AUSSTELLUNGSTEXTE ARNE SCHREIBER
ARNE SCREIBER . ZWEIUnter dem Ausstellungstitel „Zwei“ wird die temporäre Wandzeichnung #284WZ zu sehen sein, eine aus zwei Flächen à 2,30m x 8,50m bestehende Arbeit, die eigens für den Ausstellungsraum der Galerie konzipiert wurde und insgesamt eine Länge von 17m aufweist.
In Arne Schreibers künstlerischer Praxis treffen festgelegte Abläufe innerhalb definierter Bereiche mit dem Unkalkulierbaren, Zufälligen und Individuellen zusammen. Seine Bilder ergeben sich nicht aus expressiven Gesten, sondern durch die Anwendung und Konfrontation verschiedener Systeme, durch den Prozess manueller Wiederholungen und den daraus entstehenden Abweichungen. Millimeterpapier und modulartige Bildträger dienen als Referenzräume, in denen selbst kleinste Veränderungen innerhalb von Strukturen sichtbar werden. Für seine Ausstellung „Zwei“ in der Galerie koal nutzte Schreiber den Ausstellungsraum als Referenz und entwickelte aus dessen Vorgaben heraus eine aus zwei Flächen bestehende Wandzeichnung, die den Raum als Medium begreift.
Der Ausstellungsraum der Galerie gleicht einem nahezu hermetischem White Cube, der sich durch seine Öffnung etwa einen Meter unterhalb der alten Decke des Postfuhramts als fensterlose Raumkapsel in einer Architekturhülle zu erkennen gibt. Wie in einer Arena lenkt der neutrale Raum alle Aufmerksamkeit von sich ab und bietet kaum Ansatzmöglichkeiten. Lediglich ein Einschnitt im linken Drittel der vorderen Längswand, der den Besuchern den Zutritt ermöglicht, sowie zwei eingelassene Türen an den jeweiligen Enden derselben Wand unterbrechen das Kontinuum der glatten, weiß gestrichenen Raumhülle.
Schreiber nutzt diese einzige Unterbrechung der Raumgeometrie als Ausgangspunkt. Ausgehend vom Einschnitt wurden von Hand mit Markerstift und Lineal vertikale Linien gezogen, deren Höhe den menschlichen Proportionen entspricht und die 30 Zentimeter über dem Boden enden. Der Vorgang des Linienziehens wurde so oft wiederholt, wie es die Fläche zwischen Eingang und rechter Raumecke erlaubt. Auf diese Art entstand eine im doppelten Sinne ,bezeichnete’ Wandfläche, die in einem zweiten Schritt in einem 90 Grad Winkel zur Raumdiagonalen auf die gegenüberliegende Wand gespiegelt wurde. Während die Ausgangsfläche durch den Raum bestimmt und gerahmt wird, entfaltet sich ihr Spiegelbild nun scheinbar frei auf der Wand, ohne auf vorgegebene Grenzen zu stoßen. Doch selbst wenn die räumlichen Referenzen der ersten Fläche fehlen, ist auch die zweite durch das Prinzip der Spiegelung von den spezifischen Proportionen und Dimensionen des Ausstellungsraums abhängig.
Auch innerhalb der gespiegelten Fläche wird der Vorgang des Linienziehens wiederholt. Wie schon bei der ersten Fläche, zeichnet sich das entstandene Linienfeld, trotz einer regelmäßig erscheinenden Ausführung, durch sichtbare Imperfektionen aus. Während des Zeichnens mit der Hand entstanden, sind sie zugleich intendiert und provoziert, ohne dabei jedoch kalkulierbar zu sein. So schlägt sich beispielsweise die Beschaffenheit der Wandoberfläche in der Zeichnung nieder. Unregelmäßigkeiten und Schmutzschatten einstiger Bilder und Aufhängungen – zusammengefasst die Spuren und Narben der vorherigen Nutzung – lassen den Ausstellungsraum erneut eingreifen. Einmal mehr erweist sich dieser damit als wenigstens gleichberechtigter Akteur neben dem Künstler selbst. Wenngleich dessen zeichnende Hand, mit ihrer zwangsläufig sich verändernden Haltung, ebenfalls für Abweichungen hinsichtlich der Linienstärke oder des Linienabstandes verantwortlich ist, so entsteht dennoch angesichts der ,medialen Unschärfe‘ eine gewisse Unsicherheit im Hinblick auf eine gesicherte künstlerische Autorschaft. Vor der Wandzeichnung Schreibers stehend, gestaltet es sich als schwierig, die verschiedenen Medien wie z.B. die Wandoberfläche, den Raum oder dessen Spiegelung, Stifte, Lineal sowie das zeichnende Individuum und die tatsächlichen Auswirkungen der Medien im Gesamtbild klar voneinander zu differenzieren. Wer oder was bringt sich im Detail, denn nichts anderes sind die offenen Bildstrukturen der Wandzeichnung, zur Geltung und nimmt wie teil am Zusammenspiel?
Die Rolle des Künstlers, so scheint es, nähert sich dabei in ihrer Beschränkung auf die Wiederholung und Ausführung eines bereits festgelegten Prozesses dem von Roland Barthes in seinem Essay Der Tod des Autors [La mort de l‘auteur] (1968) konzipierten postmodernen Autorbegriff des scripteur an. Als ,Schreibender‘ ist dieser lediglich der Verursacher eines „Gewebe[s] von Zitaten“, ohne darin selbst als Person zu erscheinen – seine Hand zeichnet „abgelöst von jeder Stimme und geführt von einer reinen Geste der Einschreibung (nicht des Ausdrucks)“. So wie Barthes schließlich mit dem Tod des Autors die Geburt des Lesers beschlossen sieht, eröffnet auch die Wandzeichnung Schreibers dem Betrachter ein offenes Feld der Reflexion und lädt ihn ein, die Suche nach dem einen Sinn mit der Teilhabe am Zusammenspiel der Medien zu vertauschen.
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ARNE SCREIBER . ZWEI
Galerie koal is delighted to announce that beginning on January 13, we will be presenting the second solo show by the artist Arne Schreiber. On view in the exhibition "Zwei" (Two) will be a temporary wall drawing entitled #284WZ, a work consisting of two surfaces, each measuring 2.30m x 8.5m, which was conceptualized especially for this exhibition space and has a total length of 17m.
In Arne Schreiber's artistic practice, specified activities within defined areas converge with the incalculable, the contingent, and the individual. His pictures arise not from expressive gestures, but instead through the application and confrontation of various systems, through processes of repetition, and through the deviations which result. Graph paper and modular picture supports serve as referential spaces within which even the tiniest variants within the overall structure become visible. For the exhibition "Zwei" at Galerie koal, Schreiber uses the exhibition space as a reference on whose basis he develops a wall drawing consisting of two surfaces which take up the space as their medium.
By being opened up ca 1m below the old ceiling of the former main post office, the gallery's exhibition space – which resembles an almost hermetic white cube – presents itself as a windowless space capsule inside of an architectural envelope. Like an arena, the neutral space deflects attention away from itself, offering virtually no conceivable approach to it. The continuum of this smooth, white-painted spatial container is interrupted only by a single incision in the left-hand third of the front wall, which allows visitors entry, as well as by the two doors which have been set into the ends of the same wall.
Schreiber exploits this sole violation of this spatial geometry as his point of departure. Drawn by hand using ink markers and ruler beginning from this incision are vertical lines whose height corresponds to the proportions of a human being, and which terminate 30 cm above the floor. This procedure of inscribing lines is repeated as often as allowed by the surface between the entry and the right-hand corner of the room. Resulting from this procedure is a wall surface that is 'marked' in a double sense, and which is then, in a second step, mirrored onto the opposite wall at a 90° angle to a diagonal across the space of the room. While the original surface is determined and framed by the space, its mirror image now seems to appear freely on the wall, i.e. without encountering preestablished boundaries. Despite the absence of the spatial references which shape the first surface, the second one too is dependent upon the principle of the mirroring of the specific proportions and dimensions of the exhibition space.
Within the mirrored surface as well, the procedure of inscribing lines is repeated. As with the first surface, the resultant linear field is characterized – despite the apparent regularity of its execution – by the presence of visible imperfections. Generated during the process of drawing by hand, these are intentional, deliberate, yet at the same time in no sense calculated. The texture and workmanship of the wall surface, for example, is reflected in the final drawing. Irregularities and shadows of soiling from earlier pictures or hangings – the combined traces and scars of previous utilizations – allow for another intervention of the exhibition space into the art. Once again, these emerge as a protagonist at least on equal terms with the artist himself. And even though the inscribing hand, with its necessarily varying position, is also responsible for deviations with regard to the thickness of the lines and the intervals which separate them, the result is a lack of definition which creates a degree of uncertainty about secure artistic authorship. Standing before Schreiber's wall drawing, it proves difficult to distinguish clearly between the various media – the wall surface, the space and its mirroring, the markers, the ruler, the executant, and the actual effects of the media – in the overall appearance of the work. Who or what is responsible for the each detail, and how does he (or it) participate in their interplay?
In its restriction to the repetition and execution of a predetermined process, the role of the artist here appears to approach the postmodernist conception of the "scripteur" as conceptualized by Roland Barthes in his essay "The Death of the Author" ["La mort de l‘auteur"] (1968). As a "scribe," the artist is now simply the initiator of a "tissue of quotations," and does not himself emerge in the text as a person – his hand now inscribes, "cut off from any voice, borne by a pure gesture of inscription (and not of expression)." Just as Barthes, finally, regards the death of the author as signaling the birth of the reader, Schreiber's wall drawing inaugurates an open-ended field of reflection for viewers which invites them to exchange the search for meaning for participation in the interplay of the media.
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Arne Schreiber
Arne Schreiber analysiert Bedingungen und Konzepte von Malerei, indem er seine Bildobjekte wie empirische Experimente anlegt. Damit dem Ergebnis eines wissenschaftlichen Versuchs Gültigkeit zugesprochen wird, müssen die Bedingungen, unter denen er stattgefunden hat, allgemein nachvollziehbar sein. In Schreibers Versuchsanordnung wird die Malerei daher auf eine Syntax schwarzer Linen auf weißem Grund konzentriert – eine Struktur die keinen Anfang und kein Ende erkennen lässt. Die Bildfläche selbst setzt sich aus mehreren genormten Holzpaneelen zusammen und stellt eine gerasterte Struktur, die als Referenzsystem kleinste Veränderungen aufzuzeigen vermag.
Denn trotz des Prozesses der strikten Widerholung eines malerisch-technischen Vorgangs unter klar definierten Bedingungen, kann keine Linie einer anderen entsprechen, beispielsweise weil die Farbe noch während des Malprozesses zu trocknen beginnt. Fehler oder besser Abweichungen liegen demnach in der Natur der Sache. Das Referenzsystem der gerasterten Bildoberfläche macht dies sichtbar und das umso mehr wenn die Sequenz der Holzpaneele im Rahmen in einem weiteren Arbeitsschritt verändert wird. Durch die Unterbrechungen und Verschiebungen des gemalten Rapports wird der individuelle Charakter der Linien hervorgekehrt und dort wo vorher „nur“ Struktur war, entstehen mit wechselnden Tafelanordnungen immer neue Bilder.
Schreiber erhebt auf diese Weise die Fragen nach den Bedingungen eines Bildes sowie dessen materiellen Manifestation zum Gegenstand seiner Kunst und verfolgt dabei Ansätze einer konzeptuellen Tradition. Wird das Medium Malerei üblicherweise mit der Vorstellung von Einzigartigkeit verknüpft, charakterisiert sich Schreibers Malerei hingegen durch das Moment der Serialität, das sieh aus der mechanischer Wiederholung und der Verwendung genormter Materialien ergibt.
Begleitend zu den Bildobjekten im Hauptraum wird eine weitere Serie von neun Zeichnungen auf Millimeterpapier gezeigt, die als Reflexion auf diese verstanden werden kann. Auch hier sind alle Arbeiten durch den identischen Herstellungsprozess seriell miteinander verbunden. Mit Tuschstift und Lineal werden die perfekt gedruckten Linien des Millimeterpapiers von Hand nachgezeichnet. Beim vergleichenden Betrachten wird dabei jede Linie und jede Zeichnung zu einem einzelnen, autonomen Objekt und ist zugleich Index, Ausgangspunkt und Ergebnis einer anderen.
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Arne Schreiber analyses conditions and concepts of painting by arranging his picture objects like empirical experiments. In order for a scientific test to accorded validity, the conditions under which it was carried out must be universally verifiable. In Schreiber’s experimental set-up, painting is concentrated to a syntax of black lines on white background – a structure which has no discernible beginning or end. The plane itself consists of several standardised wooden panels and presents a grid structure which indicates even the smallest change as it acts like a frame of reference.
For despite the process of strict repetition of a technical paint application under a well-defined set of conditions, no line can precisely match another – among other reasons because the drying of the paint already sets in during the process of application. Mistakes or, more accurately, deviations and discrepancies are thus part of the nature of the exercise. The reference frame of the grainy picture surface renders this palpable, all the more so when the sequence of wood-panels within the frame is altered in the next step of the process. The interruptions and displacements of the painted reveal the individual character of each line. While in the beginning it is “only” structure emerging, every change of the panel arrangements generates new images.
In doing so, Schreiber raises the questions about the conditions of a painting and its material manifestation, its coalescing into an object, and tracing the approaches of a conceptual tradition at the same time. While the medium of painting is usually linked to the idea of uniqueness, Schreiber’s practice is characterised by a moment of seriality which derives from mechanical repetition and the use of standardised materials.
The image objects in the main room are accompanied by a series of nine extra drawings on graph paper which can be read as a reflection. Here, too, all works are interconnected by an identical production process. The perfectly printed lines of the graph paper are traced with ink pen and ruler. The comparing view turns each line and each drawing into a single autonomous object which at the same time acts as index, origin and result for the others.