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JORINDE VOIGT
 

(D) JORINDE VOIGT / ‘REWRITE - CONSTELLATION OF ONE’ GALERIE FAHNEMANN / FAHNEMANN PROJECTS, BERLIN / MAERZ 2008

Galerie Fahnemann / Fahnemann Projects
Gipsstr. 14, 10119 Berlin
Ausstellungsdauer 30. März bis 17. Mai 2008
Eröffnung 29. März 2008, 19-21 Uhr

Jorinde Voigt
ReWrite - Constellation of One

Fahnemann Projects freut sich mit “ReWrite – Constellation of One” die zweite Einzelausstellung mit Werken der Künstlerin Jorinde Voigt ankündigen zu können.
Ihr Ausstellungsdebut gab Jorinde Voigt im Jahre 2007 bei Fahnemann Projects mit “Perm Millennial”, einer Serie von Zeichnungen, die eine rätselhafte, prähistorische Zeit zum Gegenstand hatte. Schlug sich in diesen gezeichneten Notaten zunächst die Präsenz einzelner Elemente nieder, so ging die Künstlerin später dazu über, sie durch das Einbringen markanter Mechanismen wie sich wiederholende rhythmische Strukturen von Popsongs, Temperaturverläufe oder hoch oben fliegende Adler zu systematisieren. Dieser einzigartige Ansatz, die Zeichnung als Denkprozess zu begreifen, führt nicht nur dazu, sich mit dem Unterschied zwischen dem Nicht-Geschriebenen (Vieldeutigen) und dem Geschriebenen (Eindeutigen) zu befassen, sondern bietet auch eine höchst subjektive Darstellung von Systemen, deren Parameter die Künstlerin zunächst festlegt, um dann bestimmte Strukturen aus sich selbst heraus entstehen zu lassen.
Führten uns Jorinde Voigts Triptychen des Perm-Zyklus mit ihren aufwändigen Notaten aus der Vieldeutigkeit in die Eindeutigkeit, so stellt ReWrite eine Herausforderung oder buchstäbliche Über-Schreibung des Vertrauten in den Mittelpunkt. Mit Zeichnungen wie ReWrite I, II, III, IV fordert uns Voigt zum Überdenken gewohnter Haltungen zu der uns umgebenden Topographie (sowohl physischer als auch metaphysischer Art) auf, indem sie die Rotationskraft roher Geräusche darstellt, innerhalb derer ein Fixpunkt, im Verhältnis zu normierten Kompasseinstellungen, sich zu orientieren sucht.
In diesem Prozess bringt Voigt eine Art Verschiebung zum Einsatz, die durch das Verhältnis der Kompassnadel zu jedem einzelnen Parameter alle nur möglichen Variationen abtastet, wobei eine endlose Rotation entsteht, die Verbindung oder Verlässlichkeit von Regelmäßigkeiten oder Mustern unterläuft. Hier wird vielmehr die Unregelmäßigkeit zum Muster. Diese Verschiebung ist uns schon zuvor in Jorinde Voigts Werk begegnet – sei es in ihren Skizzierungen musikalischer Phrasen, die sich entlang gestaffelter Zeitlinien entwickeln oder in ihren früheren Arbeiten, in denen Zeitphasen wie Notenlinien angelegt wurden, nur um dann durch Flugzeuggeräusche, Stimmengewirr in einem Café, Donner oder Explosionen durchbrochen zu werden.
Dieses Element der Verschiebung entfremdet uns vom Vertrauten und lässt an Bertolt Brechts Verfremdungseffekt1 denken, in dem Brecht davon ausging, dass die Realität des Zuschauers lediglich konstruiert und somit potentiell instabil und veränderbar ist. Brecht erreichte diesen Effekt durch Mittel wie höchst unrealistische Lichtbedingungen, große Plakate, die dem Publikum vorgehalten wurden und einem Wechsel der Zeitformen zwischen Präsenz und Präteritum innerhalb der Dramentexte. Tatsächlich kann man Voigts scheinbar chaotische Kombination von Elementen wie z. B. Rennwagen und Temperaturverläufen, die die Koordinaten ihrer Arbeit bilden, im Zusammenhang mit Brechts künstlichen Irritationen betrachten. Sogar Brechts fiktive Darstellungen historischer Ereignisse erinnern an Voigts Über-Lesungen natürlicher Prozesse, die nicht als festgelegter Wert sondern als Vorschläge rezipiert werden sollten, die uns in die Lage versetzen, in einen vom Objektiven bestimmten Raum einzutauchen.
War die Verschiebung in Voigts früheren Arbeiten ganz direkt, so wurde sie im Verlauf ihrer künstlerischen Entwicklung bis hin zu den Arbeiten für ReWrite mehr und mehr durch Motive sich entfaltender Rotationen ersetzt. Diese spielen auf Elemente des natürlichen Wachstums, Fortschritts und Rückzugs an, zeigen jedoch auch eine ausgeprägte Freude an der Bewegung, vielleicht sogar am Tanz.
Über ihre Arbeiten zu ReWrite sagt die Künstlerin, dass sie bei der Entwicklung dieser Verrückungen von Raum und Zeit eine Welt, die ihr sehr fern schien, an sich heranführen konnte. Dabei wird eine andauernde Gegenwart geschaffen, die sich in den Notaten als unaufhörliche Tonschleifen und Schwärme fliegender Pfeile abbildet. Wie die Adler auf ihren Zeichnungen, die weit oben am Himmel fliegen, hat Jorinde Voigt sich von der kulturellen Oberfläche abgewandt, um diese in einen Zustand wirklicher Bedeutung zu überführen.
1 Künstlerische Distanzierung, Verfremdung
Andrew Cannon
Deutsche Übersetzung: Stephanie Rupp