Katharina Bittel

Natalie Czech

12 Nov 2010 - 15 Jan 2011

© Natalie Czech
"A hidden poem by Robert Lax", 2010
NATALIE CZECH
"Je n'ai rien à dire. Seulement à montrer."

12. November 2010 – 15. Januar 2011

Natalie Czech zeigt in ihrer zweiten Einzelausstellung bei Katharina Bittel neue Arbeiten, die sich unterschiedlichen Gedichten aus dem 20. Jahrhundert widmen. Darin untersucht sie, inwiefern Worte Bilder evozieren und wie sich der Blickwinkel auf das Abgebildete durch minimale Eingriffe im Text verändern kann. Die hier ausgestellten Werke thematisieren das Potenzial, die eigene Sichtweise zu kommunizieren und die vorgegebene Realität als veränderbar zu begreifen. Czechs Arbeiten beziehen sich oftmals auf Textvorlagen wie zum Beispiel Romanfragmente, Filmzitate oder Tagebucheinträge.

Die neu entstandene Serie Hidden poems zeigt Fotografien, deren Materialgrundlage aus Magazinen, Tageszeitungen oder Bildbänden besteht. Aus dem Textmaterial wurden einzelne Worte mit Stiften oder Textmarkern hervorgehoben. Diese markierten Worte ergeben beim chronologischen Lesen ein Gedicht, das wie ein Gedanke, ähnlich einem Snap Shot, erscheint und im Dialog zum restlichen Text und den umliegenden Abbildungen steht.

In der Arbeit A hidden poem by E.E. Cummings #2 ist ein Ausschnitt aus einem amerikanischen Magazin der 60er Jahren zu sehen. Der unnatürlich rosa gefärbte Himmel wurde durch einen Nukleartest ausgeleuchtet. Der Text beschreibt den großen Enthusiasmus der Schaulustigen über das ungewöhnliche visuelle Ereignis. Das durch das Wegstreichen einzelner Worte sichtbar werdende Gedicht In sunlight over and overing. A once upon a newspaper transportiert das nostalgische Bild einer alten, im Sonnenlicht flatternden Zeitung und verdeutlicht deren kritiklose Berichterstattung, die gegenwärtig nicht mehr zeitgemäß wäre.

Das der Fotografie gewidmete Gedicht von Rolf Dieter Brinkmann aus dem Jahr 1963 mit dem Titel Geschlossenes Bild (A hidden poem by Rolf Dieter Brinkmann) ist in einem Text zur 'Appropriation Art' eingebettet, jener künstlerischen Strategie, die sich selbst mit Begriffen wie Authentizität, Objektivität und Autorschaft auseinandersetzt. Die im Text erwähnten Künstler Louise Lawler, Sherrie Levine und Richard Prince arbeiten in ihren Fotografien mit vorgefundenem ästhetischen Material und verstehen die Kopie dessen als den eigentlichen künstlerischen Akt. Czech steigert dieses Verfahren dadurch, indem sie die Arbeiten in einem anderen Kontext erneut reproduziert.

Weitere Werke aus der Serie thematisieren das Ausstellungskonzept des 'White Cube', das die Präsentation von Kunstwerken in neutralen, weißen Räumen vorsieht und das in den 1960er Jahren stark von amerikanischen Künstlern wie Michael Asher kritisiert wurde. A hidden poem by Robert Lax begleitet den sehr persönlichen Bericht eines Mannes, der alleine von den USA nach Großbritannien gesegelt ist, Robert Creeleys Gedicht findet sich in dem Text über eine Sonnenfinsternis und ein weiteres Gedicht von E.E. Cummings ist in einem Bericht über den Mathematiker John Nash zu lesen. Die Wahrnehmung zielt zunächst auf die konventionell zugeschriebenen Eigenschaften von Zeitschriften, die Bild und Text miteinander verbinden. Das markierte Gedicht greift in den Gedankenablauf des Betrachters ein und lenkt das allgemein geltende Bewusstsein in eine subjektive Empfindung. Czech zeichnet die Fährten im historischen Material nach, die Worte gewinnen eine Eigenbedeutung in der Sprache anderer.

Die im zweiten Raum präsentierte Arbeit Adieu ihr schönen Worte bezieht sich auf ein Zitat aus einem Band bisher unveröffentlichter Gedichte von Ingeborg Bachmann (1926-1973), deren Inhalt Tagebuchaufzeichnungen ähneln. Adieu, ihr schönen Worte, mit Euren Verheißungen. Warum habt Ihr mich verlassen, war Euch nicht wohl? Von dem Zitat ausgehend visualisiert Natalie Czech den Gedanken und ließ aus allen im Deutschen publizierten Romanen, Erzählungen, Gedichten und Schriften der Autorin ein einziges überdimensionales Blatt handschöpfen. Am Ende steht ein Unikat, auf dem bei näherem Hinsehen noch einzelne Silben lesbar sind. Auf dem Boden liegt eine einzelne Seite, scheinbar aus einem Notizbuch herausgerissen, auf der in Bachmanns Handschrift das Zitat zu lesen ist. In Czechs Blick auf Ingeborg Bachmann wird in deren Autorschaft eine Ebene eröffnet, die sich selbst zitiert. Das berühmte Diktum Roland Barthes' vom Tod des Autors und der Blick auf den Text als Sammlung von Zitaten zeugt von stetigen Neuzusammenstellungen.

Mit dem Titel der Ausstellung, Je n'ai rien à dire. Seulement à montrer, ein Zitat des Philosophen und Literaturkritikers Walter Benjamin, gibt die Künstlerin einen Hinweis auf dessen Methode, verschiedene Beobachtungen und Gedanken, Fund- und Bruchstücke des modernen Lebens zusammenzusetzen. Auch Natalie Czech schafft in ihren Werken neue Sichtbarkeiten durch das Auslassen oder Hervorheben einzelner Wörter. Während aber Walter Benjamin die Montagetechnik dazu nutzen wollte, eine objektivere Darstellung zu erlangen, spricht die Künstlerin durch die Schaffung neuer Deutungsebenen den subjektiven Blick des Betrachters an.

Nina Köller



Natalie Czech lebt und arbeitet in Berlin. In diesem Jahr sind ihre Arbeiten unter anderem in Ausstellungen im Westfälischen Kunstverein Münster, Camera Austria/Kunsthaus Graz und im Kunstverein Langenhagen zu sehen. 2010 erhielt Natalie Czech für ihre Serie „Hidden poems“ das Stipendium „Zeitgenössische deutsche Fotografie“ der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie 2008 das Peter Mertes Stipendium mit einer Einzelausstellung im Bonner Kunstverein. Außerdem ist sie Trägerin des Förderpreises Junge Kunst des Landes Nordrhein-Westfalen. Gerade erschien ihre Publikation Today I wrote nothing (Hrsg: GwinZegal, 44 Seiten, 21 x 13 cm).
 

Tags: Natalie Czech, Louise Lawler, Sherrie Levine, Richard Prince