Forum für Fotografie

Timm Rautert

28 Feb - 11 Apr 2010

© Timm Rautert
TIMM RAUTERT
Josef Sudek, Prag 1967

28. Februar - 11. April 2010

Im April 1967 porträtiert der Student Timm Rautert mit seiner Mittelformatkamera den 71-jährigen Josef Sudek in Prag. Rautert ist auf einer Studienreise mit der Fotoklasse der Folkwangschule Essen, als er Station bei dem tschechischen Fotografen macht. Er fotografiert Sudek in seinem Atelier und auf der Suche nach Bildmotiven in den Parks der Prager Kleinseite. Es entsteht eine sehr persönliche Bilderserie von dem 1896 in Kolín geborenen Meister der Stillleben- und Landschaftsfotografie, die den Beginn der Karriere Rauters markiert und jetzt erstmals in einer Einzelausstellung im Forum für Fotografie zu sehen ist.

Josef Sudek ist der bedeutendste tschechische Fotograf des 20. Jahrhunderts. Von 1922 bis 1924 studiert er Fotografie an der Staatlichen Graphikschule in Prag bei Karel Novák. Ist sein Frühwerk noch dem Piktorialismus verpflichtet, wendet Sudek sich später dem sachlichen Umgang mit dem Medium Fotografie zu. Seine freie Arbeit finanziert er mit Werbe- und Porträtaufträgen, und notwendiges, schwer zu beschaffendes Fotomaterial tauscht er auch gegen Abzüge ein; Geld ist dem bescheidenen, genügsamen Sudek nicht wichtig. Das kleine Atelierhaus im Hinterhof eines Prager Mietshauses erwirbt Sudek 1927; hier lebt er zeitweise und arbeitet bis zu seinem Tod 1976.

Das Porträt ist ein zentrales Sujet im komplexen Werk von Timm Rautert. Es ist vor allem der arbeitende Mensch, für den der Fotograf sich interessiert - seien es nun Künstler in ihrem Atelier oder Industriearbeiter bei der Montage. Wenn Rautert fasziniert ist von High-Tech-Produktionsstätten wie Porsche in Zuffenhausen/Leipzig und in den Jahren 1986, 1992 und 2006 Bilderserien von den Luxuskarossen anfertigt, fehlt nie der aufmerksame Blick auf die menschliche Tätigkeit, die hier im Laufe der Jahre schwindet: „Ich kann nicht fotografieren, ohne den Menschen mitzudenken“, sagt Rautert, und dies gilt eben auch dann, wenn der Mensch wegrationalisiert wurde, also abwesend ist.

Timm Rauterts Aufmerksamkeit richtet sich auch auf gesellschaftlich kritische Themen. Mit dem Schriftsteller Michael Holzach spürt er dem Leben von Obdachlosen nach, es entstehen Fotografien von Contergan-geschädigten Kindern oder dokumentarische Fotoserien von Sonderschülern. Sein Blick bleibt dabei sachlich, nie spricht vordergründige Sozialkritik aus seinen Bildern.

Seit Beginn seiner fotografischen Arbeit beschäftigt sich Rautert intensiv mit fotografischen Verfahren und ästhetischen Fragestellungen. Unter dem Begriff „Bildanalytische Photographie“ bündelt Timm Rautert eine Reihe fotografischer Arbeiten, die noch während des Studiums entstehen. Es ist der Versuch, die Vielschichtigkeit einer Fotografie mittels Experimenten analytisch zu erfassen, um im Ergebnis zu relativierenden Bildaussagen zu gelangen.

Anders als sein Lehrer Otto Steinert, dem Begründer der so genannten Subjektiven Fotografie, hält er das Credo vom autonomen Bild und dessen optimaler Belichtung für zu eng begriffen. Er experimentiert mit additiven Reihungen von Belichtungszeiten und kommt durch seine fotografischen Analysen zu weit komplexeren Aussagen einer Aufnahme. Diese Arbeiten Rauterts stehen im Kontext kulturhistorischer, massenmedialer Theorien.

Timm Rautert, 1941 geboren im westpreußischen Tuchola, dem heutigen Polen, interessiert sich schon als Schüler für Fotografie. Nach einer Lehre als Schaufenstergestalter und Plakatmaler studiert er ab 1966 Fotografie an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen bei Otto Steinert und schließt sein Studium 1971 mit der Diplomarbeit über „Künstliche Welten“ ab. Er arbeitet als freier Fotograf und Bildjournalist bei renommierten Blättern wie Stern, Geo, Sunday Times Magazin, Time Life und ZEITmagazin. Zahlreiche Bücher entstehen. Zwischen 1993 und 2007 lehrt Timm Rautert als Professor für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. 2008 erhält er als erster Fotograf den Lovis-Corinth-Preis.
 

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