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TILMAN WENDLAND
 

MAGDALENA HOLZHEY: FLEXIBLE VERSPANNUNG (COPYRIGHT: 2006 AUTORIN)

FLEXIBLE VERSPANNUNG

Tilman Wendlands Zubauten und Einpassungen betonen, verschieben und vereinnahmen den Charakter eines Ortes, und das mit möglichst einfachen skulpturalen Mitteln. Mit sicherem Gespür für formalen Witz tastet Wendland den Raum auf Möglichkeiten hin ab, wo der künstlerische Formwille einhaken kann. So hat er im Kunstverein Mönchengladbach zum Beispiel das nach physikalischen Gesetzen wenig einleuchtende System einer Deckenheizung benutzt, um es formal zu akzentuieren und zu erweitern. Ob die herabhängenden Streifen dabei etwa eine Wärmeleitfähigkeit nach unten andeuten sollen, ist eine mögliche, jedoch keineswegs zwingende Interpretation.

Wendlands zentrales Anliegen ist die Schaffung besonderer Beziehungen zwischen Objekt und Umraum, die dem Betrachter – mit den Worten des Bildhauers Richard Serra – „neue Wege des Sehens“ ermöglichen (in: Loebens, Uwe: Torque – Richard Serra, Saarbrücken 1992, S. 15). Ganz im Gegensatz zu Serra verwendet Wendland dazu mit Vorliebe einfache Materialien: PVC, Papier oder MdF, in diesem Fall ein Ensemble aus weiß beschichteten Hartfaserplatten, die geschoben, gehängt, eingeklemmt sind, der Schwerkraft nachgeben, sich biegen, schlapp machen – ein moderner, billiger, geschichtsloser und anonymer Werkstoff, der vorrangig für Regal- und Schrankrückwände verwendet wird. Wendlands Zwecken kommt er vor allem wegen der materialeigenen Mischung aus Stabilität und Flexibilität entgegen.

Der amerikanische Minimal-Künstler Robert Morris hatte 1968 in seinem „Anti-Form“ betitelten Text sinngemäß erklärt, durch loses Stapeln oder Hängen werde dem Material wie beiläufig Form verliehen (in: Artforum, April 1968, S. 33f); er wollte den Blick auf die Materialeigenschaften und die Schwerkraft als Mittel richten, welche Formen hervorbringen, die nicht vorausbestimmt waren. Morris bezog sich dabei vor allem auf seine an die Wand gehängten und am Boden gehäuften Objekte aus Filzstreifen und –stücken. Die Eigenschaften des Materials und die Bedingungen der Schwerkraft haben eine Umkehrung des traditionellen Verhältnisses von Material und Form zur Folge: nicht das Material ordnet sich einer Form unter, sondern Form ergibt sich aus dem Material und dessen eigenen Gesetzen.

Tilman Wendland hat seine eigene Art „geplanter Zufälligkeit“ entwickelt, die stets auf die Gegebenheiten des Raumes reagiert. Dabei könnten Wendlands Eingriffe mitunter kaum simpler sein. In der Berliner Galerie Carlier | Gebauer hängte er ein großes weißes Stück Karton an seinem Scheitelpunkt über eine Stellwand mitten im Raum. Nicht nur wurde das Mobiliar der Galerie dadurch selbst zur Skulptur; vor allem schien der durch das Eigengewicht des Kartons entstandene Bogen exakt auf die gewölbte Decke des Raumes zu antworten.

Eine solches ortsspezifisches Vorgehen muss immer ein Maß an Unvorhersehbarem enthalten. Deshalb weiß der Künstler nie, wie die Installation aussehen wird, wenn er beginnt, mit einem Raum zu arbeiten. In einer vor kurzem eröffneten Ausstellung in der Berlinischen Galerie blieb am Schluss des Arbeitsprozesses nichts als ein weißes Blatt Papier von 2 x 2,85 Meter übrig, das am oberen Ende an der Wand befestigt war. Da Papiere dieser Größe nur von der Rolle zu bekommen sind, nutzte Wendland die Eigenschaften des Standardproduktes. Das Blatt biegt und rollt sich am unteren Ende von selbst ein, so dass vor und hinter der weißen Fläche jeweils ein kleiner Raum entsteht. Ein Moment der Freiheit: das Material ist sich selbst überlassen, der Formwille hat sich verselbständigt. Dabei weiß der Künstler dafür zu sorgen, dass dem auratischen leeren Blatt nie die Ironie abhanden kommt, indem die Eigenspannung des Standardproduktes auf solch lapidare Weise Form generiert.

Ökonomie der Mittel bedeutet für Wendland vor allem, das Potential des Alltäglichen zu nutzen; das heißt, auch die Logik und Praxis des Atelieralltags fruchtbar zu machen. Ein im Atelier herumliegender Tischtennisschläger, seinerseits eine vor Jahren verwendete Arbeit, kann leicht zum Anlass für ein Objekt aus Wellpappe werden – oder vielleicht hat das Wiederfinden des Tischtennisschlägers auch nur das Objekt erneut ins Gedächtnis gerufen, das dann als Foto in eine Ausstellung in Polen integriert wurde. Die Hefte, mit denen Wendland ab und an seine Ausstellungen begleitet, erzählen von diesen offenen Arbeitsprozessen, die sich in der Art assoziativer Analogieschlüsse fortspinnen. Stets geht es um Dinge, die miteinander Kontakt aufnehmen oder um Installationen, die als Echo von Orten funktionieren.

In der parallel zur letzten Berlin-Biennale ins Leben gerufenen, temporären Gagosian Gallery hat Wendland sein Material relativ gewaltsam in ein prekäres Gleichgewicht gebracht. In atmosphärischer Entsprechung zur wenig anheimelnden und etwas anstrengenden Ausstellungssituation hat er neun Standard-Hartfaserplatten aus dem Baumarkt in ein acht Quadratmeter großes Ladenlokal so hineingepresst, dass sie von selber hielten und sich gegenseitig stützten.

Im Kunstverein Mönchengladbach hat der Künstler skulpturale Prinzipien seiner vorangegangenen Arbeiten zusammengeführt. Der Raum, den die Objekte um uns herum erzeugen, ist charakterisiert durch einen starken Gegensatz von Spannung und Leichtigkeit. Tatsächlich nutzen die Arbeiten die beträchtliche Flexibilität des Materials zum Teil bis an seine Grenzen, was jedoch den Eindruck spielerischer, mit leichter Hand geführter Raumeingriffe nicht mindert. Verstärkt wird dieser Eindruck von Leichtigkeit durch die Assoziation der weiß beschichteten Hartfaserplatten mit großen Papierbögen – die einfach zusammengeschoben und zwischen zwei Wände geklemmt sein könnten, so dass sie einen Durchschlupf bilden.

Fast meint man, sich innerhalb eines Modells zu befinden, das skulpturale Setzungen als Verläufe im Raum erprobt, zeichnerischen Skizzen vergleichbar. Linien und Richtungen werden definiert, Breite, Länge und Höhe, Boden, Wand, Decke und Türen des Raumes mithilfe bildhauerischer Einpassungen vermessen. Der Betrachter bewegt sich durch einen Parcours, dessen Objekte im Zusammenhang wirken, als würden sie sich gegenseitig Formideen zuspielen. Der Windfang an der Tür versperrt den Eingang und ist gleichzeitig Schwelle und Pforte in den durch die Installation definierten Raum. Seine gebogene, einen eigenen Raum erzeugende Form greift der Durchschlupf auf, dessen Rundung sich wiederum im großen Bogen der hängenden Deckenkonstruktion fortsetzt. Ähnlich gekrümmt und infolge ihres Eigengewichtes nachgiebig sind die Zubauten, die von architektonischen Details des Raumes gehalten werden – das große Display an der Tür, die lange, herausgestreckte Zunge an der Wand. Wendlands Vereinnahmungstechnik funktioniert subtil. Er sucht die Kontaktstellen, wo Raum und Werk anfangen zu kommunizieren. Die Heizungsrohre an der Wand, die Verstrebungen der Decke und die Türöffnung sind selbst zum Träger oder gar zu einem Teil der Objekte geworden. Die Installation okkupiert den Raum – und der Raum beginnt zur Arbeit dazuzugehören.

Magdalena Holzhey
Düsseldorf, September, 2006



MMIII Kunstverein Mönchengladbach, 3. September—1. October 2006