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DOREEN MENDE
 

AKTUALITÄT AKTUALISIEREN.

Grafik-Design einer dreitteiligen Publikation: Beatrice Barth, Katharina Köhler, Anna George-Lopez.
Essay zur Ausstellung "An artist certainly cannot compete with a man on the moon in the living room", kuratiert von Doreen Mende.

Kynaston McShine, Kurator der Ausstellung 'Information' im New Yorker Musem of Modern Art, konnte 1970 mit seiner Feststellung "An artist certainly cannot compete with a man on the moon in the living room." nur vermuten, dass sich die fotografische Darstellung der ersten bemannten Mondlandung unverrückbar im westlichen kollektiven Bildgedächtnis ablagert – nicht als Science-Fiction Erzählung, sondern als faktischer Bericht in Massenmedien wie Fernsehen und Zeitungen. Die visuelle Nachricht verdichtete sich zum Beweis "eines gigantischen Schritts für die Menschheit". Bis heute vereint diese fotografische Dokumentation, durchgeführt vom "ersten Mann auf dem Mond" – Neil Armstrong, alle folgenden Mondlandungen. Einmal im festen Bildrepertoire des Häuslichen gelandet, ist es nicht mehr wegzudenken aus der verführerischen Vorstellung einer Expedition ins All und auf den Mond, verbunden mit jener temporären territorialen Aneignungsgeste wie wir sie mit der Zirkulation dieser Aufnahmen verbinden. Regelmäßig erreichen uns Presseberichte über neue unternehmerische Einfälle, die nicht mehr nur den Mond ins Wohnzimmer bringen, sondern einen Privatraum im All versprechen. Astrox GmbH, eine Firma für "individuelle Geschenkideen" in einer bayerischen Kleinstadt, bietet für 29,95 Euro 1.000 qm Grundstücksfläche auf dem Mond, dem Mars oder der Venus an. Die Käufer erhalten ein Zertifikat. Jüngste Magazinberichte künden von ersten regulären Hochzeitsfahrten ins All im Jahr 2011 – die Werbung des joint-venture zwischen einer japanischen Hochzeitsagentur und einer U.S.-Firma lockt mit "Eternal Love in Space". Kürzlich wurde das SpaceShipTwo als touristisches Raumschiff der allgemeinen Öffentlichkeit vorgestellt: ab 2009 soll ein minutenkurzer All-Ausflug für 200.000 Dollar möglich sein. Et cetera. Das sind spektakuläre Geschichten in Wort und Bild. Dass aus spektakulären Geschichten und Visionen sowohl Kapital als auch Repräsentationsstrategien gewonnen werden, ist bekannt. Auch sei an dieser Stelle nicht die verschwörungstheoretische Frage gestellt, ob es sich bei der Abbildung von Buzz Aldrin nun tatsächlich um die erste menschliche Mondbegehung handelt oder ob ein fotografisches Trompe-l’œil eine Weltmachtposition der USA in Zeiten des Kalten Kriegs demonstrieren sollte. Vielmehr liefert das Kollektivbild der ersten bemannten Mondlandung hier den metaphorischen Ausgangspunkt für eine Unterscheidung zwischen Aktualität und Aktualisierung – auch in Hinsicht auf die Politik des Ausstellens im Raum – als Themenschwerpunkt der Gruppenausstellung VOLUME III: "An artist certainly cannot compete with a man on the moon in the living room".

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Spätestens seit der massenmedialen Berichterstattung über den Dritten Irak-Krieg ist auch in den verzweigten Winkeln der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt, dass eine visuelle Repräsentation der Ereignisse in tagesaktuellen Medien weder das Reale noch das Aktuelle transportiert. Um ein Ereignis als wichtiges Thema in der Öffentlichkeit zu etablieren, muss die Nachricht mit ihrer eindrucksvollen fotografischen Darstellung in die Medien eingeführt werden – sie wird durch ein Bild 'getaggt'. Durch die wiederholte Veröffentlichung der bild-gewordenen Nachricht und kleineren Folgemeldungen (Aktualisierungen) wird das Ereignis im kollektiven Bildgedächtnis manifest abrufbar. In vorliegender Publikation befinden sich 'Bilderbögen': über den Zeitraum der Erarbeitung der Ausstellung ist eine Sammlung entstanden, die einige dieser visuellen Schlagzeilen der letzten drei Monate dokumentiert. Erst durch eine gezielte Vervielfältigung und bildpolitische Verknüpfung der visuellen Information schreibt sich uns die Nachricht als Ereignis ein. Mit diesem Aspekt der Berichterstattung beschäftigt sich Roozbeh Asmani in seinem Ausstellungsbeitrag: er entscheidet sich für die Erfindung einer Kriminalgeschichte im Raum, in der der Beobachter selbst im Radius der Beobachtung liegt. Für die Veröffentlichung journalistischer Beiträge in Tageszeitungen ist ‚Aktualität’ nach wie vor ein wesentlicher Faktor. Im Unterschied zum Print-Medium können in der online-Version der Zeitung im Laufe des Tages mehrere Berichte zu den gleichen tagespolitischen Themen veröffentlicht werden; dazu geschaltete Leseforen korrigieren, demontieren oder kommentieren die veröffentlichten Informationen. Dem mittlerweile standardisierten RSS-Feed, der online-Form des Nachrichtentickers, unterliegen Mechanismen, die bestehende Informationen permanent überschreiben. Die aus den Printmedien behauptete Aktualität wird in der online-Zeitung kontinuierlich revidiert und mündet in Verfahren der Aktualisierung: vom Moment zum Prozess.

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Auf sozialer Ebene leben unzählige online-Portale vom Kapital der Echtzeit. Die Netzwerk-Plattform Facebook, "die dich mit den Leuten um dich herum verbindet" (Website), fragt "What are you doing right now?". Diese Frage kann kaum adäquat beantwortet werden, denn sie impliziert die Unmöglichkeit, die die im Augenblick eingetippte Information bereits veralten lässt, wenn man die Frage nach der Aktualität – dem "right now" – wirklich beantworten wollte. Die Aktualität von Fakten und Daten kann insofern nur eine Behauptung sein. Oder anders formuliert: die Buchstabenschrift fixiert einen Moment, der ab der Manifestation in die Schrift nicht mehr aktuell sein kann. Hier könnte die Grenze zwischen Aktualität und Gegenwart verborgen liegen. Die künstlerische Praxis von Petra Mattheis, eine der Künstler/innen der Ausstellung, ist in diesem Zusammenhang interessant: einige ihrer Arbeiten untersuchen die unvollendeten Beziehungen zwischen der sinnlichen Körperlichkeit im Verhältnis zur Sprache als Schrift-Objekt. Auch Sebastian Helms’ Beitrag für die Ausstellung thematisiert das Spannungsverhältnis zwischen Statik und Veränderung von Sprache zur Markierung von Orten. Zwar hat das Internet im Bereich der Berichterstattung die 'Aktualität' durch 'Aktualisierung' ersetzt, jedoch hinkt auch die Aktualisierung im Cyberspace bereits ihrer eigenen Zeitlichkeit hinterher, wenn die Tätigkeit des "right now" im Moment des Schreibens bereits vergangen ist und zum repräsentativen Zeichen wird oder nur räumlich manifestiert werden kann durch Beschreibungen wie "... is in Greece."

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Das Nachdenken über 'Aktualisierung' ist eng verknüpft mit einem Nachdenken über das dynamische Zusammenspiel von Raum und Zeit – dieser Prozess könnte als ein 'Werden von Aktualität' bezeichnet werden. Wie können Prozesse manifestiert werden, die sich jeglicher Fixierung in Raum und Zeit widersetzen, zum Beispiel Kommunikationsabläufe, die darauf aus sind, weitere Kommunikation auszulösen? Dieser Frage sind zum Beispiel Inga Martel und Sebastian Fischer auf unterschiedliche Weise in ihren Arbeiten für die Ausstellung nachgegangen. Wie können vergangene Ereignisse in das Hier und Jetzt (des Ausstellungsraums) übertragen werden, oder anderes gefragt: wie wird Information zur Textur für Wissensproduktion? Wodurch kann geschichtliches Material von seiner Repräsentationslast befreit werden? Insbesondere in der letzten Frage trifft sich der Student an der Kunstakademie mit dem Mann auf dem Mond. Anna George Lopez und Marek Brandt aktualisieren in ihren neuen Arbeiten für die Schau auf sehr unterschiedliche Weise historische Positionen der Kunst. In welchen Verhältnissen steht der junge Künstler zum Ballast von Kunst- und Gesellschaftsgeschichte? Institutionskritik ist in den letzten 30 Jahren in facettenreicher Form geübt worden: Weder Repräsentationspolitik, Ein- und Ausschlussverfahren, gesellschaftliche Verantwortung der Institution, weder die Zweckentfremdung des institutionellen Raums noch die Flucht daraus, weder Handlungsräume für minoritäre Kulturen und Lebensformen noch die Selbstkritik an biopolitischem Verhalten sind in künstlerischer Praxis vernachlässigt worden. Die oben erwähnte Ausstellung 'Information' aus dem Jahr 1970 bereitete als eine der ersten meta-institutionellen Präsentationen den Weg der Manifestation von Concept Art und Institutional Critique in den Müllhaufen der Kunstgeschichte. Ein Kunststudent der HGB Leipzig schlug letztes Jahr in einem Workshop verzweifelt vor, auf die x-te Welle der Institutionskritik doch einmal mit "Intuitionskritik" zu antworten.

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Er spricht das Drama aus, auf welches Gilles Deleuze antworten würde, dass im durchaus schmerzhaften Lokalisieren der Grenzen sich die Ideen erweitern: Die erlebte, körperliche Erschütterung als Methode, um dem Zirkel der an Erwartung gebundenen Repräsentation zu entkommen. Die Bedeutung des Körpers in der Wiederholung vergangener Ereignisse spielt in einigen Beiträgen eine Rolle. Manuela Kasemir hat die Wohnräume ihrer Kindheit aufgesucht, um bewusste oder unbewusste Situationen – so klar ist das nicht zu unterscheiden – durch subtile Veränderungen (Differenzen) wieder aufzuführen, zu aktualisieren. Katja Sudec untersucht die bildhafte Konstruktion institutionalisierter Rituale wie Taufe oder Hochzeit während Stefan Riebel auf einfache und prägnante Weise die eigene Verkörperung einer evolutionären Stufe thematisiert. Jedoch erst die Form der absichtslosen, verkörperlichten Repräsentationen birgt die "puren Mittel" (Giorgio Agamben über Guy Debords Filme) der Differenz und der Wiederholung, aus denen Ideen – und nicht Begriffe – aktualisiert werden. Und zwar aktualisiert in einer Weise, die nicht dem Konzept einer äußerlichen oder ungelebten Repräsentation unterworfen ist. In 'Differenz und Wiederholung' spricht Deleuze poetisch davon, "die Repräsentation bis hin zum Größten und Kleinsten der Differenz auszudehnen (...) dass sie die Macht des Taumels, der Trunkenheit, der Grausamkeit und gar des Todes einfängt." Diese Dramen entwerfen einen eigenen Raum, der ein 'Werden von Aktualität' zulässt.

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Ausstellen ist untrennbar mit Raum verbunden. Der Ausstellungsort in der Halle 14 beinhaltet eine Schönheit wie auch Last an historischen Schichten. Jedoch sei hier weniger auf die – insbesondere auch in Bezug auf die Baumwollspinnerei – oft kritisch diskutierte Umnutzung einer industriellen Architektur für kulturelle Zwecke verwiesen. Die Ausstellung unternimmt vielmehr den Versuch, nach der Aktualität dieses konkreten Raums im Rahmen eines spezifischen kulturellen Umfelds zu fragen. Einige Studenten wie Tibor Müller oder Lorenz Lindner stellen zum wiederholten Mal in der Ausstellungshalle der Klasse Joachim Blank aus. In unmittelbarer Nachbarschaft auf gleichem Geschoss befindet sich seit wenigen Monaten die Columbus Art Foundation; im September 2008 findet zum vierten Mal der Herbst-Galerierundgang auf dem Gelände der Baumwollspinnerei statt; mittlerweile haben Galerien aus New York und London hier ihre Dependancen eröffnet. Wenn wir den 'Universal Cube' betreten, begehen wir also nicht nur einen euklidischen Raum, sondern wir erleben die Produktion eines nicht-linearen und heterogenen Raums, der fundamental von politischen Fragestellungen geprägt ist: Wer wird ausgestellt? Wer wählt die Künstler/innen aus? Welche Sichtbarkeit beziehungsweise Unsichtbarkeit wird wofür hergestellt? In welchem Verhältnis steht das Raumprogramm zu anderen Ausstellungsräumen auf dem Gelände? Philipp Köhler beispielsweise thematisiert in seiner Installation die ‚Rückseite’ einer Ausstellung: mit seinem Tisch des Galeristen öffnen sich Bezüge auf die Galerien in unmittelbarer Umgebung, auf das Ausstellungsarchiv des 'Universal Cube' sowie auf die nahe Zukunft des Studenten, der kurz vor seinem Meisterschülerabschluss steht.

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Es ist hilfreich, an dieser Stelle über „Raum als ein Produkt von wechselseitigen Beziehungen“ nachzudenken, wie es die Geografin Doreen Massey in 'for space' vorschlägt. Auf die Produktion von Raum im Ausstellen bezogen, gehören zu diesem relationalen Geflecht die Gespräche zwischen den Künstler/innen, der Kuratorin oder möglichen Geldgeber/innen etc.: hier werden nicht nur die wesentlichen Entscheidungen getroffen, die letztlich zur spezifischen Präsentation im Raum führen, sondern es geht zudem um Transfers zwischen alltäglichen und institutionellen Situationen, aus denen der Raum temporär entsteht. Denis Luce lässt eine physische Leerstelle auf dem Gelände der Baumwollspinnerei entstehen, die in der Ausstellung in übersetzter Form erscheint. Was zunächst aus einer intuitiven Wahrnehmung von gewöhnlicher Umgebung beginnen kann, entfaltet sich im künstlerischen wie auch kuratorischen Prozess als ein Handlungsraum für strategische Operationen, die den Gebrauch des Raums multiplizieren. Für Diana Artus ist innerhalb dieser Textur (in ihrem Fall der urbane Raum) die körperliche Bewegung zentral, mit der Raum entsteht und bewohnt wird: in der Tradition eines Benjamin’schen Flaneurs hält sie an unvorhersehbaren Orten der Stadt inne, um sich diese durch Überschreibungsprozesse einzuverleiben. Solche zeit-räumlichen Dynamiken beschreiben ein ‚Werden von Aktualität’, welches den selektiven Blick des Beobachters in ein Spannungsverhältnis mit dem heterogenen Raum der Stadt bringt – das heißt im Umkehrschluss, auch der selektive Blick kann nie vollständig sein, birgt jedoch eine Spezifikation, die Produktion von Wissen ermöglicht. Deutlich zeigt uns wiederum das Internet, dass jede Auswahl faktisch ein Fragment von vielen ist. Im Internet finden wir Benutzeroberflächen eines gigantischen Datensystems, welches noch kein Wissen produziert, sondern zunächst Informationen auslegt. Der Nutzer flaniert durch die Ergebnisse seiner Suchanfragen als ginge er durch ein endlos verzweigtes Netz von Passagen: er findet wie Walter Benjamin Reklameschilder, Warendisplays, Schaufenster, Prostituierte und Katakomben. In diesem Zusammenhang kann auch der Beitrag von Kathrin von Ow angesiedelt werden. Mittels der Verwendung von marktgerechten Stellwänden als Ausstellungsdisplay thematisiert ihre ausgebreitete Materialauswahl eine Vereinheitlichung vielfältiger Lebensformen – Werbung oder Boulevard-Journalismus sprechen jedoch von Individualität, die nun zum Trugbild ihrer selbst wird.

Die Ausstellung VOLUME III "An artist certainly cannot compete with a man on the moon in the living room“ ist das Resultat eines mehrmonatigen Kommunikationsprozesses. Wesentlicher Teil der Ausstellung ist die vorliegende Publikation, durch die raum-zeitliche Dynamiken VOR der Eröffnung einer Ausstellung thematisiert werden sollen – die Ausstellung selbst kann auch als ein ebensolcher Ausschnitt aus diesem andauernden Produktionsprozess eingeordnet werden. Weder ist die Publikation als Dokumentation noch als ein ausstellungsbegleitender Katalog angelegt. Das vorliegende Print-Objekt ist ein Werkzeug, um sowohl dem Deleuzianischen Drama von dem ‚Werden von Aktualität’ als Ausstellungsinhalt als auch der Politik des Veröffentlichens hinsichtlich des Ausstellens nahe zu kommen. In Bezug auf die Aktualisierung von Veröffentlichungsstrategien der NASA gibt vielleicht eine eingehende Recherche der kürzlich der Allgemeinheit zugänglich gemachten Bilddatenbank auf nasaimages.org mit Material aus 50 Jahren der US-amerikanischen Bundesbehörde für Luft- und Raumfahrt Aufschluss ...

Doreen Mende, August 2008


VOLUME III "An artist certainly cannot compete with a man on the moon in the living room" vom 06. September bis 11. Oktober 2008 im Universal Cube der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. www.universalcube.de