Kunsthaus Baselland

Keren Cytter

19 May - 04 Jul 2010

© Keren Cytter
In search for brothers/A force from the past, 2008
KEREN CYTTER
"Repulsion"

19. Mai 2010 — Sonntag 04. Juli 2010

Die Künstlerin Keren Cytter (*1977 in Tel Aviv, lebt und arbeitet in Berlin) ist in der Schweiz keine Unbekannte mehr. Sie wird seit Jahren von der Galerie Elisabeth Kaufmann (heute mit Christiane Büntgen) präsentiert, die Kunsthalle Zürich zeigte die erste Schweizer Solo-Ausstellung im Jahre 2005.

Im Folgejahr gewann Cytter den Art Statement Preis. Darüber hinaus waren ihre Werke in Einzelpräsentationen im Frankfurter Kunstverein (2005), im Kunst-Werke Berlin (2006), im MUMOK Wien (2007), im Witte de With Rotterdam (2008) und im Le Plateau Paris (2009) zu sehen, ebenso wie in zahlreichen Gruppenausstellungen weltweit. Die Künstlerin war im letzten Jahr auch für den renommierten Preis der Nationalgalerie für junge Kunst in Berlin nominiert. Cytter studierte Kunst in Tel Aviv und Amsterdam. Sie ist vor allem bekannt für ihre experimentellen Videoarbeiten, die Zwischenmenschliches und Privates beleuchten. Ihre Arbeiten beruhen oft auf Vorlagen von literarischen oder filmischen Klassikern und reflektieren gleichzeitig den Einfluss der Medien. Die Künstlerin beschäftigt sich auch mit Zeichnung, Theaterinszenierung, Performance, Tanz und schreibt darüber hinaus Drehbücher und Novellen. Die Ausstellung Repulsion im Kunsthaus Baselland, benannt nach einer der gezeigten Arbeiten, präsentiert eine Auswahl von Videos, die bisher in der Schweiz im institutionellen Rahmen nicht zu sehen waren.

Zu den wiederkehrenden stilistischen Elementen in Cytters Videos zählen neben den umfangreichen Referenzen an Kino und Fernsehen die oft langen Monologe und zahlreichen Stimmüberlagerungen, die meist nicht mit der jeweils sprechenden Person oder ihrer schauspielerischen Aktion synchronisiert sind. Das Bild eines männlichen Schauspielers kann von einer weiblichen Stimme überlagert sein, der zeitgleiche Untertitel sich wiederum auf etwas anderes beziehen. Cytter, die alle Drehbücher selbst schreibt, verwendet Sprache entsprechend einer bestimmten Stimmung oder Atmosphäre, die sie erzeugen möchte: Französisch wird beispielsweise als Sprache der Liebe eingesetzt, Englisch als pragmatische Sprache. Zeitweise finden auch Anmerkungen zur jeweiligen filmischen Arbeit oder Regieanweisungen einen selbstreferentiellen Eingang in die gesprochene Sprache. Eine weitere, eigenständige Sprachebene bilden die Untertitel, die zeitgleich mit dem Gesprochenen auftauchen, aber inhaltlich davon abweichen können. Auch kürzere Loops und sowohl sprachliche wie visuelle Wiederholungen können innerhalb der meist nicht länger als zehn Minuten dauernden Filme vorkommen. Die Künstlerin zerlegt den Film in die Einzelteile, die ihn normalerweise bestimmen und setzt diese unabhängig voneinander wieder zusammen: (Laien)Schauspieler, Rolle, Stimme, gesprochener Text, gehörter Text, Sprachwahl und Untertitel werden in einem ungewohnten Mix und meist asynchron zueinander gesetzt. Mit ihrer Strategie der Dekonstruktion hebt Cytter die Abhängigkeit unserer Wahrnehmung von bestimmten Sprach- und Bildstrukturen hervor und zeigt auf, dass es eine Art intentionales Wahrnehmen gibt, das über die „Zwischentöne“ Inhalte vermittelt.

Die dreiteilige, synchronisierte Videoarbeit Repulsion (2006) entstand nachdem Keren Cytter den Polanski Film von 1965 im Haus eines Freundes gesehen hatte. Die emotional und olfaktorisch unangenehmen Verhältnisse in der Wohnung des Freundes und der Titel des gesehenen Filmes trafen dabei zufällig übereinstimmend zusammen. Die Künstlerin beabsichtigte in der Folge, jene Emotionen von Ekel und Abscheu in drei Kurzfilmen umzusetzen. Im Mittelpunkt stehen die Gefühle und Beziehungen zwischen einer Protagonistin und zwei Nebendarstellern, die im Verlauf der Handlung in jeweils unterschiedliche Todesfälle münden. Cytter legt den Fokus vor allem auf jene Momente, in denen die Protagonistin alleine ist, ausgeliefert ihren Ekel- und Abscheugefühlen. Die drei Film-Skripts, geschrieben von der Künstlerin und mit Freunden in drei Tagen gedreht, stehen letztlich in einer symmetrischen Beziehung zueinander: Einmal ist der Zuschauer das Opfer, ein andermal wird das Opfer zum Killer und wiederum ein andermal wird der Killer zum Zuschauer. Nach dem Schneiden der Filme war für die Künstlerin jedoch schnell klar, dass der repulsive Ausgangspunkt nicht in der ursprünglich konzipierten Form zu finden war und die Filme andere Emotionen evozieren.

Für den Film Les Ruissellements du Diable (wörtlich „Das Säuseln des Teufels“, 2008) diente der Kurzfilm des argentinischen Filmemachers Julio Cortázar Las babes des Diablo von 1958 ebenso als Referenz wie der spätere, wiederum auf Cortázar zurückgehende Film Blowup von Michelangelo Antonioni von 1967. Die Dialoge der beiden Hauptfiguren, ein Mann und eine Frau, tauchen darin nicht synchronisiert auf oder bleiben aus, dazwischen erscheint der Abspann des Films und verwirrt den Betrachter über Ende oder Nicht-Ende des Films. Die zeitliche Diskrepanz verwischt alles scheinbar Tatsächliche und Fiktive: Die weibliche Hauptdarstellerin ist gleichzeitig handelnde Figur, aber auch TV Moderatorin, die ihr alter-Ego als erotisches Phantasma inszeniert. Alternierend erzählen der Mann und die Frau die Geschichte, wobei der Mann in der dritten Person Singular spricht, die Frau in der ersten Person. Dabei stehen immer wieder ein Treffen im Park und ein vergrössertes Foto dieses Treffens im Mittelpunkt. Die darübergelegte Erzählstimme schildert, dass die beiden Übersetzer und Amateurphotographen sind – also Menschen, die per se mit Sprache und Bild zu tun haben und diese auch subtil zu verändern vermögen. Die Metaphorik des Übersetzens, deren Problematik ein wichtiger Bestandteil des Films ist, wird insofern weitergetrieben als die französischsprachigen Dialoge mit englischen Untertiteln versehen sind. Inmitten all dieser Bilder und Töne taucht das frontale Close-Up eines Mannes auf, der masturbiert. Man könnte also, wie dies Skye Sherwin in ArtReview macht, zur Schlussfolgerung kommen, dass „in les Ruissellements du Diable die Realität instabil und die Kunst die einzige Gewissheit ist, dass Solipsismus unvermeidbar und in der Folge die Masturbation das einzige ist, dass wahr, graphisch und physisch ‚real‘ ist“.

Die Filme Alla ricerca di fratelli/In Search for Brothers und Forza che viene dal passateo/A Force from the Past (2008) handeln von italienischen Klischees. Als Bezugspunkte dient der italienische Film der 60er Jahre, allen voran die Filme von Pasolini und Fellini. Die Filme werden von Laienschauspielern aus Trento gespielt, an Drehorten, welche soziale Treffpunkte der Stadt waren. Verschiedene Geschichten, in denen die unterschiedlichen Standpunkte hinsichtlich moralischer und religiöser Vorstellungen der Charaktere sich vermischen, bilden die Inhalte. Der Film wird so zu einer Collage von Plätzen, Orten, Figuren, Geschichten und Texten.

Der für die Biennale von Venedig produzierte Film Untitled (2009) basiert auf der wahren Geschichte eines Jungen, der die Geliebte des Vaters aus Eifersucht erschoss. Cytter griff für die Umsetzung des Films sowohl auf professionelle (Bernhard Schütz, Carolin Peters) wie auch auf Laienschauspieler zurück. Der Film wurde am Berliner Hebbel-Theater vor Live-Publikum gedreht. Angeregt von dem Film Opening Night (1977) von John Cassavetes spielt eine Frau die Hauptrolle die kurz davor ist, auf der Bühne zu spielen und sich in diesem Moment ihr eigenes Leben und ihre eigene Identität vor Augen führt – sowohl das reale als auch das „gespielte“. Die Ambiguität von Realität und Fiktion erhält vor dem Hintergrund der Theaterbühne und der Anwesenheit eines Publikums eine besonders starke Betonung. Mit den Kameraeinstellungen fokussiert Cytter auf die psychologischen Momente der Geschichte. Die Gefühle von Hass, Angst und Sorge sind stark ausgeprägt. Die verschiedenen Blickwinkel, die uns die Kamera ermöglicht, lassen in gewissen Momenten den Eindruck entstehen, als ob wir selbst uns mit den Schauspielern bewegten. Manchmal wird uns wiederum das Beobachten selbst vor Augen geführt – v.a. dann, wenn das Live-Publikum zu unserem Spiegel wird.
 

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