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KAI SCHIEMENZ
 

VERANSTALTUNGS-PAVILLONS ZUM ZUGANG VON KAI SCHIEMENZ PETER HERBSTREUTH

Veranstaltungs-Pavillons Zum Zugang von Kai Schiemenz
Peter Herbstreuth

Kai Schiemenz nutzt die Infrastruktur der Kunsthäuser, um die skulpturalen Qualitäten seiner Innenraum-Pavillons zu propagieren. Hier lädt er zu Vorträgen und Gesprächen ein. Die Skulpturen dienen sowohl der Anschauung wie der Nutzung. Deshalb können sie als Archiskulpturen bezeichnet werden, die ihre Besonderheit als Denk- und Handlungsform hervorheben und Kunst (Konzept-Skulptur), Architektur (Pavillon) und Veranstaltung (Workshops, Kolloquien, Aufführungen) verbinden. Seine differenzierten Darstellungsweisen formieren sich zu einer Synthese mit prozessualem Werkcharakter und heben seine Tätigkeit aus den grassierenden Banalisierungen partizipatorischer Konzepte hinaus. Er baut Paraphrasen der Kugelarchitektur und richtet seine Absichten auf Face-Face-Kommunikation einer mobilen und egalitären Gemeinschaft.

Pavillons sind Miniaturarchitekturen, die Anleihen bei großen Formen machen. Doch was bei diesen Großformen hierarchisch, monumental, repräsentativ war, hat in der Kleinarchitektur die formierende Kraft und den Kontext verloren. Ein Stadion en miniature hat kein Stadionwirkung mehr. Zwar könnte es als Modell angesehen werden. Aber die 1:1 Nutzung lässt im all over der Bühne keine Anonymität mehr zu, richtet sich auf persönliche Begegnung im gleichmäßig ausgeleuchteten Raum. Dadurch begünstigt der Pavillon die Gleichzeitigkeit von Sehen und Gesehen-Werden, Hören und Gehört-Werden, Handlung und Betrachtung. Pavillons werden meist für den gelenkten Blick nach draußen gebaut. Schiemenz kehrt diesen Blick um, macht das Innere zu einer Bühne und gewährt jedermann durch dasselbe Nadelöhr Zugang.

Der Zutritt ist reglementiert. Die Besucher gelangen nur hinein, indem sie der Dramaturgie von Bewegungen folgen, welche allein die Architektur vorschreibt. Auf manche wirkt sie wie eine peinigende Prüfung, auf andere wie eine willkommene Performance. Jeder wird auf einer Plattform exponiert und zur Selbstdarstellung gezwungen. Daher forciert Schiemenz’ architektonische Maßnahme die körperliche Selbstwahrnehmung bei gleichzeitiger Intensivierung des Sinns für Schwellen.

Diesen Weg der Beschreibung kann nur einschlagen, wer die Pavillons als Bühnenraum im Maßstab 1:1 betrachtet, nicht als Modell. Denn würde eines der Gebilde in der vollen Größe realisiert, worauf bisweilen Referenzabbildungen in Publikationen deuten, hätten sie die Eigenschaften verloren, die sie jetzt bestimmen. Aussagen über Stadien mit Olympia-Dimensionen treffen auf das Handlungs-Modell von Kai Schiemenz so wenig zu, wie Aussagen über Idealisierungen der historischen Agora. Was für die kleinen und überschaubaren Gebilde im Maßstab 1:1 gilt, das gilt nicht mehr, wenn sie linear zum Monument vergrößert werden.

Schiemenz verbindet jede Präsentation mit einer Veranstaltungsreihe. Findet keine Veranstaltung statt, kann man die Architektur studieren – wie in Theatern oder Stadien auch. Die Verbindung von Architektur und Handlung als Exponat macht aus der Architektur ein Artefakt und aus der Handlung ein Ereignis. Wie eine Wanderbühne, die ihren architektonischen Sinn in den Veranstaltungen findet, erfüllt der Pavillon von Schiemenz seine Besonderheit als kleines Theater, das den Zuschauer zum Beteiligten macht und zur Darstellung auffordert. Die Formen inszenieren den Auftritt; der Auftritt selbst hängt von der Tagesform der Beteiligten ab.

Zugänge zu White Cubes sind bei Veranstaltungen meist verstellt. Wer herein kommt oder hinausgeht, bleibt in vielen Fällen unbemerkt und geht in der Menge unter. Nicht im Theater von Schiemenz. Er kehrt den stets heruntergespielten Eingang der White Cubes um und lässt jeden Neuankömmling vor aller Augen auftreten. Das Sehen und Gesehen-Werden ist so total wie detailliert. In Karlsruhe (2005) ging man durch einen schmalen Durchlass hindurch und stand vor allen Augen. In Münster (2005) und in Hamburg (2005) stieg man eine kleine Treppe zu einem Podest hinauf. Die Enge der Stufen erlaubte es nicht, mit seiner Begleitung gleichzeitig hinaufzugehen. Der Zugang vereinzelte. Auf dem Podest angekommen, musste man – ob man wollte oder nicht – kurz innehalten, um sich zu orientieren. Dieser kurze Moment des Innehaltens und der Desorientierung dauerte lange genug, dass die Anwesenden den neuen Gast auf der Plattform scannen konnten.

Jeder, der kommt, wird von allen gesehen. Die Abstraktion der entfernten Masse wie in einem Stadion stellt sich nicht ein. In den Theatern von Schiemenz ist der Blick direkt und jedes Gesicht unterscheidbar. Man geht nicht nur in einen Raum hinein, sondern wird - wie im aristokratischen Frankreich auf einer Plattform vorgestellt - kurz Zentrum der Aufmerksamkeit und tritt in einen kategorial anderen Raum. Hier gewinnt der Gast eine Identität gemäß seinem Auftritt. Daher fungiert der Pavillon als durch seinen Eingang markierte Diskontinuität, als Heterotop, als ein anderer Raum im Ausstellungshaus. Und damit jeder das spürt, hat der Künstler den Zugang als merkliche Schwelle gebaut. Wer nicht durch diese Passage geht und lediglich von außen schaut, bleibt konventioneller Ausstellungsbesucher. Wer sich in dem Gebilde befindet, ist Teil des Exponats und wird von außen ebenso aufmerksam betrachtet wie Bilder an der Wand oder die Lamellen des Gehäuses. Erst auf der Schwelle verwandelt sich der Besucher zum beobachtenden Teilnehmer. Eine theoretische Grundlegung dieser Pavillons könnte weder den performativen Charakter der Archiskulptur übergehen, noch Walter Benjamins „Schwellenzauber“