Michael Sailstorfer
26 Nov 2010 - 06 Feb 2011
Michael Sailstorfer ,Forest 2010
Trees, electric motors, steel ;Room sized
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2010
Courtesy Johann König, Berlin
Photo: Achim Kukulies
Trees, electric motors, steel ;Room sized
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2010
Courtesy Johann König, Berlin
Photo: Achim Kukulies
MICHAEL SAILSTORFER
Forst
26 November 2010 – 06 February 2011
Michael Sailstorfer (*1979, Velden/Vils), der an der Münchener Akademie der Künste und am Londoner Goldsmith College studiert hat, gehört zu den wichtigsten Vertretern der jungen deutschen Kunst. Durch die künstlerische Verwandlung alltäglicher Objekte und Orte schafft er poetische Bilder, die Zustände von Euphorie bis zum Verfall verhandeln. Absurdes Scheitern und Tragikomik spielen eine ebenso bedeutsame Rolle wie die Frage nach dem Raum, den eine Skulptur einzunehmen vermag: Mitunter werden Hör- oder Geruchssinn der Betrachter attackiert. Sailstorfers Werk bewegt sich im Spannungsfeld von Begriffen wie Heimat und Ferne, Mobilität und Stillstand oder Licht und Dunkelheit. Zerstören und neu zusammensetzen sind die Gestaltungsprinzipien seiner Arbeit. Bei aller Vehemenz der künstlerischen Transformation zeichnen sich Sailstorfers Werke stets auch durch Humor und eine hintergründige Melancholie aus.
Ein zentrales und mehrfach wiederholtes Motiv der Ausstellung »Forst« ist der Wald, der seit jeher als unerschöpfliche Quelle für Zuschreibungen jeder Art dient: Vom romantischen Refugium der Stille über eine furchterregende Dunkelheit bis zum Heimatmythos schlechthin. Doch in Sailstorfers Werk steht der Begriff für den kultivierten, bearbeiteten, nutzbar gemachten Wald. Vor diesem Hintergrund beziehen sich etwa einige der präsentierten Arbeiten im Spiel mit dem bloßen Kontrast zwischen hell und dunkel, zwischen Fülle und Leere, auf Prozesse der ›Lichtung‹.
Beim Betreten der Jugendstilhalle im Obergeschoss der kestnergesellschaft öffnet sich folgendes Szenario: In der titelgebenden und eigens für den Raum entwickelten Installation »Forst« (2010) werden Laubbäume, kopfüber in einer Stahlkonstruktion hängend, in kontinuierlichen Kreisbewegungen über den Boden geschliffen. Dort liegt deren Abfall im Wortsinne: Äste, Blätter und Zweige, in denen die Baumkronen unermüdlich rühren. Durch meditativ, fast tänzerisch wirkenden Bewegungen ordnen sich die Haufen zu Mustern, die sich unmerklich aber stetig verändern. Das nach oben Wachsende, die Spitze markiert hier den Grund und zeichnet sich ein. So fegen die Bäume ihr eigenes Laub und werden es nie entfernen.
Nicht minder absurd mutet eine frühe Arbeit von Sailstorfer an, die ebenfalls performativ angelegt ist und wie viele Werke als Dokumentation existiert. Mit Jürgen Heinert hat Sailstorfer für »3 Ster mit Ausblick« (2002) eine Hütte Stück für Stück demontiert und parallel dazu in einem Ofen verbrannt, der sich darin befindet. Die Hütte, metaphorisch für Geborgenheit und Behausung stehend, frisst sich im Verlauf dieser Aktion selbst auf. Übrig bleibt am Ende nur der Ofen, dessen Rohr am Ende des Tages zweckfrei und skulptural in der Landschaft lodert, die vom Drama der Dinge gänzlich unberührt scheint.
Eine andere formale Umsetzung von Prozessen der Auflösung und ›Lichtung‹ zeigt »Schwarzwald« (2010): Sailstorfer hat den Boden und die Bäume eines realen Waldstückes mit einem Volumen von 6 x 6 x 6 m monochrom in schwarz gefärbt – ein Bild dieser quadratischen ›Bühne‹ wird über eine Überwachungskamera live auf den schwarzen, ebenso würfelförmigen Monitor im weißen Raum übertragen: Ein Raum im Raum. Zwar hält sich die Spannung in Grenzen, aber trotzdem passiert ständig etwas: Sonnenlicht und Witterung marodieren den schwarzen Raum in der Natur, es laufen Rehe, Hirsche und Wildschweine hindurch. In Bezug auf Malewitschs »Schwarzes Quadrat«, eine der Ikonen der Moderne, ist dies ein kurzer Sieg über die Sonne, der scheitern muss. Doch ist die Existenz des Werkes mit der Ausstellung in der kestnergesellschaft nicht abgeschlossen: Im Frühjahr 2010 wird der schwarze Würfel auch im Museum S.M.A.K. im belgischen Gent präsentiert, wenn Sailstorfers Einzelausstellung dort eröffnet.
Sailstorfers Werke lassen häufig an Experimente oder an wissenschaftliche Versuchsanordnungen denken: Für »Raketenbaum« (2008) hat Sailstorfer in der Gegend seines Heimatortes, die häufig als Labor für seine ›Feldversuche‹ dient, einen Obstbaum in die Luft geschossen. Gleichzeitig hat er das groteske Ereignis dokumentiert, in dem die friedliche Wald- und Wiesenszenerie für einen Moment aus den Fugen gerät. Hinter dem scheinbaren Kinderspiel stecken immense technische Vorbereitungen, die auf ein unproportionales Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis, zwischen Intention und Resultat schließen lassen. Nach Albert Camus sind es genau solche Konstellationen, in denen sich das Absurde zeigt, das unser Leben gleichermaßen prägt.
»Clouds« (2010) wiederum ist eine skulpturale Verwandlung: Handelsübliche Industrieschläuche werden in dem Werk zu Wolken. Neben dem künstlerischen Spiel mit formalen Aspekten wie Volumen, Schwere oder Durchlässigkeit findet auch eine architektonische Umwidmung des Ortes statt: Die Licht spendenden Deckenfenster werden überflüssig – eine Arbeit, mit der Sailstorfer seinen Eingriff bei der Ausstellung »Made in Germany« (2007) zitiert, wo er an dieser Stelle einen künstlichen Übergang zur Erleichterung der hausinternen Laufwege einrichtete.
Das Zusammengehen von Kunst und Alltag, bereits von Künstlern wie Joseph Beuys oder Allan Kaprow erprobt, und auch von Sailstorfer hier hintergründig umgesetzt, mündet folgerichtig ein wenig außerhalb der Ausstellung, in der Katalogsammlung, quasi inmitten der Geschichte der kestnergesellschaft: Die mit »Hang Over« (2004) betitelte Kronleuchter-Bar-Kühlschrank-Skulptur fasst circa 300 Bierflaschen. Je mehr Bier getrunken wird, desto heller wird der Raum – und desto verschwommener wiederum der Blick auf die eigene Geschichte.
Michael Sailstorfer, den die Besucher der kestnergesellschaft bereits von »Made in Germany« (2007) kennen, hatte zuletzt Einzelpräsentationen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (2008), im Rahmen der Pulheimer Reihe »Stadtbild.Interventionen« (2009/10), im Leopold-Hoesch-Museum, Düren, und in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf (2010). Im Jahr 2011 werden seine Arbeiten unter anderem in den Partnerinstitutionen der kestnergesellschaft, S.M.A.K. Gent, Belgien, sowie in der Kunsthalle Nürnberg gezeigt. Werke von Sailstorfer befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Centre Pompidou, Paris, dem Städelmuseum, Frankfurt, der Städtischen Galerie Lenbachhaus und der Sammlung Goetz, München.
Michael Sailstorfer (*1979, Velden/Vils), der an der Münchener Akademie der Künste und am Londoner Goldsmith College studiert hat, gehört zu den wichtigsten Vertretern der jungen deutschen Kunst. Durch die künstlerische Verwandlung alltäglicher Objekte und Orte schafft er poetische Bilder, die Zustände von Euphorie bis zum Verfall verhandeln. Absurdes Scheitern und Tragikomik spielen eine ebenso bedeutsame Rolle wie die Frage nach dem Raum, den eine Skulptur einzunehmen vermag: Mitunter werden Hör- oder Geruchssinn der Betrachter attackiert. Sailstorfers Werk bewegt sich im Spannungsfeld von Begriffen wie Heimat und Ferne, Mobilität und Stillstand oder Licht und Dunkelheit. Zerstören und neu zusammensetzen sind die Gestaltungsprinzipien seiner Arbeit. Bei aller Vehemenz der künstlerischen Transformation zeichnen sich Sailstorfers Werke stets auch durch Humor und eine hintergründige Melancholie aus.
Ein zentrales und mehrfach wiederholtes Motiv der Ausstellung »Forst« ist der Wald, der seit jeher als unerschöpfliche Quelle für Zuschreibungen jeder Art dient: Vom romantischen Refugium der Stille über eine furchterregende Dunkelheit bis zum Heimatmythos schlechthin. Doch in Sailstorfers Werk steht der Begriff für den kultivierten, bearbeiteten, nutzbar gemachten Wald. Vor diesem Hintergrund beziehen sich etwa einige der präsentierten Arbeiten im Spiel mit dem bloßen Kontrast zwischen hell und dunkel, zwischen Fülle und Leere, auf Prozesse der ›Lichtung‹.
Beim Betreten der Jugendstilhalle im Obergeschoss der kestnergesellschaft öffnet sich folgendes Szenario: In der titelgebenden und eigens für den Raum entwickelten Installation »Forst« (2010) werden Laubbäume, kopfüber in einer Stahlkonstruktion hängend, in kontinuierlichen Kreisbewegungen über den Boden geschliffen. Dort liegt deren Abfall im Wortsinne: Äste, Blätter und Zweige, in denen die Baumkronen unermüdlich rühren. Durch meditativ, fast tänzerisch wirkenden Bewegungen ordnen sich die Haufen zu Mustern, die sich unmerklich aber stetig verändern. Das nach oben Wachsende, die Spitze markiert hier den Grund und zeichnet sich ein. So fegen die Bäume ihr eigenes Laub und werden es nie entfernen.
Nicht minder absurd mutet eine frühe Arbeit von Sailstorfer an, die ebenfalls performativ angelegt ist und wie viele Werke als Dokumentation existiert. Mit Jürgen Heinert hat Sailstorfer für »3 Ster mit Ausblick« (2002) eine Hütte Stück für Stück demontiert und parallel dazu in einem Ofen verbrannt, der sich darin befindet. Die Hütte, metaphorisch für Geborgenheit und Behausung stehend, frisst sich im Verlauf dieser Aktion selbst auf. Übrig bleibt am Ende nur der Ofen, dessen Rohr am Ende des Tages zweckfrei und skulptural in der Landschaft lodert, die vom Drama der Dinge gänzlich unberührt scheint.
Eine andere formale Umsetzung von Prozessen der Auflösung und ›Lichtung‹ zeigt »Schwarzwald« (2010): Sailstorfer hat den Boden und die Bäume eines realen Waldstückes mit einem Volumen von 6 x 6 x 6 m monochrom in schwarz gefärbt – ein Bild dieser quadratischen ›Bühne‹ wird über eine Überwachungskamera live auf den schwarzen, ebenso würfelförmigen Monitor im weißen Raum übertragen: Ein Raum im Raum. Zwar hält sich die Spannung in Grenzen, aber trotzdem passiert ständig etwas: Sonnenlicht und Witterung marodieren den schwarzen Raum in der Natur, es laufen Rehe, Hirsche und Wildschweine hindurch. In Bezug auf Malewitschs »Schwarzes Quadrat«, eine der Ikonen der Moderne, ist dies ein kurzer Sieg über die Sonne, der scheitern muss. Doch ist die Existenz des Werkes mit der Ausstellung in der kestnergesellschaft nicht abgeschlossen: Im Frühjahr 2010 wird der schwarze Würfel auch im Museum S.M.A.K. im belgischen Gent präsentiert, wenn Sailstorfers Einzelausstellung dort eröffnet.
Sailstorfers Werke lassen häufig an Experimente oder an wissenschaftliche Versuchsanordnungen denken: Für »Raketenbaum« (2008) hat Sailstorfer in der Gegend seines Heimatortes, die häufig als Labor für seine ›Feldversuche‹ dient, einen Obstbaum in die Luft geschossen. Gleichzeitig hat er das groteske Ereignis dokumentiert, in dem die friedliche Wald- und Wiesenszenerie für einen Moment aus den Fugen gerät. Hinter dem scheinbaren Kinderspiel stecken immense technische Vorbereitungen, die auf ein unproportionales Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis, zwischen Intention und Resultat schließen lassen. Nach Albert Camus sind es genau solche Konstellationen, in denen sich das Absurde zeigt, das unser Leben gleichermaßen prägt.
»Clouds« (2010) wiederum ist eine skulpturale Verwandlung: Handelsübliche Industrieschläuche werden in dem Werk zu Wolken. Neben dem künstlerischen Spiel mit formalen Aspekten wie Volumen, Schwere oder Durchlässigkeit findet auch eine architektonische Umwidmung des Ortes statt: Die Licht spendenden Deckenfenster werden überflüssig – eine Arbeit, mit der Sailstorfer seinen Eingriff bei der Ausstellung »Made in Germany« (2007) zitiert, wo er an dieser Stelle einen künstlichen Übergang zur Erleichterung der hausinternen Laufwege einrichtete.
Das Zusammengehen von Kunst und Alltag, bereits von Künstlern wie Joseph Beuys oder Allan Kaprow erprobt, und auch von Sailstorfer hier hintergründig umgesetzt, mündet folgerichtig ein wenig außerhalb der Ausstellung, in der Katalogsammlung, quasi inmitten der Geschichte der kestnergesellschaft: Die mit »Hang Over« (2004) betitelte Kronleuchter-Bar-Kühlschrank-Skulptur fasst circa 300 Bierflaschen. Je mehr Bier getrunken wird, desto heller wird der Raum – und desto verschwommener wiederum der Blick auf die eigene Geschichte.
Michael Sailstorfer, den die Besucher der kestnergesellschaft bereits von »Made in Germany« (2007) kennen, hatte zuletzt Einzelpräsentationen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (2008), im Rahmen der Pulheimer Reihe »Stadtbild.Interventionen« (2009/10), im Leopold-Hoesch-Museum, Düren, und in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf (2010). Im Jahr 2011 werden seine Arbeiten unter anderem in den Partnerinstitutionen der kestnergesellschaft, S.M.A.K. Gent, Belgien, sowie in der Kunsthalle Nürnberg gezeigt. Werke von Sailstorfer befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Centre Pompidou, Paris, dem Städelmuseum, Frankfurt, der Städtischen Galerie Lenbachhaus und der Sammlung Goetz, München.
Forst
26 November 2010 – 06 February 2011
Michael Sailstorfer (*1979, Velden/Vils), der an der Münchener Akademie der Künste und am Londoner Goldsmith College studiert hat, gehört zu den wichtigsten Vertretern der jungen deutschen Kunst. Durch die künstlerische Verwandlung alltäglicher Objekte und Orte schafft er poetische Bilder, die Zustände von Euphorie bis zum Verfall verhandeln. Absurdes Scheitern und Tragikomik spielen eine ebenso bedeutsame Rolle wie die Frage nach dem Raum, den eine Skulptur einzunehmen vermag: Mitunter werden Hör- oder Geruchssinn der Betrachter attackiert. Sailstorfers Werk bewegt sich im Spannungsfeld von Begriffen wie Heimat und Ferne, Mobilität und Stillstand oder Licht und Dunkelheit. Zerstören und neu zusammensetzen sind die Gestaltungsprinzipien seiner Arbeit. Bei aller Vehemenz der künstlerischen Transformation zeichnen sich Sailstorfers Werke stets auch durch Humor und eine hintergründige Melancholie aus.
Ein zentrales und mehrfach wiederholtes Motiv der Ausstellung »Forst« ist der Wald, der seit jeher als unerschöpfliche Quelle für Zuschreibungen jeder Art dient: Vom romantischen Refugium der Stille über eine furchterregende Dunkelheit bis zum Heimatmythos schlechthin. Doch in Sailstorfers Werk steht der Begriff für den kultivierten, bearbeiteten, nutzbar gemachten Wald. Vor diesem Hintergrund beziehen sich etwa einige der präsentierten Arbeiten im Spiel mit dem bloßen Kontrast zwischen hell und dunkel, zwischen Fülle und Leere, auf Prozesse der ›Lichtung‹.
Beim Betreten der Jugendstilhalle im Obergeschoss der kestnergesellschaft öffnet sich folgendes Szenario: In der titelgebenden und eigens für den Raum entwickelten Installation »Forst« (2010) werden Laubbäume, kopfüber in einer Stahlkonstruktion hängend, in kontinuierlichen Kreisbewegungen über den Boden geschliffen. Dort liegt deren Abfall im Wortsinne: Äste, Blätter und Zweige, in denen die Baumkronen unermüdlich rühren. Durch meditativ, fast tänzerisch wirkenden Bewegungen ordnen sich die Haufen zu Mustern, die sich unmerklich aber stetig verändern. Das nach oben Wachsende, die Spitze markiert hier den Grund und zeichnet sich ein. So fegen die Bäume ihr eigenes Laub und werden es nie entfernen.
Nicht minder absurd mutet eine frühe Arbeit von Sailstorfer an, die ebenfalls performativ angelegt ist und wie viele Werke als Dokumentation existiert. Mit Jürgen Heinert hat Sailstorfer für »3 Ster mit Ausblick« (2002) eine Hütte Stück für Stück demontiert und parallel dazu in einem Ofen verbrannt, der sich darin befindet. Die Hütte, metaphorisch für Geborgenheit und Behausung stehend, frisst sich im Verlauf dieser Aktion selbst auf. Übrig bleibt am Ende nur der Ofen, dessen Rohr am Ende des Tages zweckfrei und skulptural in der Landschaft lodert, die vom Drama der Dinge gänzlich unberührt scheint.
Eine andere formale Umsetzung von Prozessen der Auflösung und ›Lichtung‹ zeigt »Schwarzwald« (2010): Sailstorfer hat den Boden und die Bäume eines realen Waldstückes mit einem Volumen von 6 x 6 x 6 m monochrom in schwarz gefärbt – ein Bild dieser quadratischen ›Bühne‹ wird über eine Überwachungskamera live auf den schwarzen, ebenso würfelförmigen Monitor im weißen Raum übertragen: Ein Raum im Raum. Zwar hält sich die Spannung in Grenzen, aber trotzdem passiert ständig etwas: Sonnenlicht und Witterung marodieren den schwarzen Raum in der Natur, es laufen Rehe, Hirsche und Wildschweine hindurch. In Bezug auf Malewitschs »Schwarzes Quadrat«, eine der Ikonen der Moderne, ist dies ein kurzer Sieg über die Sonne, der scheitern muss. Doch ist die Existenz des Werkes mit der Ausstellung in der kestnergesellschaft nicht abgeschlossen: Im Frühjahr 2010 wird der schwarze Würfel auch im Museum S.M.A.K. im belgischen Gent präsentiert, wenn Sailstorfers Einzelausstellung dort eröffnet.
Sailstorfers Werke lassen häufig an Experimente oder an wissenschaftliche Versuchsanordnungen denken: Für »Raketenbaum« (2008) hat Sailstorfer in der Gegend seines Heimatortes, die häufig als Labor für seine ›Feldversuche‹ dient, einen Obstbaum in die Luft geschossen. Gleichzeitig hat er das groteske Ereignis dokumentiert, in dem die friedliche Wald- und Wiesenszenerie für einen Moment aus den Fugen gerät. Hinter dem scheinbaren Kinderspiel stecken immense technische Vorbereitungen, die auf ein unproportionales Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis, zwischen Intention und Resultat schließen lassen. Nach Albert Camus sind es genau solche Konstellationen, in denen sich das Absurde zeigt, das unser Leben gleichermaßen prägt.
»Clouds« (2010) wiederum ist eine skulpturale Verwandlung: Handelsübliche Industrieschläuche werden in dem Werk zu Wolken. Neben dem künstlerischen Spiel mit formalen Aspekten wie Volumen, Schwere oder Durchlässigkeit findet auch eine architektonische Umwidmung des Ortes statt: Die Licht spendenden Deckenfenster werden überflüssig – eine Arbeit, mit der Sailstorfer seinen Eingriff bei der Ausstellung »Made in Germany« (2007) zitiert, wo er an dieser Stelle einen künstlichen Übergang zur Erleichterung der hausinternen Laufwege einrichtete.
Das Zusammengehen von Kunst und Alltag, bereits von Künstlern wie Joseph Beuys oder Allan Kaprow erprobt, und auch von Sailstorfer hier hintergründig umgesetzt, mündet folgerichtig ein wenig außerhalb der Ausstellung, in der Katalogsammlung, quasi inmitten der Geschichte der kestnergesellschaft: Die mit »Hang Over« (2004) betitelte Kronleuchter-Bar-Kühlschrank-Skulptur fasst circa 300 Bierflaschen. Je mehr Bier getrunken wird, desto heller wird der Raum – und desto verschwommener wiederum der Blick auf die eigene Geschichte.
Michael Sailstorfer, den die Besucher der kestnergesellschaft bereits von »Made in Germany« (2007) kennen, hatte zuletzt Einzelpräsentationen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (2008), im Rahmen der Pulheimer Reihe »Stadtbild.Interventionen« (2009/10), im Leopold-Hoesch-Museum, Düren, und in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf (2010). Im Jahr 2011 werden seine Arbeiten unter anderem in den Partnerinstitutionen der kestnergesellschaft, S.M.A.K. Gent, Belgien, sowie in der Kunsthalle Nürnberg gezeigt. Werke von Sailstorfer befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Centre Pompidou, Paris, dem Städelmuseum, Frankfurt, der Städtischen Galerie Lenbachhaus und der Sammlung Goetz, München.
Michael Sailstorfer (*1979, Velden/Vils), der an der Münchener Akademie der Künste und am Londoner Goldsmith College studiert hat, gehört zu den wichtigsten Vertretern der jungen deutschen Kunst. Durch die künstlerische Verwandlung alltäglicher Objekte und Orte schafft er poetische Bilder, die Zustände von Euphorie bis zum Verfall verhandeln. Absurdes Scheitern und Tragikomik spielen eine ebenso bedeutsame Rolle wie die Frage nach dem Raum, den eine Skulptur einzunehmen vermag: Mitunter werden Hör- oder Geruchssinn der Betrachter attackiert. Sailstorfers Werk bewegt sich im Spannungsfeld von Begriffen wie Heimat und Ferne, Mobilität und Stillstand oder Licht und Dunkelheit. Zerstören und neu zusammensetzen sind die Gestaltungsprinzipien seiner Arbeit. Bei aller Vehemenz der künstlerischen Transformation zeichnen sich Sailstorfers Werke stets auch durch Humor und eine hintergründige Melancholie aus.
Ein zentrales und mehrfach wiederholtes Motiv der Ausstellung »Forst« ist der Wald, der seit jeher als unerschöpfliche Quelle für Zuschreibungen jeder Art dient: Vom romantischen Refugium der Stille über eine furchterregende Dunkelheit bis zum Heimatmythos schlechthin. Doch in Sailstorfers Werk steht der Begriff für den kultivierten, bearbeiteten, nutzbar gemachten Wald. Vor diesem Hintergrund beziehen sich etwa einige der präsentierten Arbeiten im Spiel mit dem bloßen Kontrast zwischen hell und dunkel, zwischen Fülle und Leere, auf Prozesse der ›Lichtung‹.
Beim Betreten der Jugendstilhalle im Obergeschoss der kestnergesellschaft öffnet sich folgendes Szenario: In der titelgebenden und eigens für den Raum entwickelten Installation »Forst« (2010) werden Laubbäume, kopfüber in einer Stahlkonstruktion hängend, in kontinuierlichen Kreisbewegungen über den Boden geschliffen. Dort liegt deren Abfall im Wortsinne: Äste, Blätter und Zweige, in denen die Baumkronen unermüdlich rühren. Durch meditativ, fast tänzerisch wirkenden Bewegungen ordnen sich die Haufen zu Mustern, die sich unmerklich aber stetig verändern. Das nach oben Wachsende, die Spitze markiert hier den Grund und zeichnet sich ein. So fegen die Bäume ihr eigenes Laub und werden es nie entfernen.
Nicht minder absurd mutet eine frühe Arbeit von Sailstorfer an, die ebenfalls performativ angelegt ist und wie viele Werke als Dokumentation existiert. Mit Jürgen Heinert hat Sailstorfer für »3 Ster mit Ausblick« (2002) eine Hütte Stück für Stück demontiert und parallel dazu in einem Ofen verbrannt, der sich darin befindet. Die Hütte, metaphorisch für Geborgenheit und Behausung stehend, frisst sich im Verlauf dieser Aktion selbst auf. Übrig bleibt am Ende nur der Ofen, dessen Rohr am Ende des Tages zweckfrei und skulptural in der Landschaft lodert, die vom Drama der Dinge gänzlich unberührt scheint.
Eine andere formale Umsetzung von Prozessen der Auflösung und ›Lichtung‹ zeigt »Schwarzwald« (2010): Sailstorfer hat den Boden und die Bäume eines realen Waldstückes mit einem Volumen von 6 x 6 x 6 m monochrom in schwarz gefärbt – ein Bild dieser quadratischen ›Bühne‹ wird über eine Überwachungskamera live auf den schwarzen, ebenso würfelförmigen Monitor im weißen Raum übertragen: Ein Raum im Raum. Zwar hält sich die Spannung in Grenzen, aber trotzdem passiert ständig etwas: Sonnenlicht und Witterung marodieren den schwarzen Raum in der Natur, es laufen Rehe, Hirsche und Wildschweine hindurch. In Bezug auf Malewitschs »Schwarzes Quadrat«, eine der Ikonen der Moderne, ist dies ein kurzer Sieg über die Sonne, der scheitern muss. Doch ist die Existenz des Werkes mit der Ausstellung in der kestnergesellschaft nicht abgeschlossen: Im Frühjahr 2010 wird der schwarze Würfel auch im Museum S.M.A.K. im belgischen Gent präsentiert, wenn Sailstorfers Einzelausstellung dort eröffnet.
Sailstorfers Werke lassen häufig an Experimente oder an wissenschaftliche Versuchsanordnungen denken: Für »Raketenbaum« (2008) hat Sailstorfer in der Gegend seines Heimatortes, die häufig als Labor für seine ›Feldversuche‹ dient, einen Obstbaum in die Luft geschossen. Gleichzeitig hat er das groteske Ereignis dokumentiert, in dem die friedliche Wald- und Wiesenszenerie für einen Moment aus den Fugen gerät. Hinter dem scheinbaren Kinderspiel stecken immense technische Vorbereitungen, die auf ein unproportionales Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis, zwischen Intention und Resultat schließen lassen. Nach Albert Camus sind es genau solche Konstellationen, in denen sich das Absurde zeigt, das unser Leben gleichermaßen prägt.
»Clouds« (2010) wiederum ist eine skulpturale Verwandlung: Handelsübliche Industrieschläuche werden in dem Werk zu Wolken. Neben dem künstlerischen Spiel mit formalen Aspekten wie Volumen, Schwere oder Durchlässigkeit findet auch eine architektonische Umwidmung des Ortes statt: Die Licht spendenden Deckenfenster werden überflüssig – eine Arbeit, mit der Sailstorfer seinen Eingriff bei der Ausstellung »Made in Germany« (2007) zitiert, wo er an dieser Stelle einen künstlichen Übergang zur Erleichterung der hausinternen Laufwege einrichtete.
Das Zusammengehen von Kunst und Alltag, bereits von Künstlern wie Joseph Beuys oder Allan Kaprow erprobt, und auch von Sailstorfer hier hintergründig umgesetzt, mündet folgerichtig ein wenig außerhalb der Ausstellung, in der Katalogsammlung, quasi inmitten der Geschichte der kestnergesellschaft: Die mit »Hang Over« (2004) betitelte Kronleuchter-Bar-Kühlschrank-Skulptur fasst circa 300 Bierflaschen. Je mehr Bier getrunken wird, desto heller wird der Raum – und desto verschwommener wiederum der Blick auf die eigene Geschichte.
Michael Sailstorfer, den die Besucher der kestnergesellschaft bereits von »Made in Germany« (2007) kennen, hatte zuletzt Einzelpräsentationen in der Schirn Kunsthalle Frankfurt (2008), im Rahmen der Pulheimer Reihe »Stadtbild.Interventionen« (2009/10), im Leopold-Hoesch-Museum, Düren, und in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf (2010). Im Jahr 2011 werden seine Arbeiten unter anderem in den Partnerinstitutionen der kestnergesellschaft, S.M.A.K. Gent, Belgien, sowie in der Kunsthalle Nürnberg gezeigt. Werke von Sailstorfer befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Centre Pompidou, Paris, dem Städelmuseum, Frankfurt, der Städtischen Galerie Lenbachhaus und der Sammlung Goetz, München.