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JORINDE VOIGT
 

(D) PERM MILLENNIAL

Jorinde Voigt
„Perm Millennial“
Fahnemann Projects, Berlin
06.Juni bis 21. Juli 2007

von Andrew Cannon

Fahnemann Projects freuen sich, in ihren Räumen „Perm Millennial“, die erste umfassende Einzelausstellung mit Arbeiten der Künstlerin Jorinde Voigt, vorstellen zu können.

Mit „Perm Millennial“ bezieht sich Voigt auf eine „prähistorische“ Zeit – eine Zeit ohne schriftliche Zeugnisse, in der sich Begriffe, Namen und Bezeichnungen willkürlich umschweben. In diesem Kontext erscheint die prähistorische als eine anonyme Zeit, deren exakte Definition stets eine Sache der Diskussion und Auseinandersetzung bleiben wird. Diesem Status der Offenheit ( und Verletzbarkeit) setzte man bald Strukturen entgegen, die schnell zu Glaubenssystemen einer Menschheit wurden, die ihren prähistorischen Zustand überwinden wollte. Neben den Religionen waren Mathematik, Geometrie und die Wissenschaften Teil dieser Systeme. Ausgestattet mit eben jenen Glaubensstrukturen, begann man, Muster zu erkennen und notieren. Die Zeugnisse dieser Muster und deren „Ausstellung“ wurden zum Synonym für Spiritualität und die Existenz einer „Ordnung der Dinge“.(1) Mit „Perm Millennial“ akzentuiert Voigt die Grenzlinie zwischen dem Nichtgeschriebenen und dem Geschriebenen. In diesem Zusammenhang fungieren die Zeichnungen als Notationen. Geschichte wird durch die Art und Weise, wie sie aufgeschrieben wird, zu Geschichte. Darin liegt unsere zivilisatorische Leistung.

Während jedoch die gesellschaftskritischen Denker Strukturen zu durchdringen suchten, um natürliche Parameter freizulegen, sind bei Voigt solche Parameter die Vorgabe, innerhalb derer sich Strukturen und Kompositionen entfalten und aufscheinen. Da Voigt in der Festlegung ihrer Parameter von so unterschiedlichen Herangehensweisen beeinflusst wird wie zum Beispiel Leonardo Di Pisas „Fibonaccifolge“, die Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit Wachstum und Vermehrung in der Natur ist, erscheint es nur folgerichtig, dass eine Arbeit wie „2 küssen sich (zu 2 Seiten)“ an die Form eines Wirbelsturms oder die Struktur eines Flügels erinnert.

Auch Voigts Serie „Pfeile“ arbeitet mit der Idee der Dynamik und Entropie. Hier wird ein aufwärts weisender Pfeil so oft verdoppelt und vervielfältigt, dass der Betrachter Zeuge eines stringenten, kraftvollen Stroms wird. Manchmal fordern die Parameter dieser Zeichnungen, dass ihre Ströme in sich selbst zurückkehren, energetische Kugelformen annehmen oder im Zick-Zack durcheinanderwirbeln wie Atome. In diese visuellen Systeme integriert Voigt Flugobjekte wie Adler oder Flugzeuge, die den Luftraum stören und verändern oder schnelle Sportwagen, die der Erdoberfläche rasante Streifenzeichnungen aufprägen. Voigt bändigt diese kraftvollen Elemente häufig durch zufällig wirkende, zeitgebundene Mechanismen wie die rhythmischen Strukturen eines bekannten Popsongs oder Systeme fallender bzw. steigender Temperaturen (‚O.T. – Temperaturverlauf’).

Im Gegensatz zu den früher gezeigten Arbeiten von Jorinde Voigt, die eine Art visualisierter Algebra implizierten, sind die Zeichnungen für „Perm Millennial“ sehr viel komplexer und tiefgreifender. In diesem Zyklus finden sich die Notationen außerhalb des unmittelbaren Bildfokus und helfen dem Betrachter, die Wirkkräfte der Arbeiten zu verstehen.

Es ist die sonderbar anmutende Kombination von Elementen und Systemen, die Voigts Zeichnungen Originalität und besonderen Ausdruck verleiht und so einen tiefen Eindruck beim Betrachter hinterlässt.

Andrew Cannon

(1) Wie es Michel Foucault in „Die Ordnung der Dinge“ (Les Mots et les Choses), herausg. 1966, untersuchte.