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JORINDE VOIGT
 

(D) VERFLECHTUNG, ZITATION, VARIATION UND ERFINDUNG

Verflechtung, Zitation, Variation und Erfindung

von Anna Straube



Botanical Turn*

„Text heißt Gewebe;“ sagt der Große Semiotiker
„aber während man dieses Gewebe bisher immer als ein Produkt, einen fertigen Schleier aufgefasst hat, hinter dem sich mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, dass der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet.“


Botanical Turn*

Beispiele:
[1] Ich studiere Botanik.

Gegenwörter:
[1] Zoologie (Tierkunde), Mikrobiologie

Redewendungen:
[1] durch die Botanik (durch die Pflanzen) toben


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1. biologien

Seit Beginn der Philosophie war die Natur des Lebens, des Lebendigseins, ein Rätsel.

Der Große Philosoph versuchte dies dadurch zu lösen, dass er das "Lebendigsein" einfach ignorierte. Ein Organismus ist weiter nichts als eine Maschine, sagte er.
Die Natur lief wie eine gut geölte Maschine, und die Lebewesen bildeten eine Kette der Wesen, vom Einzeller bis zum Engel.
Was ist Leben? Warum lebt eine Pflanze, wodurch unterscheiden sich Pflanzen von toter Materie?

Die Blütenköpfchen sind bei Sonnenschein geöffnet, in der Nacht und bei Regenwetter geschlossen.

Etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts kam endlich einige Klarheit in diese Fragen. Erstens wurde offensichtlich, daß die Lösung nicht von einem Philosophen ohne biologischen Hintergrund gefunden werden könnte.

Die Evolutionsbiologie versucht, Antworten auf Warum-Fragen zu geben. Experimente sind gewöhnlich nicht geeignet, um Fragen nach der Evolution zu beantworten. Wir können kein Experiment zum Aussterben der Dinosaurier oder zur Menschwerdung durchführen.
Würde man eine Grenze zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften ziehen, so würde sie mitten durch die Biologie verlaufen.

Eigentlich müsste das Fachgebiet "Zoologie" heißen; denn das griechische "zoe" bezieht sich auf das organische Leben (nicht nur der Tiere), während mit "bios" die Lebensweise speziell der Menschen gemeint ist. In der griechischen Antike war der "Biologos" denn auch kein Wissenschaftler, sondern ein Schauspieler, der das menschliche Leben darstellt.

Pflanzen entstehen von selbst, aus Samen oder aus Teilen der Mutterpflanze.

Ein weiteres Prinzip, das nicht zur Biologie paßt, ist der Determinismus.
Tatsächlich produziert blinder Zufall die Variation.
Es ist gerade die Zufälligkeit der Variation, die so charakteristisch für die Darwin'sche Evolution ist. Dennoch ist die relative Bedeutung des Zufalls im Evolutionsprozess auch heute noch sehr umstritten

Der Spartaner Hyacinthos, von Apoll geliebt, wurde in eine Blume gleichen Namens verwandelt. Das gleiche Schicksal widerfuhr Narcissos.
Die Heliaden, die Töchter der Sonne, wurden zu Schwarzpappeln, welche Electron (Bernstein) ausschwitzten.

2. forschungen

Sie wurden von Wurzelgräbern gesammelt.

Sie wurden im 17.,18,. und 19. Jh. von Pflanzenjägern gesammelt, nach Europa gebracht und in botanischen Gärten geflegt und erforscht.

Saftströme wurden untersucht, der Wasserhaushalt wurde studiert, und die Erkenntnis, daß Salze eine entscheidende Rolle für die Ernährung der Pflanze spielen, setzte sich durch.
Das Mikroskop wurde zu einem nützlichen Hilfsmittel der Forschung ausgebaut.

Er sah an Pflanzenblättern Nerven, Flecken, einfache und sternförmige Haare.
Es käme dabei darauf an, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden und die einzelnen Wahrnehmungen in einen logischen Zusammenhang zu bringen
Eine besondere Bedeutung schrieb er dem Mark der Stengel zu, sah darin enthaltene Fasern und unterschied drei Typen: einzelne Fasern, schraubenförmige Fasern und Saftröhren im Bast. Er beschrieb die Entwicklung des Holzes und die Anordnung und Form von Spaltöffnungen; von ihm stammt auch der Begriff Parenchym.
Er befaßte sich mit Saftgängen in der Rinde. Er analysierte den inneren Bau der Wurzel und den Keimungsprozeß von Gräsern.

Die Mikroskopiker fertigten abstrakte Zeichnungen von kleinen und kleinsten Dingen an und versuchten diese zu einem Gesamtbild zusammenzufügen.

Am Ende dieser Forschungsperiode war sichergestellt, daß die pflanzlichen Gewebe aus zwei Typen bestanden:
dem aus Kammern (= Zellen) bestehenden saftigen Grundgewebe und den langgestreckten Fasern.

Er sah, daß die Gefäße zu Bündeln vereint sind und daß sich diese deutlich vom Parenchym abheben. Er mazerierte festes Gewebe durch Fäulnis in Wasser und zerdrückte bzw. zerquetschte die Überreste, um auf diese Weise Strukturelemente isoliert untersuchen zu können.

Man interessierte sich jetzt nicht mehr ausschließlich für die Anatomie voll ausgebildeter Gewebe, sondern begann, deren Entwicklung zu studieren.

Die Zahl wissenschaftlicher Publikationen stieg lawinenartig an

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3. kategorien

Es hat nie an Bemühungen gefehlt, eine Gliederung des Pflanzenreichs zu etablieren.
Schon allein deshalb nicht, weil kaum jemand alle Pflanzenarten eines (begrenzten) Gebietes kennt.

Pflanzennamen sind an ganz bestimmte, in Herbarien deponierte Einzelexemplare gebunden. Bei diesem Verfahren handelt es sich um einen nomenklatorischen Trick, denn es ist in der Regel nicht möglich, die volle Breite der Variabilität innerhalb einer Art zu erfassen.
Die wissenschaftlichen Namen aller taxonomischen Gruppen werden der lateinischen oder griechischen Sprache entnommen. Entstammen sie anderen Sprachen, müssen sie wie lateinische Namen behandelt werden.

Was ist eine Abteilung, was ist eine Klasse? Die Gruppe der Algen - im systematischen Sinne - gibt es gar nicht.

Heute sind sich die Wissenschaftler einig, dass man eine Art als eine Fortpflanzungsgemeinschaft ansehen kann, die sich diskontinuierlich von einer verwandten Art abhebt. Die Zusammenfassung von Arten zu übergeordneten hierarchisch angeordneten Gruppen (Taxa) ist meist weit schwerer zu begründen.

• die Blätter, Farnwedel genannt, sind in ihrem frühen Entwicklungsstadium charakteristisch aufgerollt und bis zu 1 Meter lang.
• die Farnwedel sind meist ein- bis mehrfach gefiedert.
• die Farnwedel sind bei vielen Arten kreisförmig angeordnet und bilden einen Trichter.
• die Vermehrung erfolgt meist durch Sporen, die auf der Unterseite der Wedel in bestimmter Weise gebildet werden.

Über die Moose ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

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4. gesellschaften

Pflanzen leben nicht isoliert sondern sind mit anderen Arten vergesellschaftet, sagt der Große Pflanzensoziologe.

a) Einheiten der eurosibirisch-boreoamerikanischen Region

1. Schwimmende Linsengesellschaften
6. Stranddünengesellschaften
9. Hackfrucht- und Ruderalgesellschaften
14. Brackwassergesellschaften
16. Untergetauchte Teichrandgesellschaften
17. Trittgesellschaften
20. Einjährige Sandgesellschaften
27. Schneebodengesellschaften
28. Fettwiesengesellschaften
31. Trockenrasengesellschaften
36. Flußbegleitende Wiesenauen

Während des 20. Jahrhunderts wurde auf diese Weise ein hierarchisches System geschaffen, bei denen die Assoziation die Grundeinheit bildet.

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5. systeme

Die räumliche Nähe zweier Organismen fördert die Entstehung von Mechanismen gegenseitiger Beeinflussung.

Doch auch die ökologische Wissenschaft hat ihr Haus auf Metaphern aufgebaut

In der ökologischen Wissenschaft leben Pflanzen friedlich zusammen in Gesellschaften und bilden gemeinsam Superorganismen.
Die einzelnen Elemente die zum Aufbau lebender Systeme benötigt werden, werden als stabil betrachtet. Das einzige, was sich ändert, ist deren Verteilung.
Alle Änderungen lassen sich zusammenfassend durch Kreisprozesse (Zyklen) beschreiben.
Das Verhalten der Individuen oder einzelner Arten wird dabei in der Regel nicht berücksichtigt.

Und der Kreis ist nicht rund.

Systeme sind bekanntlich mehr als nur die Summe von Leistungen der Systemelemente.
Es liegt daher im Ermessen eines Bearbeiters, was er als Ökosystem bezeichnet.

Eigentlich ist nur ein verschwindend geringer Anteil des auf der Erde vorhandenen Materials in Bewegung und noch weniger ist an der Ausbildung lebender Systeme beteiligt.
97 Prozent des Wassers ist in den Ozeanen enthalten, nur drei Prozent im Süßwasser, wovon wiederum drei Viertel als Eis in den Polkappen und Gletschern immobilisiert sind. Die für Pflanzen erreichbare Menge liegt unter 0,001 Prozent.
Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre geht nahezu ausschließlich auf die Photosyntheseaktivität grüner Pflanzen zurück

Die Lebensdauer mariner Organismen wird nach Wochen bemessen, die der terrestrisch lebenden nach Jahren.

Fische, die größer sind als Menschen, werden mancherorts eher den Geistern als den Wassertieren zugerechnet.

Grönlandwale können über 200 Jahre alt werden und gelten damit als die langlebigsten Wirbeltiere.
Im Nordatlantik galt die Art Anfang des 20. Jahrhunderts als völlig ausgestorben, doch auch hier scheint eine kleine Population überlebt zu haben, die sich wieder zu vermehren beginnt.

Nach dem Zurückweichen des Eises wurde das Land vom Süden her erneut besiedelt

Doch immer deutlicher zeichnet sich ab, daß die Grenzen der Belastung erreicht, oft sogar überschritten sind.
Es gibt eine Kapazitätsgrenze, nach deren Überschreiten das System entweder nicht mehr in seine ursprüngliche Ausgangslage zurückkehrt oder sogar irreversibel zerstört wird (Regelkatastrophe).
Komplexe Systeme sind zunächst einmal sehr stark belastbar.
Eine Zerstörung kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Ein einmal zerstörter tropischer Regenwald oder ein einmal zerstörtes Korallenriff sind für immer verloren.

Viele Studenten studieren nur deshalb Biologie, weil sie an Umweltfragen interessiert sind, doch die Mehrzahl von ihnen erlebt Enttäuschungen.

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6. bewegungen

Im Unterschied zu den meisten tierischen Organismen, sind alle mehrzelligen und viele einzellige Pflanzen ortsgebunden.
Die pflanzliche Entwicklung wird, weit mehr noch als die tierische, durch externe Signale oder Faktoren gesteuert. Ein Same keimt beispielsweise erst, wenn die äußeren Bedingungen günstig sind.

Stets hat die Pflanze auf einen ganzen Faktorenkomplex zu reagieren, wobei sich die Einzelfaktoren additiv oder multiplikativ auf ihr Wachstum auswirken.
Der wichtigste wachstumsregulierende Faktor ist das Licht.

Pflanzen zeichnen sich durch ein Spitzenwachstum aus. Es teilen sich nur die undifferenzierten Zellen an der Peripherie des Vegetationskörpers. Alle übrigen befinden sich in einem Ruhestadium.

Wachsende und ausgewachsene Sprosse sind in Knoten und dazwischenliegende Abschnitte gegliedert. An der Spitze eines wachsenden Sprosses befindet sich eine terminale Knospe mit einem Vegetationspunkt.
Seitensprosse können aber auch zu Ausläufern oder zu Rhizomen umgestaltet sein - unterirdisch und horizontal verlaufenden, ausdauernden Sprossen.

Ein Rhizom kann an jeder Stelle unterbrochen oder zerrissen werden; es setzt sich an seinen eigenen oder anderen Linien weiter fort, sagen die Großen Postmodernen Philosphen. Und:
Jeder Punkt eines Rhizoms kann (und muss) mit jedem anderen verbunden werden.
Das Prinzip der Konnexion und Heterogenität. Das Prinzip der Vielheit. Das Prinzip des asigifikanten Bruchs. Das Prinzip der Kartographie und des Abziehbilds.

Rhizome wachsen während mehrerer Vegitationsperioden an der Spitze unbegrenzt weiter, die älteren Teile sterben allmählich ab.

Wachstum kann als eine irreversible Volumenzunahme beschrieben werden.















das heißt
vorerst leben wir weiter
keine der rotationen hat gestoppt
die unendliche ausdehnung
des weltalls ins nichts hat nicht gestoppt
unbemerkt
wachsen die molekülketten weiter
sie lösen sich weiter auf