artmap.com
 
STEFAN ROIGK
 

UP.DATE. KUNSTVEREIN WOLFENBÜTTEL. 2004.

Klangkunst, Kunst also, die an zentraler Stelle mit Akustik arbeitet, hat sich mittlerweile einen festen Anteil am allgemeinen Kunstgeschehen erobert. Jeder sah sich bestimmt schon einmal mit Beispielen von Klangkunst konfrontiert, mit Installationen oder Objekten, die entweder selbst Klänge oder Gräusche produzierten oder aus denen diese ertönten. Vielleicht fällt Ihnen auch der eine oder andere Name ein, mit dem Sie das Phänomen Klangkunst in Verbindung bringen können. Schwieriger wird es allerdings bei der Zuordnung, bei der Analyse und Definition dessen, was Klangkunst ausmacht. Ist sie die Erbin jener, schon etwas älteren Kunst, die Musik und Töne ins Bild umsetzen bzw. umgekehrt dieses in ein akustisches Phänomen verwandeln wollte. Oder will Klangkunst einfach nur die Optik um die Akustik erweitern? Ein neues Material für die Kunst gewinnen, nachdem mittlerweile so viele andere Materialien den Status von Kunst erreicht haben?

Wie immer bei solch allgemeinen Fragen bleiben sie uns die Antwort schuldig, wenn wir uns auf den konkreten Einzelfall konzentrieren. In diesem Fall auf die Zeichnungen und Raumsituationen von Stefan Roigk. Lassen Sie mich deshalb zunächst einen kleinen Rückblick wiedergeben auf frühe Arbeiten von Stefan Roigk, die hier nicht zu sehen sind. Auf Objekte, die diesen Namen deshalb verdienten, da sie uns an bekannte Alltagsgegenstände erinnerten. An einen Tisch etwa oder eine mobile Putzstation inklusive Abfalleimer. An Objekte also, die latent Gebrauch oder Nützlichkeit suggerierten. Von und aus diesen Objekten ertönten Geräusche, manchmal vertraute wie die Schreibgeräusche eines Kugelschreibers, dann wiederum synthetische, die computergenereriert und mittels Zufallswiedergabe sich zu immer wieder neuen Kompositionen zusammenfügten. Mit viel Assoziationsvermögen entstand hier der Eindruck von Verfremdung. Das uns scheinbar Vertraute, das im wahrsten Sinne ?Gewohnte„, weil dem wohnlichen Ambiente entlehnt, hatte hier mittels Klang und Geräusch ein Eigenleben entwickelt. Die Geräusche glichen dem Atem eines Lebewesens; das Hörbare war Indiz dafür, das hier etwas zum Leben erweckt worden war. Nur versteckte sich dieses, in Anführungsstrichen ?Lebendige„ andererseits im Kleid des Toten. Oder weniger drastisch ausgedrückt: die Objekte wirkten aseptisch, abweisend, hermetisch verschlossen, wie ein Alien, der statt aus organischem aus anorganisch-synthetischem Material gebaut ist. Sie glichen entdomestizierten Haustieren, die sich selbst ausgewildert und die Region des Häuslichen und seiner Spielregeln verlassen hatten.

Nun war dieser Eindruck des Abweisenden, unterstützt durch die glatten und künstlichen Materialien von Stefan Roigk durchaus beabsichtigt. All diese Objekte entstanden aus der Haltung der Negation heraus, also aus einer grundsätzlichen Standortbestimmung der Gesellschaft gegenüber, wie sie uns von Adorno und anderen Theoretikern bekannt ist. Das Kunstwerk soll ihr zur Folge nicht mehr die Möglichkeit zur Identifikation oder Widerspiegelung bieten. Vielmehr in seiner Eigenschaft als abweisendes, als unzugängliches Objekt daran erinnern, dass es sich auch bei anderen Angeboten der Gesellschaft immer nur um Scheinidentitäten handelt. Das Kunstwerk der Negation übernimmt die Aufgabe den Menschen an den hohlen Schein seiner Umwelt zu erinnern. Es mahnt ihn daran sich nicht mit diesem gesellschaftlichen Blend- und Fassadenwerk zu identifizieren. ?Das Subjekt„, so hat ein anderer Autor einmal über Stefan Roigks Arbeiten geurteilt, ?erfährt an ihnen, dass es sich nicht verwirklichen kann.„

Stefan Roigk hat mittlerweile die Arbeit mit den an Möbel und andere Gebrauchsgegenstände erinnernde Objekte eingestellt. Nicht nur die Objekte selbst, auch der Klang liefen Gefahr zu sehr als Abbild oder als Klangphänomen aus Natur und Umwelt wahrgenommen zu werden. Seine aktuellen Werke weisen deshalb weitaus weniger imitative Nähe zu uns bekannten und vertrauten Gegenständen auf. Auf eine sehr subtile und ironische Nähe existiert sie aber gelegentlich dennoch. Zum Beispiel in den Titeln der Arbeiten. Eine heißt ?Gym„, Anspielung auf Gymnastikmatten, wie sie jeder von seiner Schulzeit her kennt.

Stefan Roigks Hinwendung zu einem mehr offenen und raumbezogenen Arbeiten bedeutet aber auch, dass die ideologische Strenge der ?Negation„ nun verstärkt in den Hintergrund tritt. Wenn er zum Beispiel in früheren Arbeiten den Klang dem Zufall überliess ˆ gleichsam als Gegenkonzept zur durchrationalisierten, von einer fatalen Logik bestimmten Gesellschaftsorganisation -, dann wendet er sich heute wieder der Klangkomposition und Partitur zu. In den Tönen und Geräuschen, die Sie hier hören, ist nichts mehr dem Zufall überlassen. Und auch in der hier gezeigten Umhängetasche tritt ein anderer als der bislang dominierende Umgang zutage. Zunächst erinnert sie ja aufgrund ihrer Wiedererkennbarkeit mit bekannten Gebrauchsgegenständen an Stefan Roigks frühe Objekte. Formal ist sie leicht mit diesen zu verwechseln. Doch ist dieses Objekt anders als die früheren zunächst und zuerst tatsächlich zum Gebrauch konzipiert worden. Dafür nämlich mit ihr, der klangangereicherten Tasche, durch Räume zu wandern und eine neue Raumsituation zu schaffen. Wer immer diese Tasche mit sich führt, verwandelt alles zur Ausstellung, wo immer er sich auch befindet: ob im Supermarkt oder in der Nationalgalerie.

Das Beispiel der Tasche zeigt darüber hinaus, dass die Haltung der Negation keineswegs parallel zum Negativen verläuft. Negation bedeutet nicht zwangsläufig etwas mit Negativen anzufüllen oder auf Negatives hinzuweisen. Das Negierte muss nicht unbedingt, sei es in direkter oder indirekter Form Gegenstand des Kunstwerks sein. Möglich ist es ebenso etwas zu schaffen, das sich nur in mininmaler Weise in Abhängigkeit oder in einer Art verkehrtem Einklang zum Bestehenden bringen läßt. Wobei das Wort vom ?Einklang„ bei Stefan Roigk und seinen Objekten gewiss einen zweiten Sinn bekommt. Einmal weil sie nicht ?einklingen„ in das allgemeine Läuten und Rauschen. Dann aber auch, weil sich ihr Klingen und Tönen gelegentlich durchaus stumm und still äußert. Und damit komme ich auf die Zeichnungen von Stefan Roigk zu sprechen. Denn auch bei ihnen handelt es sich um Klang-Gebilde, die Stefan Roigk ins Bild setzt. Zu ihrer formalen Ausführung dienten ihm unter anderem Motive der street art oder Comics als Anregung. Manche dieser Zeichnungen erinnern ja eindeutig an die Bildsprache der Comics. Und wie diese sind auch Stefan Roigks Zeichnungen von oben nach unten zu lesen ˆ oder sollen wir besser sagen zu hören - und werden durch Text kommentiert und ergänzt. Sie stellen Versuche, mitunter Anweisungen dar Klang anders wahrzunehmen, sich ein anderes als das gewohnte Hörbild zu verschaffen: mit Hilfe von Bildern, unterschiedlichen Linien-Formen, aber auch prosaischen und humorvollen Texten, wie zum Beispiel einem Rezept für ein akustisches Gericht, das die einzelnen Zutaten, sprich Geräusche bearbeitet und mischt als handelte es sich um echte Lebensmittel. Die Klassifizierung der Sinne, ihre Scheidung unter anderem in Hören und Schmecken wird dadurch aufgehoben und rückgängig gemacht. Allerdings sind diese Zeichnungen nicht als Skizzen misszuverstehen, trotz ihres, an Gebrauchsanweisungen erinnerden Charakters nicht als Kommentare zu den Installationen zu lesen. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um eigenständige Arbeiten. Was sie mit den Objekten und Installationen verbindet ist ihre Eigenart als Zeichnung. Denn auch sie, die Installationen und Objekte begreift Stefan Roigk als Zeichnung, als dreidimensionale Zeichnung im Raum. Beide, Zeichnung wie Installation erobern sich jede auf ihre Art und Weise den sie umgebenden Raum, egal ob die weisse Fläche des Papiers oder das durch Wände begrenzte Umfeld. Dass hierbei Klang, beziehungsweise die bildliche Vorstellung vom Klang eine so dominante Rolle spielen, gibt dann vielleicht doch eine erste Antwort auf unsere anfängliche Frage nach Klangkunst. Klangkunst käme im Falle von Stefan Roigk dem Versuch gleich ein Sinnesorgan zu schaffen, das die Beziehung des Menschen zu dem ihn umgebenden Raum neu gestaltet und wahrnimmt. In einem anderen als dem vertrauten Sinn der Redewendung geht es also darum sich Gehör zu verschaffen: nicht für das, was man selbst zu sagen hat, sondern für das Gehör selbst.

Wolf Jahn. 2004.