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ULF AMINDE
 

RAIMAR STANGE ÜBER ULF AMINDE

Wenn fünf mehr oder weniger betuchte Hausfrauen sich die Haare föhnend in einem Kulturzentrum unter der Anleitung eines Künstlers Theater spielen und dabei u.a. sozialkritische französische Philosopheme rezitieren, wenn dazu das Berliner Art Critics Orchestra eine minimalistisch-rockige Version von Franz Schuberts Leierkastenmann“, 1827, spielt und zudem in einem nahe gelegendenden Kunstverein Videos laufen, und wenn zuvor sogar ein gecharterter Reisebus mit vor allem jungen Kunstfreunden zu diesem Event des Kunstvereins Arnsberg extra aus Berlin angereist ist und später die ganze Truppe zurück in die Spreemetropole fährt, um in der dortigen renommierten Volksbühne weiter zu spielen, dann handelt es sich sicherlich um ein Projekt von Ulf Aminde. Um das groß angelegte Projekt „Hidden chapter of my lost insistence“, 2010, nämlich, in dem auf verschiedenen Ebenen die real-existierenden Bedingungen und Möglichkeiten des Betriebssystems Kunst hinterfragt werden: Wer agiert da wie und wer ist Autor des Ganzen? Der Künstler? Seine Freunde? (Weibliche) Mitglieder eines Kunstvereins? Kunstkritiker? Und wo wird von diesen diversen Akteuren agiert? In Kunstvereinen, Kulturzentren, Theatern oder in schmucken Galerien und Museen? In der Provinz oder nur in der Hauptstadt? Schließlich: Was wird dann an diesen unterschiedlichen Kunstorten produziert? (Verkaufbare) Werke, politische Provokationen oder temporäre Kunstevents? Oder macht dies vielleicht gar keinen Unterschied mehr? In der „freien Enzyklopädie Wikipedia“ liest sich das im WorldWideWeb dann so: Ulf Aminde „verbindet Elemente aus Theater, Performance, Bildender Kunst und Film. Seine Arbeitsweise ist also nicht auf ein Medium beschränkt, er arbeitet mit Videos, Photographien, Zeichnungen, Texten und Aktionen, indem er Situationen inszeniert, die Fragen nach der Repräsentation des Sozialen entstehen lassen. Rollenfindung, Identität, Krise und seine eigene Position als Künstler stehen dabei zur Kritik“.

Szenenwechsel und es sei an die 4. Berlin Biennale 2006 erinnert, denn dort präsentierte Ulf Aminde einen der wenigen Highlights der ansonsten höchst umstrittenen Ausstellung, nämlich seine Filminstallation „Das Leben ist kein Wunschkonzert“, 2006. Auf 12 Monitoren waren 24 Straßenmusikanten zu sehen. Laien, aber auch Profis spielten da nebeneinander, jeder nur einen, aber selbst gewählten monotonen Ton. Über Lautsprecher waren dann die 24 Töne gleichzeitig zu hören – das Ergebnis war gleichsam ein disharmonisches Orchesterstück, dessen zufällig sich „komponierte“ Musik von so irritierender wie suggestiver Schönheit war. Die Bilder dazu zeigten die 24 Solisten nicht nur an ihrem luftigen Arbeitsplatz, in Unterführungen oder vor einem Supermarkt z. B., sondern gewährten auch Einblicke darüber, wie die Straßenmusikanten sich auf unterschiedlicher Weise der ihr gestellten Aufgabe näherten, mal eher relaxt, mal nervös, mal konzentriert, mal heiter ... Der Künstler Ulf Aminde agierte hier quasi als Ethnologe und Dokumentarist genauso wie als Dirigent und “Voyeur“, der hinter die Kulissen des Lebens als (bettelnder) Straßenmusikant schaut. Dabei gibt er den Handlungsrahmen der Arbeit vor, diesen können die Mitspielenden dann allerdings frei interpretieren. Wie auch bei „Hidden chapter of my lost insistence“ so vermischen sich auch bei der Installation „Das Leben ist kein Wunschkonzert“ verschiedene Orte von Kultur: Die Straße (und ihre Musik) dringt, frei nach Umberto Boccioni, ins (Kultur)Haus, Innen und Außen durchmischen sich dabei ebenso wie high and low. Anders als bei „Hidden chapter of my lost insistence“ aber leben und arbeiten die hier mitspielenden Akteure nicht in gutbürgerlichen Verhältnissen, sondern in eher prekären Lebensumständen. Besonders dieser Umstand ruft prompt eine Frage auf den Plan, die des öfteren angesichts Ulf Amindes Kunst diskutiert wird, und zwar die nach einer möglichen Instrumentalisierung der von ihm in seinen Projekten „genutzten“ Menschen.

Dazu jetzt ein kurzer Exkurs: Wenn Künstler mit Nichtkünstlern arbeiten, wenn etwa Christine & Irene Hohenbüchler psychiatrischh Kranke in „ihre“ Kunst integrieren, wenn Santiago Sierra mexikanische Arbeiter schuften lässt oder eben Ulf Aminde z. B. junge Punker, dazu gleich mehr, filmt, dann wird schnell der Vorwurf laut, hier werden Menschen benutzt, sozusagen als künstlerisches Material eingesetzt, und dieses gar zur symbolischen und konkreten Wertschöpfung für die Künstler. Ob all die hier mit agierenden Menschen dieses freiwillig, ja vielleicht sogar gerne tun, dass wird von den da ach so moralisch Anklagenden nicht gefragt.Genauso wenig wird die Frage gestellt, ob diese Mitspieler nicht sogar für ihre Mitarbeit bezahlt werden, was für viele Künstler dagegen nicht zutrifft. Ebenso wenig wird überlegt, ob die Mitarbeit der vermeintlichen Nichtkünstler, nicht, so oder so, letztlich gut für die „Instrumentalisierten“ ist, gut in dem Sinne, dass durch die künstlerische Arbeit ihre prekäre Situation, durchaus in der Traditionn von Bertolt Brecht übrigens, dekonstruiert und genau dadurch zur Diskussion gestellt wird, um dann als erkanntes Problem als veränderbar verhandelt zu werden. Diese Perspektive einer möglichen Besserung des Status Quo trifft dabei nicht nur auf soziale Verhältnisse im „echten Leben“ zu, sondern auch auf die im Betriebssystem Kunst. So haben nicht zufällig Christine & Irene Hohenbüchler für ihre künstlerische Arbeit den Begriff der „multiplen Autorenschaft“ geprägt und diesen der Vorstellung einer Autorenschaft scheinbar genialer Einzelkünstler entgegengestellt. (Vielleicht liegt gerade in dieser narzisstischen Kränkung bürgerlich-artistischer Autonomie der tiefere Grund für den Vorwurf, man würden in der Kunst „instrumentalisieren“, wenn sie offen mit Nichtkünstlern zusammenarbeitet.) Dass diese „multiple Autorenschaft“ sich meist nicht „auf Augenhöhe“ ereignet, liegt aber nicht an der Vermessenheit, dem Herrschaftsanspruch von Künstlern. Vielmehr ist diese Ungleichheit in real-existierendenen Hierarchien begründet, die der Künstler gerade dadurch, das er „die Ungleichheit seiner Protagonisten eingesteht“, wie Wolf Imblig in Hinsicht auf Ulf Amindes Arbeit richtig beobachtet, aufzeigen und aufbrechen will.

Bis zur Er/Schöpfung! Gilles Deleuze war es, der zwischen Erschöpfung und Ermüdung unterschied und dabei darauf hinwies, das die Erschöpfung durchaus produktive Kräfte für die nötigen, gerade in meinem Exkurs angesprochenen Veränderung freisetzen könne, die Ermüdung dagegen nicht. Genau in diesem Geiste tritt dann auch bei Ulf Aminde die Erschöpfung in Erscheinung, und zwar in seinem Video „quad III (Erschöpfung)“, 2007, aus seiner Arbeitsserie „Strasse ist Strasse und keine Konzeptkunst“. Bei diesem Video handelt es sich um ein Reemactment der TV-Stücke „Quadrat I + II“, 1980, von Samuel Beckett. Im TV-Studio laufen bei Samuel Becketts Stücke Menschen in monochrom-farbigen Mönchskutten die Linien eines auf dem Boden zu sehenden Quadrates ab. Ulf Aminde nun verlagert das Geschehen vom sterilen TV-Studio hinaus in das Stadtgebiet Bremens. Dort läuft ein obdachloser Punk, offensichtlich unter Einfluss von Alkohol, die rechteckige Form eines Belüftungsschachtes stoisch und ganz allein für sich nach – bis zu seiner völligen Erschöpfung, der Mann bleibt nach knapp 45 Minuten ermattet auf dem Boden liegen.Wie gesagt: Er/Schöpfung als Möglichkeit produktiver Veränderung gesellschaftlicher Missstände tritt hier auf dem Plan. Denn einen absurden Slapstick, in der Tradition von Charlie Chaplin vielleicht, hat der Künstler hier inszeniert und dabei die vermeintliche Ausweglosigkeit eines jungen, obdachlosen Punks so lapidar wie eindrucksvoll in künstlerische Form gebracht. Um dieser kritischen Aufladung mit sozialer Wirklichkeit willen, hat Aminde die asketische, minimalistische Sprache Samuel Becketts mit einem prallen, aber formal strukturierten Maß an prekärer Realität narrativ aufgeladen. Gleichzeitig hat er seinen, wenn man so will, kritischen Realismus dann, die eigene künsterische Strategie relativierend, an die Ästhetik des absurden Theaters angebunden. So handelt es sich bei „quad III (Erschöpfung)“ eben auch um ein Stück Ideologiekritik im umfassenden, nämlich sich selbt mit einschliessenden Sinne.