die Künstlerin zielgerichtet zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion und schafft eine spannungsvolle Verbindung zwischen Fotografie und Malerei, zwischen der objektiven Strenge des fotografischen Abbildes und einer freien, weitestgehend abstrahierten Farbgestaltung, in die sowohl Elemente der klassischen Moderne, als auch der jüngeren wie aktuellen zeitgenössischen Kunst einfließen.
Die intensive Farbigkeit ihrer Arbeiten erinnert an expressive Malerei und ebenso an virtuelle Computerbilder, Airbrush- und Graffiti-Pieces der Street Art. Doch ihre verwendeten Materialien sind nicht die der Malerei, wie Pinsel, Spachtel, Malfarben oder Sprühdose, sondern elektrische Lampen, Licht, Glasfilterscheiben, Schablonen, Figuren und konkrete Gegenstände, die im prozessualen Verfahren der Bildgebung auf der samtig-matten Oberfläche des lichtempfindlichen Fotopapiers einen formalen und farblichen Niederschlag hinterlassen.
Im Mittelpunkt der Kunst von Ria Patricia Röder stehen der Mensch und die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur. Die auf den Fotogrammen negativ erscheinenden Figurationen oder Körperfragmente sind in der Proportion und Kontur auf den authentischen Schatten menschlicher Individuen zurückzuführen, die bei der Belichtung das formbildende Licht abgeschirmen und dadurch eine individuelle Spur menschlicher Existenz eingeprägt haben. Jedem einzelnen Fotogramm geht eine Vielzahl an experimentellen Studien voraus, mit denen die Künstlerin die Wirkung bestimmter Details sorgsam auslotet und das Resultat nach der Bildentwicklung im Gesamtbild kontrollierbar macht. Ihre Arbeiten erweisen sich damit als bewusst komponierte Arrangements von Farben und Formen, in denen gegenständliche Elemente mitunter als Erinnerungsbrücke zur anderen Wirklichkeit fungieren.
Mit ihren großformatigen Werken der RAYDIATOR-Serie hat Ria Patricia Röder durch geometrische Bildelemente und Farbräume eine Erweiterung der Ganzkörperfotogramme entwickelt, deren dynamische Bildwirkung durch die Farbgebung und die meist ausladenden und agilen Bewegungsgesten ihrer Figuren noch gesteigert wird.
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Holger Peter Saupe (Kunstsammlung Gera) in
Ria Patricia Röder – RAYDIATOR | Hg. Kunstsammlung Gera | 2012