Forum für Fotografie

Alban Kakulya und Yann Mingard

02 Jun - 15 Jul 2012

© Alban Kakulya und Yann Mingard
ALBAN KAKULYA UND YANN MINGARD
02.06. - 15.07.2012

Ausgestattet mit Kamera und GPS bereisten Alban Kakulya und Yann Mingard die etwa 1600 Kilometer lange Ostgrenze der Europäischen Union, um sie fotografisch zu dokumentieren. Entstanden ist mit dieser Expedition eine komplexe Bestandsaufnahme der Pufferzone, die sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckt; eine Arbeit, die in das 2009 erschienene Buch „East of a New Eden“ mündete und im selben Jahr mit dem Prix FNAC Européen de la Photographie ausgezeichnet wurde. Dabei haben Kakulya und Mingard bewusst «eine analytische und neutrale Distanz eingenommen, die mehr der zeitgenössischen Fotografie als der klassischen Reportage entspricht» (Alban Kakulya).

Die Ostgrenze, die als weitgehend undurchlässiger „Eiserner Vorhang“ einst den „Ostblock“ von Westeuropa trennte, ist heute eine ökonomische Grenze der Europäischen Union, eine scharf bewachte Zone zwischen dem „reichen“ Westen und dem „armen“ Osten, die sich entlang der Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien erstreckt.

Viele der Landschaftsaufnahmen, die den ersten Teil von drei Fotogruppen des Projektes bilden, verlieren sich in der Unermesslichkeit der Ödnis und lassen nichts von einer Grenze ahnen. Lediglich die GPS-Koordinaten geben Aufschluss über die jeweilige Stelle der ins Bild genommenen „Ortlosigkeit“. Die Gegenläufigkeit von bildthematischer Unbestimmtheit und exakter Ortsbestimmung im Titel führt gleichsam zwei Abstraktionen zu einer Einheit und pointiert das Immaterielle der Demarkationslinie.

In der zweiten Werkgruppe, den „Porträts und Infrastrukturen“, bekommt die abstrakte Vorstellung von der Grenze ein Gesicht (das der Flüchtlinge und das des Wachpersonals) sowie eine Form (die des technisch-strukturellen Kontrollapparates). Die namenlose Weite der Landschaften erfüllt sich mit dem Drama der Einzelschicksale und der Routine der Hightech-Überwachung.

Das Werk von Alban Kakulya und Yann Mingard geht weit über eine bloße Dokumentation hinaus. Die Mehrdimensionalität des Gegenstands ihrer Entdeckungsreise spiegelt sich wider in der Vielfältigkeit des Buchs „East of a New Eden“, in dem neben den Landschafts- und Porträtaufnahmen auch zahlreiche Satellitenbilder der Grenzregionen sowie mehrere Texte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zusammenfinden. Schließlich ergänzen Grafiken und Statistiken das Werk, die belegen, wie viele Menschen bei dem Versuch, über die Grenze in den für sie verheißungsvollen Westen zu gelangen, umgekommen sind.

Mit der fast vollständigen Abschaffung der innereuropäischen Grenzen sowie den Osterweiterungen der Europäischen Union, in deren Zuge aus den westlichsten Ländern des Ostens plötzlich die östlichsten Teile des Westens wurden, ist das Thema „Grenze“ nicht nur geografisch in die Ferne gerückt, es ist auch weitgehend aus den Köpfen vieler Westeuropäer verschwunden. „East of a New Eden“ ist der Versuch von Yann Mingard und Alban Kakulya, die wenig bekannte, fast vergessene Realität fern unseres Alltags und jenseits der Schlagzeilen sicht- und lesbar zu machen. Es ist gleichzeitig eine Einladung zur Reflexion darüber, was Grenzen sind und was sie für Menschen bedeuten.

Estella Kühmstedt