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SILVA AGOSTINI
 

„AM HELLLICHTEN TAG“ - VON NINA HOFFMANN ERSCHIENEN BEI KUNST-BLOG, MÄRZ 2009

Mit diesem Filmtitel im Kopf betritt man die Ausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin Silva Agostini. Was man vorfindet sind fotografische „Tatorte“ und Filmarbeiten welche die Ambivalenz zwischen Menschenwerk und Menschsein aufblättern.
Zwei Fotos eines Bauprojekts hängen nebeneinander. Sie zeigen zwei Stadien der Fertigstellung, sie sehen aus wie Orte in denen etwas passieren soll, eine Theateraufführung zum Beispiel; doch hier sind keine Freilichtbühnen abgebildet, sondern Wohnhäuser. Ohne dass sich dieser Inhalt aufdrängt wird einem bewusst, dass es sich hier um Orte im Osten Europas handelt. Das was wohl stattfinden soll ist Leben; als Wohlstand und Neuigkeit inszeniert, wird das Scheitern dieses Unterfangens ironisch deutlich. Die beiden Fotos sind menschenleer, wer hier einziehen und leben soll ist noch nicht angekommen und ist vielleicht als Element dieses Projektes letztendlich nicht vorgesehen. Eine grüne Bauplane erscheint als farbspektral verschobener Theatervorhang, im anderen Bild ist fast fertig gebaut und das Meer blitzt durch zwei Aussparungen im Hintergrund. Tatort: am Menschen vorbei gebaut.
Gegenüber liegt farbgewaltig ein Pool vor dem Meer, ohne Wasser, ohne Besucher, ohne Badende; ein hingeworfenes Stück Rollrasen verspricht vergeblich ein angenehmes Klima, der sturmumwölkte Himmel dramatisiert die Verwahrlosung. Der Pool und das Arrangement wollen Urlaubsträume wecken, doch Agostinis Blick ist erbarmungslos. Ohne Beiwerk und Protagonisten erzählen ihre Arbeiten vom übrig Gebliebenen und verweisen über den fotografischen Ausschnitt hinaus auf die Politik der Nutzung. Vom Menschen gemacht, am hellichten Tag. Obwohl verlassen deuten ihre Fotografien ganz deutlich auf den Geist und das Machwerk der Menschen hin. Beseelt und eindringlich geben Agostinis Bilder ein Interview über ihre Erlebnisse.
Begibt man sich weiter in die Galerieräume steht man vor der Arbeit “That Year, That Month, That Day“, einer 24-teiligen Fotoarbeit, jedes etwa in DinA3 Größe, alle über die Ecke in einer Reihe an die Wand gepinnt. Abgebildet sind kreisrunde Ausschnitte aus Hintergründen alter Familienfotos. Agostini schafft mit dieser Arbeit einen erstaunlichen Rahmen, der auch unser Verständniss ihrer anderen Arbeiten vertieft. Die sonst hauptsächlich Architektur abbildenden Fotos sind dieser Fotosammlung gegenübergestellt und fragen: Wann schlägt die Zeit der Dinge? Was bleibt übrig von einem Moment der einmal ein „Jetzt“ war? Dieser schon zur fotoimmanenten Floskel verkommenen Frage haucht Silva Agostini frischen Atem ein. In den Farben changierend zwischen vergilbt, sepia und neutral schwarz weiß, setzt „That Year...“ einen fotohistorischen Akzent in die Ausstellung und weist den kaschierten und gerahmten Farbgroßformaten den Platz des heutigen „Jetzt“ zu. Die runden Ausschnitte lassen Menschen ebenso außer Acht wie Agostinis großformatige Arbeiten und schicken diese doch ohne jegliche Melancholie in den Ring. Agostini stellt Hintergründe in den Vordergrund, denn diese sind reich an Atem, sie überleben, als Ort des Geschehens, als Tatorte.
Hier schließen auch die beiden filmischen Arbeiten an, die in der Czarnowska Galerie ausgestellt sind. „Vertical Rotation“ ist ein 16mm Filmloop der eine um 90 Grad gekippte Kamerafahrt zeigt. Verlangsamt stürtzen Häuser, Autos und Passanten die Projektion hinunter: eine Straße in der albanischen Hauptstadt Tirana. Verzerrt referiert der Streifen establishment shots des amerikanischen Kinos, erinnert zum Beispiel an Jarmuschs frühe Filmanfänge. Die Bauten, der Zustand der Ladenfassaden, die Passanten und die parkenden Mercedeswagen werden zu einer rotierenden Komposition die sich unentwegt wiederholt, die Kamerabewegung spielt uns lediglich einen Handlungsanfang vor, ein Vorspann zur Unendlichkeit.
Die Doppelprojektion mit dem Titel „Obstacle“ ist wohl die am ausgesprochen kritischste Beobachtung der Künstlerin, und auch das am wenigsten chiffrierte Statement über ihr Heimatland Albanien. Agostinis Fotografien sind Zeugnisse des Übersehenen, wohingegen „Obstacle“ ein scharfer Kommentar auf die Sichtbarkeit der Dinge ist. Ebenfalls gefilmt in Tirana, sieht man in der linken Projektion einen Mann rückwärts die Straße entlang gehen. In der sengenden Hitze schiebt oder zieht er mühselig eine schwer beladene Handkarre. Die rechte Projektion ist eine schonungslose Kamerafahrt entlang der besagten Straße, zu sehen sind Mauern, Tore, Steinwände; kein einziger Durchblick in den Lebensraum der Menschen ist zu erkennen. Albanien, vormals eisern von der Welt abgeschnitten unter Diktator Enver Hoxha, liefert hier ein neues Bild der selbst gewählten Abschirmung am hellichten Tag.
Silva Agostinis Ausstellung ist mehr als sehenswert. Sie umschifft alle Klichees der Kunst die sich mit dem Osten Europas beschäftigt und hinterfragt so unsere eigenen Seh- und Deutgewohnheiten. Ihre Identität als albanische, in Berlin lebende Künstlerin ist nicht Interviewthema sondern der allen Arbeiten zu Grunde liegende Tenor, die Klangfarbe mit der uns ihre Botschaften entgegenschallen.