Halle für Kunst

Fantasie

14 May - 17 Jun 2016

Exhibition view
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FANTASIE
14 May – 17 June 2016

Mit Arbeiten von Henning Bohl, Nicola Brunnhuber, Stephan Dillemuth, Isabelle Fein, Jutta Koether, Chris Kraus, Frances Scholz, Anne Speier und Raphaela Vogel

Die Ausstellung „Fantasie“ ist Teil einer 3-teiligen Reihe, die in 2017 weitergeführt werden soll. In ihr schreibt sich ein Interesse fort, das bereits Ausgangspunkt der Überlegungen zweier Ausstellungen in der Halle für Kunst war: Zum einen das Interesse am Moment der Ambiguität und Ambivalenz in der zeitgenössischen Kunst („Über das Radikale Nebeneinander“, 2014), zum anderen das an Kenneth Angers Vorstellung von Film und damit von kultureller und künstlerischer Produktion als magisches Ritual, die konträr zu dem scheint, was sich heute als zutiefst zwiespältiges und ebenso fragwürdiges, von wirtschaftlichen und Machtinteressen durchsetztes Feld der Kunst zeigt („Magic Lantern Cycle“, 2015).

Während sich der erste Teil der Reihe dem Begriff Fantasie widmet, wendet sich der zweite den Begriffen Authentisch – Unauthentisch und der dritte Gebärden und Ausdruck zu. Alle drei verstehen sich dabei als ineinandergreifende Aspekte eines Nachdenkens über künstlerische Praxis und gründen in dem Versuch, Begriffe zu finden für jene Momente, die einen an künstlerischen Arbeiten interessieren; also positiv zu benennen, was denn nun die Aspekte sind, die auf Interesse und Resonanz stoßen, und nicht nur in einer Negation zu formulieren, dass sich manch zeitgenössische Kunst zu sehr im Durchdeklinieren von Referenzen, im Aufrufen eines kritischen Impetus, in einem Diskurs geschulten Vokabular oder in der glatten Oberfläche erschöpft. Erstaunlich ist, dass bei diesem Versuch vor allem Begriffe ins Blickfeld rücken, die vornämlich als obsolet und reaktionär gelten (Fantasie, Authentizität, Ausdruck). Was jedoch auch interessant ist, und zwar insofern als sich darin ein Begehren zu zeigen scheint, ebenjene Begriffe auch für zeitgenössische Kunst nutzbar zu machen, da mit ihnen offenbar etwas benannt werden kann, das mit dem Wesen und Mehrwert von Kunst zu tun hat; also etwas, das nicht nur Wissen und Erfahrung, sondern auch Intensitäten zu erzeugen vermag. Anliegen der Ausstellungsreihe ist es daher, sich den genannten Begriffen mit dem Bewusstsein von ihrer Aufgeladenheit und Fragwürdigkeit jenseits eines klischeehaften Verständnisses zu nähern, um zu gucken, wie weit und wohin man mit ihnen kommen kann. Allerdings hat sich die Gemengelage in den letzten Jahren verkompliziert. Zwar sieht sich vor dem Hintergrund einer immer lauter werdenden Kritik an entleerten kritischen bzw. politisierten Kunstpraktiken das Aufrufen ebenjener Momente nicht mehr gleich dem Generalverdacht ausgesetzt, einem hoffnungslos altbackenen Kunstbegriff zuzuarbeiten, doch gilt es nun Sensibilitäten dafür zu entwickeln, dass sich im Zuge der Kritik am „Politischen als Stil“ (James Meyer) nicht, basierend auf der Reaktivierung einer, auf das Formale beschränkten Vorstellung von der Autonomie der Kunst, eine „Neue Empfindsamkeit“, quasi eine „Intensität als Stil“ einschleicht.

Fantasie bildet zunächst einmal die Grundlage jeglichen Erkennens, denn die Seele denkt, so Aristoteles, nicht ohne Bilder. Obwohl sie folglich ein Realität konstruierendes Moment darstellt, gibt es dennoch einen Unterschied zwischen Bildern etwa mathematischer oder philosophischer Überlegungen, die letztlich imaginär bleiben, und denen künstlerischer Produktion, bei der durch Einbildungskraft imaginäre in reale Bilder überführt werden. Auch wenn bzw. gerade weil dies grundsätzlich für jede künstlerische Praxis gilt, geht das die Ausstellung leitende Interesse jedoch über das bloße Konstatieren dieses Faktums hinaus und zielt auf künstlerische Arbeiten, die ganz explizit Fantasie als Begehren, als treibenden Motor künstlerischer Produktion adressieren, ohne diese jedoch kontrollieren zu wollen; auf Arbeiten also, die die ihnen zugrunde liegende Imagination nicht scheuen und folglich Leerstellen, Unberechenbarkeiten, Affekte und Begehren mit einbeziehen. Neben solch grundsätzlichen Überlegungen gilt das Augenmerk zudem einer Fantasie genährten Kunst, die das Mögliche im Gegensatz zum Vorhandenen sucht. Hier geht es dann um das Entwickeln und Erfinden von Welten, Sprachen und Sphären, die sich neben und jenseits von Realität verorten; also hin zu Fantasy und Fiction. Weltaneignung durch Welterfindung. Wobei sofort die Frage im Raum steht, ob die Fantasie denn nun eine Möglichkeit darstellt, Alternativen zum und Beschreibungen vom Vorhandenen zu schaffen, oder ob sie eher als eskapistischer Rückzug in privatistische Kosmen und damit als „weltlos“ zu werten ist, um es mit den Worten Hannah Arendts zu formulieren? Und macht sich eine solche Kunst dann gleich angreifbar, da etwa der Vorwurf seitens marxistischer Kunstkritik greift, dass das Kreisen um Befinden, Innerlichkeit, Affekte und die eigene Künstlerposition spätkapitalistischen Logiken folgt? Was wäre also ein regressiver Fantasiebegriff und wo wäre die Grenze zu einem progressiven? Wenn hier eine Nähe zu Harald Szeemanns Individuellen Mythologien aufscheint, soll zugleich aber auch die konstitutive (und konstruktive) Funktion der Fantasie für die Sphäre des Politischen markiert werden. Letzteres wurde in den vergangenen Jahren vermehrt diskutiert, am ausführlichsten wohl in der von Helmut Draxler und Christoph Gurk für das HAU (Hebbel am Ufer) in Berlin konzipierten Reihe „Phantasma und Politik“. Und auch bereits Freud und später Lacan haben auf die konstituierende Rolle der Fantasie bzw. des Imaginären (Lacan spricht von Phantasma) hingewiesen, wenn auch hier für die menschliche Psyche und die sich daraus ergebenden Konstruktionen von Realität (oder was dafür gehalten wird). Allein schon dieser, die Fantasie charakterisierende Aspekt des Konstituierens macht deutlich, dass es in der Ausstellung also nicht darum geht (und auch gar nicht darum gehen kann), einer zweifelhaften Opposition von Fantasie und Konzept und damit einer Naturalisierung zuzuarbeiten, denn Denken und Fantasie fallen ihrem Ursprung nach immer in eins, da das eine nicht ohne das andere zu haben ist. So ist Fantasie an sich nie essentialistisch, auch wenn sie zuweilen essentialisiert wird. Dennoch gehen mit ihr, ähnlich der „Fantasie“ als musikalische Kompositionsform, Assoziationen emotionalen und expressiven Ausdrucks einher, vollzieht sich eine Öffnung weg vom Hier und Jetzt. Wenn imaginäre Räume also, so Christina von Braun, Bereiche des Unerreichbaren und Unberechenbaren sind und die Fantasie demnach das Bewahren von Sphären, „die mit der Welt nicht überein zu stimmen brauchen, die überhaupt nicht den Realitätsanspruch stellen, also nicht die Möglichkeit beanspruchen, materiell oder sichtbar zu werden“, was sagt das dann über Kunst aus? Stellt künstlerische Praxis dann eine Zähmung der Fantasie dar? Ebenso wie die Psychoanalyse, die die Räume unsichtbarer Bilder zu begreifen und in eine Sprache zu überführen sucht? All dieses Nachdenken über Fantasie, das in dem Interesse an einer Kunst gründet, die sich nicht zähmen bzw. still stellen lässt und auf keine evidenten, an der faktischen Realität geschulten (Sinn-)Zusammenhänge abzielt, bildet den Bezugsrahmen der Ausstellung, wobei die gezeigten Arbeiten für sich stehen und lediglich einen Ausgangspunkt markieren für die zuvor formulierten Ideen, Konzepte, Überlegungen und Vorstellungen.
 

Tags: Kenneth Anger, Henning Bohl, Christo, Stephan Dillemuth, Isabelle Fein, Fort, Jutta Koether, Chris Kraus, Frances Scholz, Anne Speier, Harald Szeemann, Raphaela Vogel