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DOREEN MENDE
 

VERDECKTE ADRESSDATEN AUSSTELLUNGSPROJEKT IN ZWEI TEILEN ÜBER ZERSTREUTE ÖFFENTLICHKEITEN UND DAS FLUGBLATT ALS MEDIUM DER KRITIK

Design (c) Tilman Schlevogt / Edition Taube, Stuttgart
Design (c) Tilman Schlevogt / Edition Taube, Stuttgart
Mit der Verbreitung des Schreibens gehen Bedingungen einher, durch die eine Information von einem Ort zum anderen transportiert werden kann. Flugblätter haben keinen erkennbaren Ursprung, können im Geheimen produziert werden. Wenn das Gedachte, Geschriebene, Gemachte nach außen gestellt wird, verschiebt sich das Moment der Produktion ins Öffentliche: Fliegende Blätter machen es schwierig, das Territorium genau zu erfassen. Sie fliegen unkontrolliert auf Plätze und Straßen.

Zu den bekanntesten Aktivitäten der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gehören Flugblatt- und Wandschriftaktionen, die zum Protest gegen das nationalsozialistische Machtregime aufriefen. Im Sinne einer Gegenöffentlichkeit versuchte die Gruppierung, widerständiges Wissen zu verbreiten, und griff dabei auf Medien zurück, die eine Distribution dieser Informationen unter den gegebenen Umständen möglich - wenngleich nicht ungefährlich - erscheinen ließ. Die politische Dimension der Aktivitäten bestand nicht nur in den Gedanken und Schlussfolgerungen, sondern vor allem in der Tätigkeit des Vermittelns, in der Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit, die mit den verteilten oder verschickten Flugblättern oder - in einem weiteren Sinne - durch die kurzfristig im Stadtraum auftauchenden Schriftzüge erreicht wurde. Geht man vom heute gebräuchlichen Sinn eines Flugblattes aus, dann erstaunt die Tatsache, dass die Weiße Rose ihre ersten Schriften nicht im öffentlichen Raum verteilten, sondern an ausgewählte, dabei möglichst breit gestreute Adressaten anonym verschickten. Mit dem Flugblatt verbindet diese Art der Verteilung nicht der öffentliche Ort oder der Inhalt, sondern vielmehr die Verbindung der verschiedenen Adressaten durch das geteilte Wissen. Die Nachrichten kamen unerwartet und unvorhersehbar und unterbrachen das Denken.

Wir haben diesen Moment, an dem die Begriffe der Öffentlichkeit und der Veröffentlichung sehr konkret und anschaulich werden, zum Ausgangspunkt dieses Ausstellungsprojektes gemacht. Die "Weiße Rose" gehört zu den bekanntesten Widerstandsgruppierungen aus dem Nationalsozialismus, und es erscheint uns gerade aufgrund ihrer Aktivitäten wichtig, neben den Motiven auch die Mechanismen der Handlungen und ihre mikropolitischen Implikationen zu sehen. Die Frage des politischen Systems äußert sich ja immer auch über ihre Wirkweise im Alltag und in Bezug auf grundlegende, geteilte Normen und Werte. Die Frage der Öffentlichkeit spielte dabei für die Aktionen der "Weißen Rose" eine entscheidende Rolle - sie war Thema und Medium der Kritik zugleich. Nicht zuletzt sind es zudem Fragen, die sich nicht losgelöst geschichtlich behandeln lassen, sondern die mit dem Nach-Leben der Aktivitäten und damit auch dem Sinn des Gedenkens zu tun haben.

Man könnte sagen: Eine Gedenkstätte ist nicht nur ein Ort des Erinnerns. Sie ist auch ein Ort des Weiterdenkens, ein Anlass, eine Markierung, an der sich Vergangenheit und Gegenwart kreuzen. Historische Ereignisse, in diesem Fall konkrete Handlungen von Personen, werden zum Spiegel, in dem sich die eigene Situation und Subjektivität bricht. Allgemeiner gesprochen, ist der Adressat nie einfach nur ein passiver Empfänger. Mit dem Lesen und Betrachten beginnt ein Prozess des Vergleichens und Differenzierens. Mithilfe der Imagination eignet man sich die Vergangenheit an, jedoch immer und notwendigerweise aus der Perspektive des Jetzt. In Wörtern und Sätzen aneinander gereihte Buchstaben bewegen das Gedachte von einem Ort zum anderen. In Filmen und Zeitungen aneinander gereihte Bilder de-platzieren das Geschehen im Gezeigten. Ob es verständlich ist oder nicht, die innere Stimme beginnt nachzusprechen, was aufgeschrieben ist. Auch das Auge beginnt sich an Bilder zu gewöhnen. Schreiben ist Aus-Stellen. Ein Bild machen ist Aus-Stellen. Ein Nach Außen stellen: mit dem Stift, mit der Schreibmaschine, mit der Computer-Tastatur. Dann versandt und verteilt, auf der Straße und im Internet, um aufgenommen zu werden. Dieses Erinnern im Sinne eines prozesshaften Begreifens der Vergangenheit anhand von ausgestellten Objekten oder Informationen ruft ins Bewusstsein, dass die Verarbeitung von Gelesenem oder Gesehenem kein passiver, sondern vielmehr ein aktiver, performativer Vorgang ist. Im Betrachten einer Ausstellung oder dem Lesen eines Textes konstruiert sich die Bedeutung aus der Information im Moment des Erfassens und Begreifens.

Statement-Text zum Projekt von Doreen Mende and Axel John Wieder



PLATFORM3 is delighted to present a joint project initiated by the White Rose Foundation e.V., which explores the role of pamphlets as a means of political resistance. Verdeckte Adressaten examines historical forms of media communication as well as the distribution paths of regime-critical content, with the goal of transposing them into the present and developing new artistic formats to house them.

This project was initiated in memory of Dr. h.c. Anneliese Knoop-Graf. She was the younger sister of Willi Graf, one of the members of the Weiße Rose murdered by the Gestapo, and worked tirelessly until her death on August 27th, 2009 to further the legacy of the Weiße Rose. In his farewell letter on the day of his execution on October 12, 1943, Willi Graf asked his sister to convey one last wish to their friends: "They must continue what we have started."



Opening and Performance: 14. July 2011
19h Performance: Loek Grootjans (NL)
20h Curator's talk: "Strategien des Gedenkens/Kulturen des Erinnerns"

Part 1: 15. - 28. July, 2011
Exhibition: Loek Grootjans (NL)
Thomas-Mann-Halle, LMU München
Opening hours: Mo-Fr 11-17h, Wed 12-18h

Part 2: 8. - 25. November, 2011
Exhibition and publication: Metahaven (NL), Katrin Mayer (D)
Lichthof/ Denkstätte Weiße Rose, LMU München
Opening hours: Mo-Fr 10-16h

Thanks to: Family Knoop, Ludwig-Maximilians Universität München, Rischart_Projekt

A project by Weiße Rose Stiftung e.V.
Artists: Loek Grootjans, Katrin Mayer and the design group Metahaven
Curators: Doreen Mende, Axel J. Wieder
Project Management: Marlene Rigler, PLATFORM3
Project Coordination: Sven Christian Schuch


platform3.de
www.weisse-rose-stiftung.de