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STEFANIE IPPENDORF
 

OHNE BLUT UND GEDÄRM BERLINER LEKTIONEN: HERMANN NITSCH

Für die einen ist Hermann Nitsch ein „Perverses Drecksstück“ und seine Kunst abartig oder krank – andere halten ihn für „Österreichs größten Gegenwartsmaler“ oder bezeichnen ihn als „Meister der Sinne“ und „Allroundkünstler“. Nitsch polarisiert. In seinen Aktionen und seinem >Orgien Mysterien Theater< (OMT) schlitzt er Tiere auf, nimmt sie aus, spritzt und schüttet Blut um sich. Das treibt nicht nur Tierschützer sondern auch Theologen und Moralisten auf die Palme. Dabei meint es der 1938 in Wien geborene Mitinitiator des Wiener Aktionismus doch nur gut mit uns. In seiner >Berliner Lektion<, einer von der Zeit – Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, den Berliner Festspielen und dem Medienhaus Bertelsmann initiierten Veranstaltungsreihe im Renaissance-Theater, hat Nitsch “aus dem Nähkästchen geplaudert“ und die Motivationen, Wurzeln und Inspirationen seiner Kunst erläutert.

Nitsch beschrieb seine Kunst als um zwei Pole kreisend: den des Schmerzes, Leidens, Entsetzens und den der Erleuchtung und des Lebensglücks. Das in den späten 1950ern entwickelte und auf den Begriff des Gesamtkunstwerkes hin angelegte >Orgien Mysterien Theater< sah er als therapeutische Maßnahme und stellte sie in Zusammenhang mit der Freudschen Abreaktion. Durch all die rituellen Tierschlachtungen, Blutschüttereien und Gedärmspiele in Kombination mit eigens komponierter Musik möchte Nitsch die „Spielteilnehmer“ zum intensiven Erleben, gar den sinnlichen Exzess führen und ihnen die Möglichkeit bieten, die Energien auszuleben, die sonst im zivilisierten Dasein verdrängt werden. In seinem Vortrag verwies Nitsch außerdem auf den aristotelischen Katharsis – Begriff, sprach vom „Grundexzess im Sein“ und ließ sich über das Numinose aus. Fleisch und Blut seinen ihm die erhabensten Materialien und sein erklärtes Ziel sei es nichts anderes als „wichtige Kunst zu machen“. Im Mysterienspiel und den „Opferhandlungen voll sinnlicher Pracht“ wolle er außerdem zur vollkommenen Lebensbejahung finden.

Neben der Darlegung seiner philosophisch, psychologisch, religiös und theatertheoretisch aufgeladen OMT – Theorie versuchte sich Nitsch in der kunsthistorischen Verortung seines Werkes. So reihte er sich mit Recht in die Geschichte des Happenings und der Aktionskunst ein, für die Allan Kaprow maßgeblich gewesen war. Aber nicht nur in Aktionen, auch auf der Leinwand tobte und tobt sich der heute in einem Schloß in Prinzendorf “residierende“ Künstler aus. Es wird „geschüttet, geplanscht, geschmiert“ und auch hier wird die Sinnlichkeit groß geschrieben. Seine Aktionsmalerei brachte Nitsch in Zusammenhang mit dem amerikanischen Action Painting und bezeichnete sie als „visuelle Grammatik“ seines gesamten Aktionstheaters“.

„Jeder Jeck ist anders Jeck“ würde man im Rheinland dazu sagen. Doch ist Nitschs Kunst ist auf dem besten Wege, von einer breiten Öffentlichkeit akzeptiert zu werden. Nach den vielfachen Skandalen um den “Kunstmetzger“, die ihm u.a. drei Gefängnisaufenthalte eingebracht haben, wurde Nitsch Anfang diesen Jahres der Eintritt in den “heiligen Theatergrahl“ gewährt und er konnte die 122. Aktion seines OMTs im Wiener Burgtheater aufführen. In Berlin wird der Künstler zudem mit einer großen Retrospektive im Gropius Bau beehrt (30.11.2006 – 22.01.2007).



Berliner Lektionen: Hermann Nitsch, am 19.11.2006

Weitere Sonntags-Matineen im Renaissance Theater mit Hebe de Bonafini, Henning Mankell, Michael Ballhaus und Tom Tykwer

www.berlinerlektionen.de
www.berlinerfestspiele.de

Stefanie Ippendorf