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CONNY BECKER
 

INTERVIEW: ERST KOMMEN DIE KÜNSTLER, DANN DIE AUSSTELLUNG – EIN PLÄDOYER FÜR EIN INTENSIVES AUSEINANDERSETZEN MIT DEM OEUVRE

Susanne Pfeffer, Kuratorin der KW - Institute for Contemporary Art, Berlin
Foto © Annika Kahrs
Neben seinen Bildern zeigte Susanne Pfeffer auch Joe Colemanns Wunderkammer "The Odditorium", 2007
Foto © KW Institute for Contemporary Art
Die Kunst-Werke (KW) haben seit 2007 eine neue Kuratorin. Eine Frau, die experimentierfreudig ist und Risiken nicht scheut. Damit scheint Susanne Pfeffer genau am richtigen Platz zu sein, gelten die KW doch auch international als einer der spannendsten Orte für zeitgenössische Kunst. Im Interview erklärt sie, was die KW ihrer Meinung nach ausmacht und was sie von anderen Ausstellungsorten unterscheidet.

Conny Becker (C.B.): Welche neuen Akzente wollen Sie in den Kunst-Werken setzen?

Susanne Pfeffer (S.P.): Die KW waren schon immer bekannt für ihr vielschichtiges Profil – eine Reihe großartiger Kuratoren, wie Klaus Biesenbach, Catherine David, Anselm Franke und viele mehr, haben hier Ausstellungen gemacht. Ich glaube, meine Arbeitsweise ist durch eine gewisse Experimentierfreude gekennzeichnet, die diese Vielfältigkeit noch weiter ausbaut. In sehr enger Zusammenarbeit mit den Künstlern konzentriere ich mich ganz auf die jeweilige Ausstellung. Meine Fragen und Themen sind dabei die, welche sich aus der Kunst selbst ergeben oder dort entwickelt werden. Je nachdem, mit welchen Künstlern ich arbeite, ergeben sich also immer wieder neue Schwerpunkte, Standpunkte und Perspektiven.

C.B.: Inwiefern unterscheiden sich Ihre bisherigen und geplanten Ausstellungen in den KW von denen, die Sie als Künstlerische Leiterin des Künstlerhaus Bremen kuratiert haben?

S.P.: Der unhintergehbare Ausgangspunkt für kuratorisches Arbeiten ist natürlich immer auch der spezifische Ort und die jeweilige Zeit. Berlin und Bremen sind ganz unterschiedliche Städte, und die beiden Ausstellungshäuser besitzen ganz verschiedene Historien und bieten damit auch ganz verschiedene Ausgangspunkte und Herausforderungen. Einige der Parameter sind wiederum sehr einfach. Joe Coleman beispielsweise konnte ich in dieser Ausführlichkeit nur in den KW zeigen, die eine Ausstellungsfläche von rund 2000 m2 besitzen. Nur so war es möglich, den gesamten Kosmos seiner künstlerischen Arbeit, aber auch seine private Sammlung, das Odditorium, zu zeigen.

C.B.: Gibt es einen roten Faden, der die von Ihnen kuratierten Ausstellungen verbindet, oder sollen sie alle möglichst unterschiedlich sein?

S.P.: Ich entwickle und reflektiere nicht explizit meine eigene Handschrift. Ich glaube auch, das führe sehr schnell zu einer künstlichen Beschränkung. Mein Ausgangspunkt sind immer die Künstler und ihre Arbeiten. Selbst meine Themenausstellungen entwickle ich aus den künstlerischen Positionen. Ich zeige Arbeiten, die ich interessant und spannend finde.

C.B.: Ihr Debüt bei den KW vergangenes Jahr war ein Wagnis, da Sie einem ‚Outsider-artist’ eine Einzelausstellung im gesamten Haus gewidmet haben – was bislang generell erst einmal, bei Katharina Sieverding, der Fall war. Wie kam es dazu?

S.P.: Joe Coleman hat jahrelang abseits des Kunstbetriebs gearbeitet und eine eigene Bildwelt geschaffen. Sein obsessives Werk besteht aus vielfältig aufeinander bezogenen Tafelbildern, Comics, Performances und einer ‚totalen Installation’, die er selbst Odditorium nennt. Coleman schöpft dabei die Möglichkeiten der verschiedenen künstlerischen Arbeitsweisen aus, er erkundet und verknüpft kompositorische Prinzipen der Ikonenmalerei, das zumeist unsichtbare Wissen aus dem amerikanischen ‚Underground’ und direkte Zitate aus allen Bereichen der Bildproduktion. Dadurch entsteht ein überwältigender Bilderkosmos, der in der zeitgenössischen Kunst seinesgleichen sucht. Die Einzigartigkeit des Werks von Joe Coleman, seine Fähigkeit, eine ganz eigene Bildwelt aufzubauen, aber auch der Umstand, vielen Menschen erstmals die Möglichkeit geben zu können, dieses Werk kennen zu lernen, ist für mich ausschlaggebend gewesen, Coleman für meine erste Ausstellung auszuwählen.

C.B.: Spielte dabei auch die Parallelität zur documenta in Kassel und zur Biennale di Venezia eine Rolle?

Selbstverständlich registriert man als Kuratorin den aktuellen Kunstbetrieb. Dennoch konzipiere ich meine Ausstellungen nicht allein in Abgrenzung zu anderen Kunstereignissen. Ich wollte eine sehr konzentrierte Position zeigen und dies gab den Ausschlag dafür, genau diese Ausstellung zu diesem Zeitpunkt zu machen. Und natürlich war klar, dass eine Position wie Joe Coleman weder auf der documenta noch in Venedig zu sehen sein würde.

C.B.: In der Präsentation fielen die farbigen und dramatischen Rauminszenierungen auf. Ist die Zeit der Fabriketagenästhetik mit weißgetünchten Wänden, mit der die KW bekannt geworden sind, nun eher vorbei?

S.P.: Mir geht es vor allem darum, die Kunst optimal zu präsentieren. Ich halte nichts von paradigmatischen Ansätzen. Jede Ausstellung, ihre Themen, ihre Kunst will etwas anderes und fordert andere Bedingungen und so müssen sich auch immer die Präsentationsformen ändern. Kunst optimal zu vermitteln, nach den passenden Brücken zwischen der künstlerischen Arbeit, dem Raum und den Besuchern zu forschen, ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit.

C.B.: Im Vorfeld des Interviews sagten Sie, Sie seien hierher gekommen, da Sie die KW für einen der „turbulentesten Orte für zeitgenössische Kunst in Deutschland und auch international“ halten. Was genau machen die KW Ihrer Meinung nach aus?

S.P.: Die KW sind ein Experimentierfeld für neue Themen und Konzepte und zudem ganz klar international ausgerichtet. Ihre hohe Aktualität und Vielseitigkeit beweisen sie seit langem durch die Auswahl ihrer Künstler und Kuratoren. Und auch das Publikum der KW zeichnet sich durch seine besondere kritische Aufgeschlossenheit aus. Jede Ausstellung ist ein Experiment, dessen Ausgang offen ist. Dem Risiko zu Scheitern, muss man sich immer stellen.

C.B.: Welchen Stellenwert nimmt die Kooperation mit dem P.S.1 Contemporary Art Center in New York bezogen auf das Ausstellungsprogramm ein?

S.P.: Es ist ganz wunderbar, über Jahre hinweg mit einer so wichtigen und inspirierenden Institution wie dem P.S.1 zusammenarbeiten zu können. Der intellektuelle Austausch steht dabei im Vordergrund. Die Möglichkeit, Ausstellungen an beiden Orten zeigen zu können oder gemeinsam zu entwickeln, eröffnet oft überraschend neue Perspektiven.

C.B.: Wie wichtig ist die berlin biennale für das Profil der KW?
Das Profil eines Hauses ergibt sich aus der Gesamtheit aller Tätigkeiten und Eigenschaften. Wir sind natürlich sehr stolz, dass die KW mittlerweile nicht nur Veranstaltungsort und Partner, sondern auch Träger der auf Initiative von Klaus Biesenbach gegründeten berlin biennale sind. Sie erzeugt durch ihr herausragendes Programm eine internationale Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit, die dem Haus auch über den Zeitraum der berlin biennale hinaus zugute kommt.

C.B.: Wie funktioniert Ihr Atelierprogramm? Was muss Künstler auszeichnen, damit Sie sie einladen?

S.P.: Meistens laden wir Künstler ein, mit denen wir für ein bestimmtes Projekt zusammen arbeiten oder die sonst in einer Art und Weise dem Haus verbunden sind. Es handelt sich bei dem Atelierprogramm nicht um ein Stipendium, sondern um einzelne Wohnungen, die von Künstlern für einige Zeit gemietet werden können.
Hierfür ist die Qualität der künstlerischen Arbeit allein entscheidend. Natürlich nutzen wir die Chance, Künstlern aus anderen Ländern und Kontinenten die Möglichkeit zu bieten in Berlin zu arbeiten.

C.B.: Existieren konkrete Initiativen der KW, um Nachwuchskünstler zu fördern, noch bevor sie als ‚Emerging artists’ bezeichnet werden?

S.P.: Initiative ist vielleicht nicht das richtig Wort und es darf auch nicht Kriterium allein sein, aber es liegt den KW schon sehr am Herzen, Künstlern, die bis dato noch nicht die Möglichkeit hatten, in einer Institution ihr Werk zu zeigen, diese Möglichkeit zu eröffnen und damit einhergehend ihr Werk einem größeren Publikum vertraut zu machen.

C.B.: Zeitgenössische Kunst wirkt derzeit populär; Biennalen und Messen sprießen allerorts aus dem Boden und zeigen immer mehr Künstler. Wie behalten Sie den Überblick und nach welchen Kriterien wählen Sie ihre Künstler für Ausstellungen?

S.P.: Es kann nicht darum gehen, dass man als Kurator jeden Künstler kennt. Das würde ja bedeuten, dass man nur noch den großen Kunstereignissen hinterher reist. Ich halte eine konzentrierte Auseinandersetzung mit den Künstlern und ihren Arbeiten für sehr wichtig. Aus dieser intensiven Beschäftigung heraus erarbeite ich meine Ausstellungen.

C.B.: Die Auguststraße hat sich in den letzten Jahren stark verändert und auch die KW erscheinen in dem renovierten Gebäude, nicht zuletzt aufgrund des von Dan Graham konzipierten gläsernen Café Bravo, sehr etabliert. Wird es in diesem Ambiente und bei der Größe nicht immer schwieriger, experimentelle Ausstellungen zu machen und unbekannte Künstler zu zeigen?

S.P.: Es wäre naiv anzunehmen, dass junge und innovative Kunst nur in unrenovierten, am besten noch dreckigen und unbeheizten Räumen gezeigt werden kann. Ich halte dies für eine etwas verklärte Vorstellung von ‚Off’-Kunst. Die KW gibt es seit rund 15 Jahren und man sollte dann nicht so tun, als hätte man eben erst angefangen.

C.B.: Wie sehen Sie die Position der KW im Vergleich zum Hamburger Bahnhof, der Berlinischen Galerie und dem Künstlerhaus Bethanien?

S.P.: Die KW sind eher ein Ort für bisher Unerprobtes, an dem Künstler neue Arbeiten schaffen, bevor eine internationale Karriere beginnt Der Hamburger Bahnhof setzt als Museum an einem ganz anderen Punkt des Weges eines Künstlers an. Die Absicherung spielt dabei eine wesentliche Rolle, denn Museen sind Orte des Bewahrens und Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses und sie stehen für eine gewisse Qualitätssicherung. Ein wichtiger Unterschied besteht zudem darin, dass der Hamburger Bahnhof über zahlreiche Sammlungen verfügt.
Die Berlinische Galerie entstand Mitte der 70er Jahre als privater Verein zur Förderung der in Berlin entstandenen Kunst, Architektur und Fotografie. Nach vielen Umzügen hat sie mittlerweile ein eigenes Haus, ist Landesmuseum und verfügt ebenfalls über eine beachtliche Sammlung. Der Sammlungsbestand beider Häuser fordert natürlich Tätigkeiten wie das Pflegen, Vermitteln und Erweitern der Sammlung und ist sicher immer auch wichtiger Ausgangspunkt der Ausstellungsplanung.
Das Künstlerhaus Bethanien wiederum beherbergt rund 25 Ateliers und ist damit ein Ort der Produktion. Künstler haben hier die Möglichkeit zu arbeiten und auszustellen. Es ist eine Art produktiver Ausgangspunkt für die künstlerische Entwicklung.
Als reines Ausstellungshaus haben die KW nicht diese Form der Verpflichtung gegenüber den Künstlern beziehungsweise den Sammlungen. Insofern kann ich natürlich unabhängiger arbeiten, ich muss auf keinen Sammlungsbestand Rücksicht nehmen und bin auch nicht gezwungen, die berechtigten Bedürfnisse der betreuten Künstler zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite ist das Arbeiten mit solch hervorragenden Sammlungen natürlich eine spannungsreiche Aufgabe, eine sehr direkte Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe. Und die Zusammenarbeit mit im Haus ansässigen Künstlern bietet die Möglichkeit, über lange Zeiträume sehr intensiv zusammen zu arbeiten, was ich persönlich sehr hoch schätze.

C.B.: Mit welcher Institution in London sind die KW am ehesten zu vergleichen und worin bestehen dennoch Unterschiede?

S.P.: Am ehesten mit der Serpentine und der Whitechapel. Den Vergleich ziehe ich aus ihren sehr aktuellen und immer wieder spannendem Ausstellungen, der vergleichbaren Ausstellungsfläche sowie dem Nichtvorhandensein einer eigenen Sammlung. Die Serpentine Gallery hat allerdings einen anderen Vermittlungsauftrag, was sich schnell an ihren anderen Schwerpunkten ablesen lässt. Sie bietet über die Ausstellungen hinaus auch ein umfangreiches ‚Education und Public Programm’ an und setzt außerdem einen zusätzlichen Fokus auf Architektur. Das Programm der Whitechapel Gallery ist noch weiter gefasst; hier kommen auch Veranstaltungen aus dem Bereich Film, Literatur und Musik hinzu.

C.B.: Ist es richtig, dass die KW in ihren Strukturen neue Wege gehen und es jetzt nach angloamerikanischem Vorbild auch Trustees gibt? Wie stehen Sie zu Sponsoring von Seiten größerer Unternehmen, wie man es in London etwa bei der Tate vorfindet? Muss sich hier in Deutschland künftig etwas ändern?

S.P.: Museen und Institutionen sind das Eigentum der Gesellschaft, sie sind für die Menschen da. Deshalb ist es so wichtig, dass sie eine staatliche Unterstützung erhalten, die gewährleistet, dass frei gearbeitet werden kann. Leider zieht sich der Staat immer mehr aus dieser so wichtigen Verantwortung zurück, so dass eine Institution, die ihrer Aufgabe nachkommen will, neue Wege gehen muss. Es ist daher nur sinnvoll, sich feste Partner zu suchen, die ein Haus über Jahre hinweg unterstützten. Ein Board mit Trustees kann dies gewährleisten. Darüber hinaus ist es natürlich klar, dass mittlerweile alle Institutionen mit Sponsoren arbeiten. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass dies eine Gefahr birgt, nämlich die, der oft von den Sponsoren geforderten Einflussnahme, die es dann schwierig macht, künstlerische Arbeiten oder auch Themen zu zeigen, die gesellschaftliche Sprengkraft haben, die politisch brisant sind oder Sehgewohnheiten in Frage stellen.

C.B.: Seit den 80er Jahren sind Londoner Museen gezwungen, sich über steigende Besucherzahlen zu rechtfertigen. Das hat zu einer Vielzahl von besucherorientierten Ausstellungen und innovativen Aktivitäten geführt. Wie wichtig ist das für die KW?

S.P.: Besucher sind wichtig, für sie werden die Ausstellungen gemacht! Trotzdem sollte meines Erachtens eine Institution immer auch frei und unabhängig Ausstellungen entwickeln. Wunderbar an den KW ist, ein sehr offenes Publikum zu haben, das von den KW auch erwartet, dass dort experimentiert wird und Positionen und Themen zur Diskussion anregen.

C.B.: Wie schätzen Sie den Kunstmarkt und die Kunstszene Berlins im Vergleich zu London ein?

S.P.: Für Fragen bezüglich des Kunstmarkts bin ich die falsche Ansprechpartnerin, das können die Experten aus dem Kunsthandel bestimmt besser beantworten. Die Kunstszenen beider Städte sind sehr virulent: Viele Institutionen, viele Galerien, viele Kulturschaffende, viele Medien und vor allem viele Künstler sind in beiden Städten aktiv.

C.B.: Ist Ihnen das Verankern im Lokalen, in der ‚Community’ von Berlin-Mitte wichtig? Möchten die KW auch Berliner Künstler fördern?

S.P.: Ich glaube schon, dass die KW einen besonderen Bezug zu Berlin-Mitte haben. Als sie 1992 gegründet wurden, waren sie die erste neue Institution im ehemaligen Ostteil der Stadt. Zusammen mit den Galerien Eigen & Art und Wohnmaschine entwickelten die KW eine sehr starke Dynamik, die auch dazu beigetragen hat, dass Berlin zu einem der wichtigsten Orte für zeitgenössische Kunst wurde. Heute scheint das fast selbstverständlich, zumal es inzwischen auch mit der Museumsinsel eine enorme Konzentration wunderbarer Museen und Ausstellungsorte gibt.
Was die Künstler betrifft, kann meiner Meinung nach immer nur die Qualität das Kriterium sein. Hier leben vergleichsweise wenig ‚Berliner’ Künstler, da sich immer mehr internationale Künstler in Berlin niederlassen. Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, wo jemand herkommt und wo er lebt. Mir ist das total egal.

C.B.: Vielen Dank für das Interview.