SENTIMENT & GEOMETRIE
Sentiment & GeometrieUm auf einem Bild bestehen zu können, muss die Erscheinung einer Landschaft malerisch ’entwurzelt’ werden. Auf der Grenze von Anschauung und Erinnerung muss sie wiedererschaffen und zu etwas bildnerisch Gegenwärtigem gewandelt werden. Auf dieser Grenze bewegt sich Katharina Ismer. Malend durchmisst sie ihre Wahrnehmungen – flüchtige Lichtsituationen, die Stimmung eines Tages oder Ortes, die Farben der Jahreszeiten – und lässt sich von Zeit und Gedanken wie in einem Tagebuch tragen.
Ihre Empfindungslandschaften erscheinen als facettierte Farbkompartimente und gleitende Farbbänder. Harsch prallen gestisches Gespür und strukturale Härte aufeinander, die Tektonik wird mit floral verzogenem Farbvortrag überspannt. Katharina Ismers Strich wiegt sich wie das Blattwerk, durch welches man in CHAMBER auf einen ockern aufgezogenen Himmel blickt. Die aufgerauten Farbmassen lichten sich und selbst die Schatten leuchten still. Dem milden Flächenlicht ist ein undurchsichtiges, bläulich weißes Rechteck vorgeblendet, welches den Blick noch sanfter vergehen lässt. Die blockhaften Flächen auf ZWEI WANDERER in Türkis und Flieder sowie die gelben Bänder werden hingegen transparent und von violetten Hügeln oder Wurzeln, rosaockernen Wolken und blauen Himmelsfetzen komplementär gehalten, während die beiden Bäume dicht und gewunden aufragen.
Katharina Ismers Bildwelten sind fragil aufgefaltete Landschaftsfolien, vor welchen sich ausladende Formationen auf ZEIT NACH WEIHNACHTEN verästeln oder in AMAZONAS ornamental verwirbeln. Architektur und Botanik schließen sich dabei keineswegs aus. Die Gegensätze von WALD-STADT zerfasern und bringen einander dennoch wechselseitig hervor. Gleißend schweben die Bildgründe auf HIMMELSLEITER oder FONTAINEBELAU zwischen konstruktiven Flächen und organisch filigranen Strichlagen, die sich flächig, bisweilen auch straff rhythmisiert ineinander schieben. In CUBICLES hat Katharina Ismer mit kurzen Aufstrichen ein direkt aus dem gestischen Malvorgang gewonnenes Landschaftsloch in das asymmetrische Strukturfeld gerissen. Die Gründe verwischen in bewegtem Farbvollzug und die ortlosen Perspektivbänder umschließen die Figurationen. Einblick gibt dieses Panorama in die Bildlandschaft: Naturhaft muss sie aus der Farbe selbst empfunden sein.
Ein Bild wie DRAUSSEN VOR DEM FENSTER hält geradezu diesen empfundenen Bruch von Natur und Bildwirklichkeit offen. Die stehengelassenen Malspuren im Bildinnenraum künden vom langwierigen Prozess, die Farbe wuchern oder sich prismatisch sammeln zu lassen. Empfinden und Malakt fallen in Eins, ohne dass Katharina Ismer zu allzu einfachen Antworten gelangte. Heißt das Bild auch DRAUSSEN VOR DEM FENSTER, drinnen auf dem Bild muss man zu sehen zunächst erst lernen, bis mit einem Mal eine malerische Welt vor Augen steht: Unähnlich, doch unmittelbar voll Sentiment und Geometrie aus der Farbe empfunden.
Christian Malycha