Kadel Willborn

Mathilde Rosier

16 May - 30 Jun 2008

© Mathilde Rosier
Installation view
MATHILDE ROSIER
"Costumes et accessoires"

16.05.2008 - 30.06.2008

Text von Aurelie Voltz

"Costumes et accessoires" (Kostüme und Accessoires). Man hält gleich zu Beginn verwundert inne: Bezieht sich der Titel auf das Angebot eines Fachgeschäfts? Auf die Exponate eines Museums? Auf die Objekte einer Privatsammlung? Betrachtet man das Ganze etwas genauer, handelt es sich um die Komponenten eines wesentlich komplexeren Zusammenhangs, den man als wundersame Synthese aus Kuriositätenkabinett, Theaterfundus und bürgerlichem Interieur beschreiben könnte. Wir haben es in dieser Ausstellung, die im Zeichen der bildlichen Darstellung steht, mit einer Einheit von Handlung, Ort und Zeit zu tun.
Das Himmelbett spielt wahrscheinlich die Hauptrolle, nicht zuletzt auf Grund seiner charakterlichen Ambivalenz und einzelnen Bestandteile. Der rubinrote Stoff verleiht der leichten Konstruktion, die dem Überwurf Halt gibt, etwas Stattliches, die alte Matratze wird durch das dichte Geäst, das sie durchdringt, sprichwörtlich „transzendiert“ und deutet auf eine Renaissance hin. Man blickt durch diese Kulisse auf ein düsteres Gemälde, das die karge Vegetation wieder aufnimmt und obendrein von Katzen bevölkert ist. Das Gemälde selbst ist in einem gewissen Abstand auf zwei Stühlen in Szene gesetzt und gewährt einen Blick auf die offenen Zwischenräume der Installation. Der Betrachter wird faktisch ermuntert, um die Kulisse herumzugehen und deren Rückseite, aber auch die kleinen Mängel wahrzunehmen. Die Katzen sind nicht direkt auf das Bild gemalt, sondern nachträglich angebracht worden. Die Matratze wurde etwas gekürzt, Holzstangen dienen als Bettpfosten. Hier wurde etwas abgeschnitten, da etwas dazu geklebt, dort ein wenig herumgebastelt. Das ganze Ensemble ist in Bewegung und gleichzeitig so gesetzt, was für eine Präsenz! Als wären sie einer Zeremonie entsprungen, erkennt man die Codes einer Tradition, halb verborgen, unterschwellig.
"Le bonheur dans le crime" (Das Glück im Verbrechen) aus dem Jahr 2008 bewegt sich zwischen Bühnenobjekt und miniaturhafter Theaterszene und verweist auf eine mögliche Tragik-Komödie. Mathilde Rosier zitiert hier bewusst das „Theater der Grausamkeit“, an der Wende zum 17. Jahrhundert zugange, als das schreckliche Blutbad der Religionskriege die Gemüter prägte. Die Dramatiker ersannen erstaunliche literarische Formen, sie glorifizierten das Verbrechen und vermittelten durch die Verse die Grausamkeit auf dem Theaterschafott, dort nämlich, wo man sich nicht versteckt, um zu töten. Diese Art von Anstand der Baldachininstallation gemischt mit einer Prise Verderbtheit lässt sofort Erinnerungen an den Marquis de Sade wach werden. Mathilde Rosier ließ sich von seinen Überlegungen zur Grausamkeit – insbesondere der Frage, wie Lebewesen auf Objekte reduziert werden – und von seiner Leidenschaft für das Theater inspirieren.
Das menschliche Objekt, die mumifizierte Natur durchzieht Mathilde Rosiers Arbeiten faktisch von Beginn an. Bei den Insekten, die in ihren früheren Filmen zu sehen sind, hat man den Eindruck, sie würden für eine pseudo-wissenschaftliche Beobachtung unter dem Mikroskop in ihrer Bewegung innehalten, in einer anderen Filmsequenz werden Schwäne im Zeitraffer instrumentalisiert oder Laub erhält eine sonderbare silbrig glänzende oder viel zu grüne Färbung, um noch reell zu sein. Aus den Gärten ertönen Sinfonien und alles, was man von der Landschaft in Erinnerung behält, sind die Rahmen der offenen Fenster, mit einem schönen Blick aus einem perfekten Interieur heraus. Katzen und andere Lebewesen, einschließlich Menschen, scheinen dabei immer eine Rolle zu spielen, die sie selbst überfordert, sie sind nur halb bei Bewusstsein, in Tagträumen oder einer Kulisse gefangen, in einer Dimension, die sich ihnen entzieht.
Seit geraumer Zeit werden Video und bewegtes Bild von Skulpturen abgelöst, von Kreaturen, die ab sofort tatsächlich erstarrt sind. "La réserve des forces hostiles" (Das Reservat der feindlichen Kräfte) aus dem Jahr 2007 zeigt in Glasvitrinen zusammengepferchte Vögel und weckt dabei Erinnerungen an die ausgesprochene Vorliebe der Naturkundemuseen für Klassifizierung. Aber der Versuch einer dritten, skulpturalen Dimension, die diesen Vögeln wieder Leben einhauchen soll, wird sogleich zunichte gemacht: Mathilde Rosier malt mit Gouachen, jedes einzelne Tier wird ausgeschnitten und auf einen festen Träger geklebt, der von hinten abgestützt wird. Die zwei Dimensionen werden auf diese Weise aufwändig wie Kulissen in Szene gesetzt, die das Konzept der bildlichen Darstellung hervorheben. Wurde der Mensch bisher hinter die Kulissen verbannt, wo er die Fäden dieses Theaters in der Hand hatte, nimmt er mit Collection of shells and shoes neben der Natur Platz. Die Rückseite eines Paravents wurde zu einem Regal umgebaut, dessen Bretter mit kostbarem Moiré überzogen sind. Darauf sind prächtige Muscheln drapiert, wie man sie in einem Kuriositätenkabinett finden kann und die man als Meisterwerke der Natur bezeichnen würde. Alle diese Muscheln sind in ihrer Form, Wölbung, Farbe und Größe faszinierend. Darunter stehen elegante Damenschuhe, die auch recht außergewöhnlich sind und die Meisterwerke eines Modeschöpfers sein könnten. Zu abgetragen, um noch als Accessoire für große Abende zu dienen, sind diese Schuhe wahrscheinlich täglich zum Einsatz gekommen und vielleicht von einem Schauspieler allabendlich bei seiner Arbeit getragen worden. Diese Reliquien, dieser Ersatz für den Menschen und die Natur, passen jedenfalls ausgezeichnet zusammen. Mit ein wenig Poesie scheint sich der Mensch, nachdem er die Schuhe ausgezogen hat, in sein Schneckenhaus zurückgezogen zu haben.
Auch in "Birdhat" wird eine Fusion vollzogen: Anstatt der legendären Feder schmückt ein – kompletter – Vogel diesen Hut und breitet sein Gefieder elegant über der Krempe der Kopfbedeckung aus. Während die Federn normalerweise echt sind, ist der Vogel hier nur ein Abbild und dennoch ist sein Anblick äußerst verstörend. Die dürftige Beschaffenheit des Trägers erfordert Präzision und selbst ohne Illusionismus könnte man sich leicht täuschen lassen. Um die Verwirrung komplett zu machen, kommt das Ganze „hinter Gitter“ aus Glas, arrangiert auf einem Hocker, der sich auf Augenhöhe befindet. Vom Schaukasten des Naturkundemuseums geht es weiter zur Vitrine des Modemuseums: Hier wird das Tier schlicht und einfach Bestandteil der Dekoration. Two Broches Poodles scheint perfekt in dieses Schema zu passen: Ein ausladendes Kleid aus Seide mit zwei großen einander gegenüberstehenden Pudeln ist in einer Kiste arrangiert, die für die Nachwelt bestimmt ist – wie die fragilen, seltenen Kostüme, die man verwahrt. Das Tier, Haustier par excellence, ist buchstäblich im Rock seiner Herrin gefangen.
Konnte man bei "Le bonheur dans le crime" oder "Collections of shells and shoes" noch Zuflucht bei der Ethnobiologie suchen – einer Disziplin der Anthropologie, die die Kulturverbindungen zwischen Mensch, Tier und Vegetation in der Vergangenheit und Gegenwart untersucht – sind wir mit "Birdhat" und "Two Broches Poodles" endgültig beim Menschen und seinen ureigensten Gewohnheiten angekommen.
 

Tags: Mathilde Rosier