POESIE DER BEILÄUFIGKEIT MA...
Poesie der BeiläufigkeitMalerei oder Skulptur? Katinka Pilscheurs Objekte sind beides zugleich. Sie bestechen durch ihre Hybridität und entziehen sich vorschnellen Kategorisierungen. Die Künstlerin findet die Materialien, die sie zu sorgfältig konstruierten Assemblagen zusammenfügt und zum Teil durch Farben ergänzt, meist am Straßenrand, auf dem Sperrmüll oder auf Flohmärkten. Teile alter Möbel, Baumaterialien wie Holz-, Hartschaum- und Rigipsplatten, diverse Haushaltsutensilien oder auch Elektrogeräte stellen das Ausgangsmaterial ihrer Arbeiten dar, das in immer wechselnden Versuchsanordnungen im Atelier und schließlich vor Ort arrangiert wird. Indem sie das Weggeworfene und Ausgesonderte zu präzise arrangierten Konstellationen gruppiert, beginnen die Dinge neue Geschichten zu erzählen: über sich selbst und unsere Beziehung zu ihnen.
Kawasakigrün, Styroporweiß, Mattscheibengrau: Das sind nur einige der Farben in Katinka Pilscheurs Repertoire. Farbe und Objekt sind hier ohne einander nicht zu denken. Zum einen sind neben den materiellen die farblichen Eigenschaften der Gegenstände zentral für deren ästhetischen Wert. Des weiteren verändern die Farben, mit denen Pilscheur die Gegenstände teilweise bemalt, ihre Erscheinung.
Trotz aller Sorgfalt in der Auswahl herrscht gewissermaßen eine Demokratie der Farben und Materialien: Alles kann in Katinka Pilscheurs Anordnungen gleichermaßen zu seinem Recht kommen; sei es ein ausrangierter Fernseher, ein altmodischer Kleiderbügel, ein Stück Plexiglas oder das leuchtende Hellgrün einer Kawasaki. Interessant ist nicht der nominale Wert eines Materials oder Gegenstandes, sondern entscheidend sind deren formale und farbliche Eigenschaften.
Im Falle des 2 x 2 Meter großen Bildobjekts, das für die Ausstellung in der Galerie Koal entstanden ist, steht die Signalwirkung des typischen Kawasakigrüns im Mittelpunkt. Mit Hilfe eines professionellen Lackierers wurde exakt die Menge Farbe, die man für die Lackierung eines Motorrades benötigt, in der entsprechenden Stärke auf eine Leinwand aufgetragen. Das hochglänzende Finish steigert den Effekt der satten Farbigkeit, die, sieht man einige Sekunden auf die Fläche, als optischen Effekt eine pink-violette Aureole um die Leinwand entstehen lässt. Einerseits spielt Katinka Pilscheur hier mit grundlegenden Aspekten der Farbenlehre und referiert zudem auf Ansätze aus der Farbfeldmalerei der Nachkriegsmoderne. Andererseits befragt sie mittels der Objekthaftigkeit der Farbe, die eine Transformation des Objektes „Kawasaki“ darstellt, ein weiteres Mal das Verhältnis von Malerei und Skulptur. Und zu guter letzt handelt es sich einfach um eine grüne Fläche, deren Maße sich durch ein simples Rechenexempel ergeben haben. Es ist genau diese Beiläufigkeit, die Katinka Pilscheurs Arbeit ausmacht: Die Dinge sind ganz konkret als sie selbst gemeint, und doch weisen sie durch minimale oder auch deutlichere Eingriffe und Irritationen über sich selbst hinaus und entfalten eine ganz eigene Poesie.
Nicht zu unterschätzen ist im Rahmen der künstlerischen Praxis Katinka Pilscheurs die Bedeutung des Zufalls. Ohne sich auf ihn einzulassen, würde sie kaum die Dinge finden, die ihr Ausgangsmaterial darstellen und würden auch die Kombinationen der Dinge anders aussehen. Das Abschweifen und das Finden von etwas zuvor gar nicht Gesuchten, das man aber doch nur finden konnte, weil man sein Sensorium dafür bereits geschult hat, lässt sich auch mit dem englischen Begriff ‚serendipity’ fassen. ‚Serendipity’, was soviel heißt wie ‚etwas Interessantes entdecken, ohne danach gesucht zu haben’, ist eine Wortschöpfung des englischen Autors Horace Walpole (1717–1797). Walpole benutzte den Begriff zum ersten Mal 1754 in einem Brief, und er ging auf die Lektüre eines Märchens zurück, das 1557 in Venedig erschienen war. Der von Walpole genannte englische Titel dieses Märchens lautet The Three Princes of Serendip und beschreibt, wie drei Prinzen aus Serendip (eine alte Bezeichnung für Sri Lanka) beständig Dinge finden, nach denen sie nicht gesucht haben, die ihnen jedoch von Nutzen sind. Ihre Offenheit, das Unerwartete zuzulassen, ist Bedingung für ihre Funde.
Ähnlich wie die Prinzen von Serendip zeichnet auch Katinka Pilscheur die Bereitschaft aus, das, was uns alltäglich umgibt, fremd und einzigartig zu finden. Ihre Fähigkeit, sich auf die Dinge, die ihr unerwartet und doch nicht unvorbereitet begegnen, einzulassen, ermöglicht ihr schlüssige Kombinationen von scheinbar Zusammenhangslosem. Immer ist Pilscheurs Befragung der konkreten Dinge an sich auch eine Befragung, der Welt, der sie entstammen und in der wir leben.
Christine Heidemann, Berlin, Januar 2007
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Poetry of Casualness
Painting or sculpture? Katinka Pilscheur’s objects are both at the same time. They impress the viewer by their hubris and they withdraw from any hasty categorisations. The artist finds her materials, which she puts together into carefully constructed assemblages and at times supplements with paints, on the side of the street, among bulky refuse, or at flea markets. Parts of old furniture, building materials such as wood, hard foam and plasterboard, various household items but also electrical appliances provide the basic material of her work which is constantly reassembled at her studio and lastly arranged at the gallery. By grouping all these disposed and thrown out things into precisely organized constellations they themselves are beginning to tell new stories – about themselves and our relationship to them.
Kawasaki green, Styrofoam white, TV screen grey – these are only some of the colours in Katinka Pilscheur’s repertoire. The colour and the object cannot be separated from each other. Actually, the very colours of the objects, aside from their material properties, are crucial for their aesthetic value, just as the colours Pilscheur is painting the objects with, which alter their overall appearance.
Despite all her care in the selection process there is a sense of democracy of colours and materials. In her arrangements there is no favouritism – be it a scrapped TV, an old-fashioned hanger, a piece of acrylic glass or the bright green of a Kawasaki – the nominal value of the object is of no importance but rather their colour properties.
As in the case of the two-by-two metres image-object, which has been designed for the exhibition at the Koal Gallery, the focus is on the signal effect of the typical Kawasaki green. With the help of a professional varnisher the exact amount and thickness of paint needed for spraying a motorcycle was applied onto the screen. Its very glossy finish amplifies the effect of the colour, which, when looking at it for some seconds, creates an optical effect of a pink-violet halo around the screen. On the one hand, Katinka Pilscheur is playing with basic aspects of the theory of colour and additionally refers to ideas from Colourfield Painting of post-war modernism. On the other hand, she questions the relationship between painting and sculpture once more through the object-like appearance of the colour, thus showing a transformation of a ‘Kawasaki’. Last but not least, this image is also just a patch of green whose measurements came about by a simple sample calculation. Exactly this casualness is the trademark of Pilscheur’s work – the things are really meant to be themselves, however, through minimal or more distinct alterations they always point to something beyond themselves and develop their very own poetry.
The element of chance cannot be underestimated in Pilscheur’s works of art. Without being open to the effect of chance she would not be able to find the things that make the basis of her creations and thus the combination of the things would likewise look quite different. Deviation as such as well as finding something previously not looked for, but which could only have been found because one’s senses had been trained, is what could be referred to as ‘serendipity’. ‘Serendipity’ is a term coined by the English writer Horace Walpole (1717-1797) meaning ‘to discover something interesting without having actually looked for it’. Walpole first mentioned it in a letter in 1754 where he was referring to his reading of a fairy-tale that had been published in Venice in 1557. Walpole mentions the title as The Three Princes of Serendip and he describes how the three princes from Serendip (old name for Sri Lanka) constantly find things they had not been looking for but which turn out to be of good use to them. Their openness to accept the unexpected is the key to their findings.
Similar to the princes of Serendip, Katinka Pilscheur’s main trait is her readiness to find something unusual and unique in the everyday objects surrounding us. Her skill of being open to the things she comes across unexpectedly though not unprepared enable her to create plausible combinations of seemingly incoherent things. Pilscheur’s questioning of concrete things is in fact also questioning the world they stem from and we live in.
Christine Heidemann, Berlin, in January 2007