Krinzinger

Gavin Turk

24 Feb - 26 Mar 2011

© Gavin Turks
The Beach 2010
graphite on paper
150 x 256 cm
GAVIN TURK
Before The World Was Round
24. Februar – 26. März 2011

»Before the world was round« ist sowohl Titel der Ausstellung als auch eine zentrale Arbeit in Gavin Turks Schau: Eine Weltkarte aus abblätternder Farbe steht für die Krise einer einstigen Weltmacht. Großbritannien, einst stolze Heimat von Seeleuten, Kriegern, Bauern und Händlern ist auf Identitätssuche. Das britische Erbe ist zu einem Schatten seiner selbst geworden, als Klischee und Karikatur wird es von der Tourismusindustrie instrumentalisiert, vom Punk dekonstruiert, vom amerikanischen Kulturtsunami (auf dem Warhol so gekonnt surfte) überrollt.
Während die Künstlerateliers lebendiger denn eh und je und voller technischer Raffinesse sind, hat die britische Kultur ihre handwerkliche Industrie weitestgehend verloren. Die »White Van Man« (selbständige Handwerker mit ihren weißen Minivans) sind ihr klägliches Überbleibsel, in der »Transit Disaster«-Serie (2010/11) sind ihre Autos als Wracks zu sehen, der Schutt des postindustriellen Symbols der british working class durch die Brille von Andy Warhol. Kunst wird auf ein menschlichen Überresten entsprechendes Häufchen Asche (»Ash«, 2008) reduziert. Die Revolution, die niemals stattfand, spiegelt sich in »Missile« (2010) wieder , einem Ziegelstein der ein übermal ter Bronzeabguss ist – Turks Markenzeichen. Ähnlich funktioniert »Pavement« (2008), ein bemalter Guss eines Gehsteigs.
»The Beach« (2010) ist die Frottage eines Gehwegs, bevor die Menschen sich erheben und den Sand unter den Steinen freilegen. »Nail« (2011) ist ein Mahnmal, ein rostiger Nagel in menschlicher Dimension.
Aber wieso einen einfachen Ziegelstein durch einen Bronzeguss aufwerten und ihn dann mit Ölfarbe wieder in einen Ziegelstein verwandeln? Der Künstler spielt mit der Wahrnehmung, Unschuld und Gefahr, Dichte und Textur. Das Auge wägt die Wahrnehmung ab, es ist ein Spiel mit den Sinnen, eine philosophische Gymnastik. Wann ist ein Warhol kein Warhol?
Wenn er der britischen Turk-Behandlung unterzogen wurde. Um Oberfläche geht es auch in der »Fresh Window«-Serie (2011). Bezug nehmend auf Leon Batista Albertis Ratschlag an Maler, den Rahmen eines Bildes wie ein offenes Fenster zu sehen, und Duchamps Entgegnung »Fresh Widow« (1920), das den Blick verwehrt, spielt Turks Serie mit der Rhetorik des Fensters, erzeugt aber keine Illusion, außer die des Fensterrahmens. Man blickt auf Oberflächen aber sieht Metaphern, wie auch bei den bemalten Bronzen.
»En Face« (2010), eine Serie von Tonskulpturen, rundet die Ausstellung ab. 2009 lud Turk das Publikum im Rahmen von Performances ein, Skulpturen seines Kopfes umzuformen.
Die resultierenden Bildnisse sind zerschlagen, verschlissen und verunstaltet – die natürliche Resonanz eines alle Altersstufen, Kulturen und Bildungsschichten umfassenden Publikums war das Zerstören und Beschädigen, nicht das Verschönern und Schmücken. Die Köpfe zeugen von Turks These, dass die zeitgenössische britische Kultur in ihrem Innersten immer Punk geblieben ist - das Radikale wurde vom Mainstream konsumiert. Die Ausstellung könnte genauso »Fuit Hic« heißen – wie die Van Eyck Referenz auf der Ziegelwand. Kilroy wos ’ere.
 

Tags: Gavin Turk, Andy Warhol