DR. CHRIS GERBING, LAUDATIO „ROBERT ČONEV. DUO“, ALTES MALZLAGER, HOEPFNER-BURG 1
Robert Čonev „Duo“
Dr. Chris Gerbing, Laudatio „Robert Čonev. Duo“, Altes Malzlager, Hoepfner-Burg 1Robert Čonev „Duo“
Vernissage am 19. Mai 2017, 17h00, Altes Malzwerk, Hoepfner
- Es gilt das gesprochene Wort Liebe Frau Hoepfner, lieber Herr Hoepfner, meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich darf Sie sehr herzlich im Alten Malzlager in der „Hoepfner-Burg“ begrüßen und freue mich, dass Sie
so zahlreich zur Ausstellungseröffnung gekommen sind. Der heutige Spätnachmittag steht ganz unter dem
Eindruck der Arbeiten des Berliner Künstlers Robert Čonev, den ich ebenfalls sehr herzlich begrüßen darf.
Robert Čonev hat seine Ausstellung „Duo“ betitelt. Das Duo ist die lateinische Form des Duetts und meint in
der Regel ein Musikstück, bei dem zwei Sänger miteinander singen. Ob dies nun „Romeo und Julia“ sind,
denen Charles Gounod in seiner gleichnamigen Oper gleich vier ausdrucksstarke Duette auf den Leib geschrieben hat, das sehr witzige Katzenduett von Gioachino Rossini oder Tom Waits und Bette Middler, die
1977 gemeinsam „I never talk to strangers“ aufnahmen – die Liste ließe sich von der Klassik über die Romantik
bis zur Pop Musik nahezu beliebig verlängern. Da könnte die bildende Kunst (um es mit dem Duo Queen/David Bowie zu sagen) „Under Pressure“ geraten. Scherz beiseite, meine Damen und Herren, die bildende Kunst
kommt natürlich nicht unter Druck, auch wenn die Musik zunächst das Duo für sich reklamiert, es der Pas de
Deux als Höhepunkt eines jeden Balletts tänzerisch visualisiert. Denn das, was in der Musik das Miteinander,
Gegeneinander, das Sich-Abwechseln, Sich-Ansingen und miteinander Tanzens, die ganze Macht und Wucht
der Gefühle darstellt, kann die bildende Kunst mit ihren Mitteln selbstverständlich auch.
Das Duo erfordert zunächst eine Zweiheit. Und im Unterschied zur Serie, die bei drei Kunstwerken gleichen
Themas beginnt, genügt dem Duo eine zugehörige zweite Position. Sie greift das Thema ihres Gegenübers
auf, wandelt es ab, spiegelt zurück und bringt auf diese Weise neue Aspekte, Sicht- und Sehweisen in die
Betrachtung des Kunstwerks ein. Es ist insofern eine Erweiterung des Blickwinkels durch die Variation einund desselben Themas. Dass Robert Čonev unter anderem Serigrafien fertigt, d.h. künstlerische Siebdrucke
erschafft, macht diese Form der Variation verhältnismäßig einfach zu realisieren. Denn im Siebdruck werden
vermittels eines Belichtungsverfahrens die nicht druckenden Teile auf dem Sieb fixiert und die übrigen ausgewaschen. Die mit dem Rakel aufgetragene Farbe wird durch die freien Stellen gedrückt – eine unendliche
Farbvarianz mit verhältnismäßig wenig Aufwand scheint diesem Verfahren implizit. Allerdings setzt Robert
Čonev das Medium anders ein, als dies normalerweise üblich ist. Zum einen begrenzt er die nahezu unendliche Reproduktionsmöglichkeit auf etwas mehr als 20 Bögen, die farblich zumeist komplett unterschiedlich
sind, weil er während des Druckgangs die Farbe oft wechselt. Das heißt, er macht sich das Reduktionsverfahren zunutze, indem er Teile des Siebdrucksiebs abdeckt und dadurch einzelne Stellen unterschiedlich farblich
drucken kann. Um eine bessere Farbseparation zu erreichen, verwendet er dafür zwei Siebe, wodurch aber
nicht nur Farb-, sondern ebenfalls auch Formveränderungen möglich sind. Entsprechend handelt es sich auch
bei den Serigrafien von Robert Čonev um Unikate, bei denen jedes Kunstwerk seinen je eigenen Charakter
erhält. In ihrer Herstellung sind sie sehr aufwändig. Allein zur Herstellung der Siebe benötigt Robert Čonev
einen Monat, an den sich dann je Motiv eine Woche Arbeit in der Siebdruckwerkstatt anschließt.
Ein Teil seiner Arbeiten, und das macht die Ausstellung zusätzlich spannend, sieht tatsächlich nur aus, als
wären es Siebdrucke, denn Robert Čonev nimmt in ihnen die Möglichkeiten des Farbwechsels, teils unter
Beibehaltung der Form auf. Wer jedoch auf das beigefügte Schild blickt, wird feststellen, dass es sich um
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Acrylgemälde und Gouachen handelt – nicht zu verwechseln mit den Siebdrucken in Gouache auf Passepartoutkarton, bei denen die in Wasser gelösten Pigmente die Farbe sind, zu der Robert Čonev greift. Die gemalten Gouachen und Acrylgemälde sind in der hier gezeigten Schau allerdings die absolute Minorität; von den
rund zwanzig Kunstwerken bzw. den zehn Paaren sind nur zwei keine Serigrafien. Aufgrund des gerade beschriebenen Farbwechsels erscheinen sie aber wie Reproduktionen, wie Drucke, Robert Čonev spielt also mit
dem Wissen um die Möglichkeiten der drucktechnischen Verfahren, aber auch mit der daraus resultierenden
Betrachtungsweise und führt den Betrachter lustvoll vor.
Die Druckgrafik selbst ist nämlich bis in unsere Tage ein recht zweischneidiges Schwert. Ist sie aufgrund ihrer
Reproduktionsfähigkeit minderwertig? Oder ist sie – gerade in der zeitgenössischen Kunst – nicht vielmehr
eine wunderbare Möglichkeit unendlicher Variation? In jedem Fall ist sie für Robert Čonev wohl eine Anregung gewesen, sich mit den Möglichkeiten der Farb- und Formverschiebung auseinanderzusetzen. In dem
2012 entstandenen Duo „5 mm“ setzte er sechs Edding-Stifte mit jeweils 5 mm Stiftstärke ein, die im Abstand
von 5 mm an eine Holzkonstruktion montiert waren. Damit konnte er die Stifte immer im selben Abstand
über das Papier ziehen; durch den Versatz von 5 mm im zweiten Druckgang entstand die zwischenraumfreie
Aneinanderreihung der Farbstreifen. Allerdings entstanden kleine Ungenauigkeiten durch das händische Ziehen der Linien. Insofern spielt der Zufall eine sichtbare Rolle, die Fehler, die insbesondere in den beiden „XYL“
betitelten Gouachen auffällig, die aber auch bei „5 mm“ erkennbar vorhanden sind, sind für ihn zunächst
meistens Enttäuschung, weil seine Vorstellung am Beginn der Arbeit des Kunstwerks eine andere gewesen
ist. Stellt er aber fest, dass das Konzept des Bildes dennoch trägt – wie in beiden vorliegenden Werken –
können sie auch fehlerhaft bleiben. Bei dem „XYL“-Duo verkleinerte er eine handelsübliche Walze, um dünnere Streifen ziehen zu können, wobei er die Walze mit erkennbarem Ergebnis beschädigte. Schön fasst eine
Bemerkung, die Robert Čonev in einem Telefonat mit mir vor einigen Wochen äußerte, sein Verhältnis zu
seinen Kunstwerken zusammen. Er meinte: „Meine Kunstwerke entstehen durch Ärgern und den anschlie-
ßenden Einbezug des Fehlers.“ Dazu gehören sowohl die Ausbesserungen, die nach dem Abkleben von Flä-
chen bei den Acrylgemälden nötig sind, als auch die Formverschiebungen, wie sie im Duo „XYL“ offensichtlich
werden, bei dem er das Format drehte. Besonders offensichtlich wird dies aber bei der runden Arbeit „W“,
bei der zahlreiche Formverschiebungen dadurch entstanden, dass er, nachdem er die einzelnen Elemente
angeordnet hatte, an den Tisch gestoßen war und alles durcheinander gekommen ist.
Robert Čonev bedient sich – frei nach dem Motto von Mick Jagger/Keith Richards „Memory Motel“ – dem
großen Formenschatz der jüngeren Kunstgeschichte, um zu seinen Motiven zu kommen. Ich denke, die „Z“
betitelten Gouachen mit den abknickenden Farbstreifen sind nicht denkbar ohne die „Vorarbeiten“, die ein
Jasper Jones und vor ihm ein Piet Mondrian geleistet haben. – Meine Damen und Herren, vielleicht sollte ich
an dieser Stelle kurz einige Anmerkungen zu den Titeln von Robert Čonev machen. Es ist Ihnen sicher bereits
aufgefallen, dass sie ziemlich kryptisch sind, dass sie mit Ausnahme des Duos „Sammler“, auf das ich gleich
noch näher eingehen werde, aus Buchstaben bzw. Buchstabenkombinationen bestehen. Verstehen Sie diese
als eine Bezeichnung, die ihre Unterscheidbarkeit ermöglicht, als eine katalogähnliche Auflistung, die letztlich
ohne Bedeutung ist. Andere Künstler wählen den Weg des Weglassens eines jeden Titels – die Kunstwerke
heißen dann „ohne Titel“; mit Blick auf ein späteres Werkverzeichnis scheint mir die Bezeichnung, wie sie
Robert Čonev wählt, sinnfälliger zu sein. Ziel dieser Nicht-Betitelung ist aber in beiden Fällen, den Betrachter
ganz bewusst auf sich zurückzuwerfen, ihn zur Auseinandersetzung mit seinen eigenen Gedanken, Gefühlen
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und Empfindungen, Sehgewohnheiten und deren möglichen Aufweitung durch die Kunstwerke zu zwingen –
ganz im Sinne von Susan Sonntags Ausspruch Interpretation ist „die Rache des Intellekts an der Kunst.“ Wobei
Sie, meine Damen und Herren, ja durchaus in Ihrer Auseinandersetzung interpretieren, das versteht sich eigentlich von selbst. Aber Sie bekommen eben nichts vorgesetzt, keine Richtung gewiesen, keinen noch so
versteckten Hinweis auf eine mögliche Lesart. Insofern würde ich nicht ganz so weit gehen wie Susan Sonntag, die weiter ausführt, interpretieren hieße, „die Welt arm und leer [zu] machen“, um eine „Schattenwelt
der ,Bedeutungen‘ zu errichten.“ Denn ich halte Ihr Zugehen, meine Damen und Herren, auf die Kunstwerke
für wichtig, und in diesem ersten Sich-Einlassen auf das Kunstwerk liegt auch der erste Schritt zur Interpretation begründet.
Kommen wir nochmals zurück auf Piet Mondrian, der zitathaft in dem großen Hochformat Robert Čonevs mit
dem Titel „Sammler“ von 2014 aufscheint, das wir einmal in den für Mondrian typischen Grundfarben Gelb,
Blau und Rot, unterstützt durch die Nichtfarben Schwarz und Weiß dargeboten bekommen. Čonev variiert
hier die fast collageartig aufgebrochene Durchstrukturierung der menschlichen Figur (die Züge des „Modulors“ von Le Corbusier aufzuweisen scheint) in einer zweiten Arbeit, dem zugehörigen Duo. Dabei passiert
eine ganz spannende Sache: Indem Robert Čonev die Farben gedeckter hält, Mischfarben einsetzt und Bereiche des menschlichen Umrisses in den Hintergrundfarben einfärbt, verschwimmen die Grenzen zwischen
Vorder- und Hintergrund noch mehr, entsteht ein Vexierspiel zwischen Hinten und Vorne, verschmilzt der
dargestellte Mensch zur Einheit mit seinem Hintergrund. Das Ver-Sammeln, das dieser Arbeit zugrunde liegt,
scheint im Titel auf. Gemeint ist nämlich hier nicht ein bestimmter Kunst-Sammler, sondern die Tätigkeit des
Zusammenbringens unterschiedlicher Elemente. Dreh- und Angelpunkt des Motivs sind dabei die kleinen,
schachbrettartig angeordneten Quadrate, die seit Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ auch eine psychologisierende Wirkung haben.
Seit dem Jahr 1915, als Malewitsch das „Schwarze Quadrat“, ikonenhaft in einer Ecke aufgehängt, in der
futuristischen Ausstellung „0,10“ in Petrograd (dem heutigen St. Petersburg) präsentierte, spiegelt sich im
Quadrat auch das Kunstverständnis des 20. Jahrhunderts. In ihm kulminiert die Frage, wie Kunst als Kunst
erkannt werden kann und was sie vom reinen Aufbringen von Farbe auf Leinwand unterscheidet. Denn in
Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ wird erstmals in der Kunst die Gegenständlichkeit überwunden – die bei
Robert Čonev schemenhaft und de Stijl zitierend, wieder ins Bild tritt. Deutlich wird aber auch – und damit
sind wir bei dem, was an kunsthistorischem Treibgut aus der Zeit nach 1945 in Čonevs Werk zu finden ist –,
dass die Farbwahl und die Farbkombination ein elementar wichtiges Thema sind.
Bereits in der Einleitung zu seinem 1963 erschienenen Buch „Interaction of Color“ schrieb der ehemalige
Bauhaus-Lehrer und damals schon hochgeschätzte Theoretiker und Künstler Josef Albers: „In visueller Wahrnehmung wird eine Farbe beinahe niemals gesehen als das, was sie wirklich ist, das heißt als das, was sie
physikalisch ist. Dadurch wird die Farbe zum relativsten Mittel der Kunst.“ Farbwahrnehmung ist ihm zufolge
also etwas zutiefst persönliches, das heißt, jeder nimmt Farbe unterschiedlich wahr, weil unser Sehen relativ
ist. Albers zufolge müsse man entsprechend erkennen, dass Farbe „fortwährend täuscht“ und entsprechend
„ein und dieselbe Farbe unzählige Lesarten“ haben könne. Dies wiederum ist am Beispiel der unterschiedlich
eingefärbten Quadrate des Gemäldes von Robert Čonev hervorragend nachvollziehbar, es ist quasi eine Deklination des Albers’schen Themas „Hommage to the Square“. Denn in seinen „Variationen eines Themas“
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deklinierte Albers die Wirkung einer Farbe in Relation zu ihrer jeweiligen Nachbarfarbe durch und forderte
damit den Betrachter dazu auf, sein Seherlebnis zu interpretieren.
Diese Aufforderung zur Interpretation des Seherlebnisses scheint mir auch den Werken von Robert Čonev
inhärent zu sein. Denn gerade das „Duo“, die Zweisamkeit in der relativen Ähnlichkeit des Motivs bei Variation der Farbgebung, ermöglicht Seherlebnisse der anderen Art. Was im einen Kunstwerk präsent ist, tritt im
anderen zurück, Elemente, die in der einen Arbeit eher belanglos und nebensächlich waren, thematisieren in
seinem Konterpart wichtige Aspekte. Insofern kann das „Duo“ auch als stetes Hinterfragen der künstlerischen
Tätigkeit interpretiert werden – und ermöglicht darüber hinaus dem Betrachter einen kleinen Einblick in die
Genese eines Kunstwerks. Farb-, Form- und Perspektivwechsel lassen Veränderungen augenfälliger werden
und schärfen den Blick für unsere Umgebung. Čonevs Kunstwerke stehen damit in der Tradition des leidenschaftlichen Glaubens „an die besondere Macht von Kunst“, an ihre mögliche Funktion als Katalysator politischer und gesellschaftlicher Themen unserer Zeit. Kunst als „rätselhafter Raum für Verunsicherungen“ lädt
dazu ein, persönlich „Farbe zu bekennen“.
Meine Damen und Herren, Robert Čonevs Arbeiten bieten, so finde ich, eine breite Palette an Ansatzpunkten,
an Möglichkeiten, sich zu reiben, dem Unperfekten und Unsicheren, dem Zufall als Mittel zum Zweck nachzuspüren. Es sind insofern grenzgängerische Arbeiten, die damit natürlich auch die Biografie Robert Čonevs
sinnfällig widerspiegeln: Seine Eltern kamen Anfang der 1970er Jahren aus Makedonien nach Deutschland,
er selbst wurde in Nürnberg geboren. Da aber beide arbeiteten, wuchs er bis zum Eintritt in die Grundschule
in Makedonien auf. Seine emotionale Farbwahl, so meint er selbst, sei deutlich dem makedonischen Erbe
geschuldet, während der Drang nach Ordnung und Struktur eine Eigenschaft ist, die er mit Deutschland assoziiert, wo er durch Schulbesuch und Studium bei Johannes Grützke an der Nürnberger Akademie sozialisiert
wurde. Seit 2001 lebt er in Berlin, dem sicherlich „heißesten Pflaster“ derzeit für zeitgenössische Kunst, einem schier unbegrenzten „Markt der Möglichkeiten“, in dem sich zu behaupten natürlich gleichermaßen
auch eine Herausforderung darstellt. Heute Abend ist er zur Ausstellungseröffnung in Karlsruhe, und ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, viele anregende Gespräche mit Robert Čonev, aber auch im Austausch
mit seinen Kunstwerken. Wagen Sie den Pas de Deux mit seinen Kunstwerken, treten Sie in den Dialog mit
Ihnen und werden Sie dadurch zum „Insider“, wie ihn Tom Petty/Stevie Nicks in ihrem gleichnamigen Duett
besingen. Vielen Dank!
© Dr. Chris Gerbing, Karlsruhe, 2017
www.chrisgerbing.de