KOW

Alice Creischer

01 Mar - 19 Apr 2014

© Alice Creischer
In The Stomach Of The Predators, 2013/2014
ALICE CREISCHER
In the Stomach of the Predators
1 March - 19 April 2014

Engagierte Künstler sind Schlitzohren. Was sie zeigen ist schön, auch wenn es grausam ist. Gleich wie tief sie hineinschauen in gesellschaftliche Realitäten, die einem die Schuhe ausziehen – ihre Formen finden unser Wohlgefallen. Das ist nicht bloß ein Zynismus des heutigen Kunstbetriebs. Die Ästhetisierung des Ungerechten und Schamlosen ist eine Voraussetzung künstlerischer Aufklärung, die das Schöne braucht um das Schlimme zu sagen. Nicht zufällig zählen Komödie und Groteske zum festen Bestand kritischer Kunstformen (siehe Charlie Chaplin). Deren Glaubwürdigkeit besteht gerade darin, schockierende Verhältnisse und politische Abgründe in Worten und Gesten zum Besten zu geben, die den Ernst der Sache nicht ernst nehmen. Solch artistische Verzerrung und mitunter Verrätselung behauptet nicht, die Welt zu erklären oder gar zu verbessern, und trifft doch den Nagel manchmal auf den Kopf. Zugleich lässt sie sich von rationalen Diskursen und symbolischer Vereinnahmung nicht ohne Weiteres fangen. Wir kommen noch darauf zurück.

„Eine Apokalyptische Recherche“ nennt Alice Creischer ihre Untersuchungen zum Raubtierkapitalismus unserer Tage, die sie 2012 und 2013 mit Andreas Siekmann im Rahmen des Bergen Assembly, der Biennale Regard Benin und der Istanbul Biennale durchführte. Das gemeinsame Projekt IN THE STOMACH OF THE PREDATORS entwickelte sich über diese drei Etappen, für KOW und die Galerie Barbara Weiss haben es beide Künstler nun individuell weitergeführt und in zwei Einzelausstellungen pointiert. So oft Creischer und Siekmann immer wieder als Künstler, Kuratoren und Theoretiker zusammenarbeiten (ihre beiden Kinder spielen diesmal ebenfalls eine aktive Rolle), so deutlich zeigen sich nun auch die Unterschiede beider Positionen, die, obgleich inhaltlich vielfach verschränkt, methodisch andere Wege gehen. IN THE STOMACH OF THE PREDATORS ist damit auch ein Beispiel für eine künstlerische Kooperation im Sinne einer doppelten Praxis, in der beide Stimmen erkennbar sind.

Creischers Produktion nimmt die Struktur und Thematik ihrer ersten Ausstellung bei KOW wieder auf und schließt unmittelbar daran an (DAS ETABLISSEMENT DER TATSACHEN, 2012). Vier Raubtiere stehen als schrullige Skulpturen auf meterhohen Stelzen im oberen Raum der Galerie: Wolf, Hyäne, Bär und Schakal. Sie stehen für vier unterschiedliche Fälle der Privatisierung und Monopolisierung von Gemeingütern (Commons) und teilen die Ausstellung in entsprechende Kapitel. Man muss genau hinsehen, um den Texten, Zeichen und Bildapplikationen auf den Kleidern der Tiere Bedeutung zu geben. Zwar ist deren symbolische Logik präzis, inhaltlich steht man aber weitgehend auf dem Schlauch. Erst später, im Untergeschoss, bieten Karteikarten genaueren Einblick in Statistiken, Firmennetzwerke, politische Hintergründe. Sie informieren über die Vertreibung von Menschen aus ihrem vormals geteilten Besitz, um Platz zu machen für die ökonomische Fremdverwertung ihres Lebensraums. Toxisches Material, das man besser mit Schutzhandschuhen anfasst.

Der Wolf: Auf der arktischen Insel Spitzbergen liegt der Saatgut-Tresor Svalbard Global Seed Vault. Tief im Permafrostboden wird hier der weltweite Artenreichtum zehntausender Nutzpflanzen verwahrt, die durch moderne Hochleistungssorten aus den Laboren von Biotechkonzernen wie Monsanto, Pioneer und Syngenta verdrängt werden. Eben diese Konzerne finanzieren den Samen-Tresor, um Befürchtungen zu zerstreuen, sie würden die in hunderten Generationen herangezüchtete Sortenvielfalt zerstören. Tatsächlich verschwindet ein globaler Genpool, ein Erbe und Gemeingut der Kulturen der Welt, im Magen eines Bunkers, dessen Tore kontrolliert werden von den Raubtieren der Agrarindustrie.

Die Hyäne: In Benin wie in anderen wenig entwickelten Ländern werden Eigentumsgrenzen gezogen, wo es vorher keine gab. Gemeinschaftsbesitz oder einzelne Nutzungsrechte waren im lokalen Wissen der Bevölkerung verankert, nun verlangen Bürokratien Papiere. Staaten und Investmentgesellschaften vermessen Land, bestimmen Besitzverhältnisse und bringen schon Quadratmeter als Optionen an die Wall Street, noch bevor die Nutzer oder Eigentümer vertrieben oder unter Wert entschädigt werden. Die koloniale Aufteilung Afrikas setzt sich fort, indem Parzelle für Parzelle auf den Märkten für Bau- und Agrarland privatisiert wird.

Der Bär: Ähnliches geschieht in Istanbul, nur sind die Instrumente der Landnahme andere. Der Bauboom in der Stadt ist ein Vertreibungsprozess. Traditionelle Stadtteile wie Sulukule, das älteste Roma-Viertel der Welt, und Tarlabaşı, der sozial durchmischte Bezirk unterhalb des Geziparks und des Taksimplatzes, werden samt ihrer Bewohner entfernt. Mitglieder der Erdoğan-Familie arbeiten auf Seiten der Regierung und der Immobilienwirtschaft Hand in Hand, um gewachsene urbane Strukturen zu schleifen, öffentliches Leben aufzulösen und den freigesetzten Stadtraum in Public-Privat-Partnerships mit hohen Gewinnmargen neu zu bewirtschaften.

Der Schakal: Viele Raubtiere suchen neue Nahrung im Ressourcenkapitalismus. Die Ausbeutung des Bodens verspricht höhere Gewinne als die Ausbeutung produktiver Arbeit. Dieser „Extraktivismus“ untergräbt buchstäblich Gemeingüter, trägt Lebensraum ab, und unterläuft zugleich Gerechtigkeitsforderungen der Arbeitnehmerschaft, die in den Slums der Großstädte als neue industrielle Reservearmee auf künftige Einsätze hofft. Die Besetzung von Commons, die Vertreibung indigener Bevölkerung und die großflächige Vergiftung z.B. durch gigantische Tagebauprojekte bildeten auch das letzte Kapitel in Creischers vorheriger Ausstellung.

IN THE STOMACH OF THE PREDATORS vertieft das Thema, ja insistiert mit einem Karteikastenapparat auf der Vermittlung von Fakten und auf deren Einordnung, fordert, sich einzulesen in die komplexe Materie kritischer Kapitalismusrezeption. Aber wissen wir das alles nicht schon? Zumindest ungefähr? Trägt Creischer Eulen nach Athen, wenn sie dem Kunstpublikum den Feinstaub neoliberaler Emissionen unter die Nase reibt? Der wird niemanden überraschen, sofern er oder sie bereits ausreichend kritischen Geist mitbringt, um ein Archiv wie dieses zu studieren. Aber Emanzipation ist Arbeit, Kritikfähigkeit nicht delegierbar, und Creischers Skepsis gegenüber politischen Künstlerstatements deutlich zu spüren. Sie weiß um die große Groteske der Kunst, in der sich lächerlich macht, wer ernsthaft mit Spatzen auf Raubtiere schießt, und sie bestimmt ihre Position entsprechend. Sie nimmt den Ernst der Lage ernst und auch nicht. Zurecht ist sie empört über die Gier der Wölfe und Hyänen und besteht auf den Daten, die deren Praxen belegen. Und zu Recht inszeniert sie diese Empörung als ein Stück Theater.

Zwei Fotos von einer Demonstration gegen die Grüne Woche am 19.12.2013 in Berlin bilden einen Vorhang, dahinter läuft ein Film. Hier kehren die Raubtiere wieder. Wolf, Hyäne, Bär und Schakal ziehen in schlurfigen Klamotten von Spitzbergen über Benin nach Istanbul. Von Biennale zu Biennale, vom einen politischen Schauplatz zum nächsten, vagabundieren sie wie eine Karawane sozialkritischer Künstlerexistenzen, den Nachwuchs im Schlepptau. In unbeholfener Kabarettistik werden die Rollen der Prädatoren appropriiert, die ihr Saatgut verteilen, Land okkupieren und ihre Reihen von Nullen knüpfen, die sie aus der Entwertung von Commons bezogen haben und nun weiterreichen an die fantastischen Mathematik der Spekulation, die sie in Einsen verwandelt und zu Profiten addiert. Es ist eine Prozession ärmlicher Fabelwesen, die ihre hungrigen Mägen – Damenhandtaschen mit preziösem Inhalt – hinter sich her ziehen wie Gefangene ihre Ketten, während sie nur darauf warten, im geeigneten Moment dem Vordermann das Messer in den Rücken zu stoßen. Raubtiere eben.

Die Schauplätze sind real, die politischen und ökonomischen Prozesse sind es auch, und ebenso real mag die gefühlte Ohnmacht der Kunst sein, dieser systemischen Gewalt irgendwie zu begegnen. Tut sie es doch, und was sonst sollte sie auch tun, ist es eine gute Option, das gleich als eine Farce aufzufassen und, zumal sie selbst oft im Magen der Raubtiere sitzt, sich dabei nicht ohne Weiteres verdaubar zu machen. Seit den frühen Neunzigerjahren ist Alice Creischer eine der wichtigen Figuren künstlerischer Politisierungsbewegungen in Deutschland, und wenn ihre Ausstellung mit den Mitteln des Schönen das Schlimme erzählt und zugleich verklausuliert, mag das nicht ohne Grund an die subversive Poetik erinnern, mit der Künstlerinnen und Künstler unter repressiven Regimen, z.B. in der DDR, die Maschen der Zensur verklebten. Wer heute Raubtiere dabei studiert, wie sie Commons fressen, und das Gemeingut kultureller Selbstbestimmung noch nicht hergeben will, tut gut daran, seinem Werk nicht gleich alle Schürfrechte beizulegen, mit denen sich vielleicht alles aus ihm herausholen ließe.

Text: Alexander Koch
 

Tags: Alice Creischer, Andreas Siekmann