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ROMANA SCHMALISCH
 

ROMANA SCHMALISCH/ROBERT SCHLICHT "PRELIMINARIES"

Romana Schmalisch/Robert Schlicht "Preliminaries"

The film “Preliminaries” traces the history of the statue “Worker and Kolkhoz Woman” by Vera Mukhina. This statue was originally designed for the Soviet pavilion at the 1937 World Exhibition in Paris, where it stood opposite the pavilion of Nazi Germany, enacting an antagonism that would result in a catastrophic war. It was later moved to Moscow and erected in front of the Exhibition of National Achievements of the Economy, which to the contemporaries appeared as a promise of a radiant future.

After World War II, the statue became the emblem of the biggest film company of the Soviet Union, Mosfilm, and is shown at the beginning of every Mosfilm movie since 1947. In deciphering the statue’s diverse symbolisms and connections to the historical contexts, the film investigates into the notion of future as a central topic in the politics and culture of the Stalinist era. Exploring subjects like the War, Socialist Realism, and show trials, the film attempts to deconstruct a politics of the symbol that results from an ideology of the future, in which the present is neglected since it is considered as nothing but the preliminary future.

Images from present-day Moscow – the statue in front of a post-Communist amusement park, the surroundings of the Mosfilm studios, and the Red Square populated by Party leader doppelgangers – are combined with stills from Stalinist films as well as with projected interviews (with Naum Kleiman, Gayane Ambartsumyan, Sergei Nikitin) set up in a situation slightly reminiscent of a trial hearing. The film thus enacts a preliminary inquiry on issues inherent in the notion of a future that is taken for granted and hence doesn’t even need to be realised – a future that is now our past.

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Der Standpunkt der Aufnahme

http://www.standpunktderaufnahme.de/21-0-Romana-Schmalisch-und-Robert-Schlicht.html

Der Stillstand der Maschinen

Recitando dokumentiert die Begegnung zwischen Arbeitern der Moskauer Papierfabrik „Oktober“ und zwei Filmemachern aus dem Ausland. Der filmische Produktionsprozess tritt in eine Lücke des Produktionsprozesses in der Fabrik. Denn was zunächst aussieht wie Arbeit, entpuppt sich bald als Theater. Die Arbeiterinnen und Arbeiter simulieren für die Kamera den Prozess der Papierproduktion, denn in Wirklichkeit waren sie zur Zeit der Aufnahmen beschäftigungslos. Der Stillstand der Maschinen ermöglicht ihren Auftritt als Darstellerinnen und Darsteller des Films.
Dieser Übergang von industrieller zu künstlerischer Produktion, der Einzug der Kunst in die Ruinen der Arbeit, wird in Recitando auf mehreren Ebenen kritisch zum Thema. Chorisch vorgetragene Texte und zwei Lieder nach Art Brechtscher Lehrstücke schaffen einen theatralen Raum, in dem die Darstellenden auf ihre reale Situation reflektieren. In regelmäßigen Zwischentexten werden zudem Positionen des sowjetischen Kinos der 20er Jahre zitiert, in denen es bereits zentral um das Verhältnis von Kinobild und Realität, künstlerischer und industrieller Produktion ging.

Die Geschichte vor dem Film

Romana Schmalisch und Robert Schlicht dekonstrueiren den eigenen filmischen Produktionsprozess, legen dessen Geschichtlichkeit offen und stellen dabei seine „post-industrielle“ Identität in Frage. Die nicht-produzierende Fabrik wird nicht einfach als „Chance“ für die Kunst in Beschlag genommen, sondern zum Raum einer kritischen Befragung. Die Arbeit ist damit auch eine Auseinandersetzung mit dem Ort der Produktion. Die 1924 erbaute Fabrik „Oktober“ (ehemals „Roter Oktober“) war eine der größten Papierfabriken Moskaus. Mittlerweile ist die Produktion auf ein Minimum zurückgegangen und die Arbeiterinnen und Arbeiter sind über längere Zeiten beschäftigungslos. Teile des Komplexes wurden unterdessen in den Kunstraum PROEKT_FABRIKA umgewandelt, in dem Recitando im Januar 2010 erstaufgeführt wurde.

Zentrale Protagonistin in Preliminaries ist die Statue „Arbeiter und Kolchosebäuerin“, die Vera Muchina für den sowjetischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung von 1937 entworfen hatte. Nach ihrer Rückkehr nach Moskau wurde die Statue vor der Nationalen Ausstellung der Errungenschaften der Sowjetökonomie wieder errichtet. 1947 wurden der „Arbeiter und die Kolchosebäuerin“ zum Logo der Mosfilm-Gesellschaft und erschienen fortan im Vorspann jedes Films der größten sowjetischen Filmproduktion.

Die Ideologie der Zukunft

Ausgehend von diesem „Geschichtszeichen“ untersucht Preliminaries die stalinistische Film- und Realpolitik und rekonstruiert den Begriff einer bereits feststehenden Zukunft, in deren Licht die Gegenwart als lediglich vorläufig, als symbolisch bereits überwunden erscheint. Diese „lichte Zukunft“, die heute Vergangenheit ist, war die Absicht des sozialistischen Realismus im Kino – zugleich konnte sie als Legitimation für die Schauprozesse dienen, die selbst eine präfigurierte Zukunft inszenierten. Auch in Preliminiaries geht es also um die Geschichtlichkeit des Kinos und um unbequeme Nähen zwischen kinematografischer Produktion und der Produktion von Ideologien.
Romana Schmalisch und Robert Schlicht verbinden Bilder des heutigen Moskau – die Statue vor einem post-kommunistischen Freizeitpark, die Umgebung der Mosfilmstudios, und der Rote Platz, auf dem Doppelgänger früherer Parteifunktionäre die Touristen amüsieren – mit einer Reihe von Interviews zur sowjetischen Film- und Politgeschichte. Inszenierungselemente und Dramaturgie des Films erinnern an Schauprozesse und konfrontieren somit das dokumentarische Narrativ der Befragung mit einer Geschichtlichkeit, die die Neutralität filmischer Produktionsformen in Frage stellt.

Carte Blanche: 'Der gewöhnliche Faschismus'

Michail Romms Der gewöhnliche Faschismus war im sowjetischen Tauwetter der erste Versuch einer filmischen Reflexion über den Faschismus, der sich damit implizit auch mit der eigenen stalinistischen Vergangenheit auseinandersetzte. Romm selbst hatte wesentlich zur filmischen Ikonifizierung Stalins beigetragen.

Der Film ist eine Montage aus nationalsozialistischem Bildmaterial – eine Auswahl aus 2 Millionen Metern Film, die im Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion erbeutet wurden. Dieses Selbstbildnis des Faschismus wird mit aktuellen Aufnahmen des alltäglichen Lebens kombiniert und vom Autor durch einen teilweise ironischen, persönlichen Kommentar analysiert und gebrochen. Aus der doppelten Verwendung der Bilder des Nationalsozialismus – als Dokumente, die im gleichen Zuge gegen sich selbst gewendet werden – entsteht eine Reflexion über den politischen Stellenwert filmischer Bilder.
Im russischen Original wird der Kommentar vom Regisseur selbst gesprochen. Der Film existiert in zwei unterschiedlichen deutschen Synchronfassungen – für die BRD und für die DDR. In der westdeutschen Fassung, die aus dem Archiv des Arsenal gezeigt wird, sind insbesondere die Hinweise auf politische Kontinuitäten in der Nachkriegszeit abgeschwächt. Teil der Rezeptionsgeschichte des Filmes sind auch die verschiedenen Einführungen, die vor den Fernsehausstrahlungen gezeigt wurden.

Michail Romm über 'Der gewöhnliche Faschismus'

Michail Romm im Gespräch mit Hermann Herlinghaus, in: Hermann Herlinghaus (Hg.), Dokumentaristen der Welt in den Kämpfen unserer Zeit – Selbstzeugnisse aus zwei Jahrzehnten (1960 – 1981), Berlin 1982, S. 114 – 127)
„Ich habe sehr lange nach einem Titel für den Film gesucht und hätte unbedingt das Wort Faschismus durch ein anderes, in seiner Bedeutung tieferes und allgemeineres Wort ersetzt. Aber ich habe dieses Wort nicht gefunden. Es existiert nicht im Wörterbuch der Menschheit, bisher nicht. Wenn wir Faschismus sagen, meinen wir Hitler, Mussolini, Salazar, Franco – und die letzten schon mit den Vorbehalten der Differenzierung. Es geht weiter: Das ist kein reiner Faschismus, das ist Halbfaschismus, das ist Neofaschismus, das ist dem Faschismus ähnlich, aber kein Faschismus. Nicht wahr, so sagt man. Deswegen möchte man ein allgemeines Wort für diese Erscheinung des 20. Jahrhunderts finden, die sich nicht im Faschismus deutscher und italienischer Prägung erschöpft. Dieses Wort habe ich nicht gefunden, und deshalb musste der Film umfassender sein als sein Titel. Das ist besser als umgekehrt, wenn ein Film enger ist, der Titel sehr feierlich und vielversprechend klingt, aber sich weniger dahinter verbirgt. Deshalb spreche ich auch vom 'gewöhnlichen Faschismus'.“
„Ich habe mich bei diesem Film ganz allgemein einem Material über einen bekannten Zeitabschnitt zugewandt. Dann spürte ich, dass das Material seine Eigenart hat, es lag etwas in ihm, das ich noch nicht verstand. Etwas ganz Bestimmtes, das besondere Überlegungen herauszukristallisieren vermochte. Die Auswahl war deshalb für mich erst einmal schwierig, weil ich noch nicht wusste, was sich zusammen fügt, wie es sich heraus kristallisiert. Aber nach einem Jahr hatten sich bei uns 30.000 bis 40.000 Meter Material angesammelt, soviel um die erste klare Organisation vorzunehmen, die bereits nachwies, worin dieses Immanente bestand. Ich begann, es in größere Teil zu gliedern wie: Wahrheiten, Begeisterung, Dummheit, Grausamkeit, geschichtliche Ereignisse, Hitler selbst, die Kunst, der Krieg. Es entstanden Untergruppen einer Erscheinung, die zunächst als Phänomen vor uns stand. Aber nach der Untergliederung wurde das Phänomen durchsichtig: es hörte auf, eins zu sein.“
„Ein Film fügt sich für mich dann zusammen, wenn die Aufeinanderfolge der einzelnen Stücke in einem bestimmten Maß eine Antwort zu geben beginnt – nicht die volle Antwort – auf die undeutliche Vorstellung vom 20. Jahrhundert, auf die Vorstellung von der eigenen Pflicht, den eigenen Bitterkeiten, dem eigenen Unbefriedigtsein, der Bewusstwerdung der eigenen Fehler, den Problemen meiner Angehörigen und Kollegen usw. Wenn also dieser Gang meiner inneren Gedanken sich mehr oder weniger in diesem mir – allgemein gesehen – fremden Material über ein Thema widerzuspiegeln beginnt.“