Tepidarium
14 Dec 2013 - 23 Feb 2014
TEPIDARIUM
Eine Winterausstellung in 2 Schritten
14 Dezember 2013 - 23 Februar 2014
"Tepidarium" ist eine Ausstellungs-Fata Morgana. Skulpturen sehen dort Pflanzen zum Verwechseln ähnlich, als wolle die Kunst dem Garten draußen so ähnlich werden wie sie nur kann. Ein Sofa wird zum Teil der Architekturgeschichte des Ausstellungsraums. Je länger wir aber die Objekte und ihre Ähnlichkeiten bestaunen, desto unausweichlicher wird die Frage, was so naturgetreue Ähnlichkeit eigentlich so anziehend macht?
Künstler: Angela de la Cruz, Jochen Dehn, Peter Rogiers
Kurator: Gerrit Gohlke
Ausstellungsort: Freundschaftsinsel Eröffnung: Samstag, 18. Januar 2014 , 16:00
Eigentlich finden Eröffnungen am Anfang einer Ausstellung statt. Im Fall von "Tepidarium" jedoch gibt es eine lange Vorgeschichte, die eineinhalb Autostunden von Potsdam entfernt in Forst in der Lausitz beginnt. Dort hat Jochen Dehn eine Ulme bis zum Wurzelwerk aus dem Boden entnommen, wie einen Bausatz zerlegt, verladen und in sein Lager geschafft, um sie für Ausstellungen wiederauferstehen zu lassen. Das Astwerk wird dann jedes Mal sortiert, verschraubt, mit Keilen gesichert, bis der Baum in veränderter Form selbsttragend steht. Mal wuchert er durch eine Tür in den Nachbarraum. Mal steht er frei. Immer ist er der Träger eines künstlerischen Experiments, in dem die Anpassung an den Ort und die Erwartungen, die dem Artefakt dort entgegengebracht werden, so wichtig sind wie das Objekt selbst. Dehn ist ein Experimentator nicht nur im Umgang mit der skulpturalen Form, sondern auch mit der Rolle des Künstlers und der Vorstellung, die wir uns von ihr machen.
"Bowling Ball Beach II", die chirurgisch montierte Ulme, ist also ein skulpturales Ereignis, das nur ausschnitthaft im gläsernen Ausstellungsgebäude in Potsdam zu sehen sein kann. Die Karnevalsgesellschaft, die dem Künstler geholfen hat, den ausgegrabenen Baum zu verladen, die einsame Sortierung und Nummerierung der Äste mit naturkundlicher Präzision in den Höhen des Weserberglandes, die Re-Migration des Baumes nach Brandenburg zählen ebenso zur Ausstellung wie Dehns Entscheidung, das der Natur entfremdete Gewächs in Potsdam geradezu naturgetreu zu inszenieren, Spiegelbild des Draußen, verschraubtes Zerrbild in wohliger Harmonie mit der Wirklichkeit. Warum, fragt Dehn interessiert in den Garten zurück, ist Ähnlichkeit und Harmonie eigentlich so wichtig? Er hat den Baum zu Ausstellungsbeginn als stillschweigende Überraschung im Ausstelungsraum installiert. Erst jetzt bekommt das Objekt Geschichte und Namen. Bis zur Eröffnung am Ende des ersten Ausstellungsteils führte Dehns Skulptur ein Doppelleben als Spiegelbild der Natur.
Peter Rogiers "The Garden" pflichtet Dehn aus der entgegengesetzten Richtung bei. Seine Palme richtet dem Publikum ihre Aluminiumblätter wie Säbelklingen entgegen. Verschraubt, verschweißt, in Kisten aufgebahrt, im Seecontainer verschifft, versucht sein metallisch reflektierendes Gewächs nicht einmal den Anschein zu erwecken, es sei der Natur nebenan entnommen. Es ist fremd wie ein UFO, eine Märchenerzählung von anderswo. Und doch verzückt die Palme, ein blecherner Pflanzengolem, weil sie uns ganz offensichtlich von ihren dekorativen Qualitäten überzeugen will. Sie ist keine abstrakte Chiffre, sondern eine Prothesen-Palme, und doch ist sie schön und nicht nur ein ironisches Spiel mit der Skulpturgeschichte. Sie lehnt sich auf gegen das Pathos der zeitgenössischen Kunst, borgt in der Populärkultur und kokettiert in aller Unschuld mit der nackten Expression. Eine botanische Travestie, die allen Welten zugleich angehört: Der Natur draußen, der Kunst drinnen und dem ungerührten Modernismus des Pavillons.
In ihm steht mit Angela de la Cruz' "Transfer (Ivory)" ein schwer beladenes Sofa, das nicht nur die beiden (falschen) Pflanzen, sondern auch den Aufführungsort der Ausstellung kommentiert. De la Cruz' Sofa trumpft als Inkunabel der Moderne in der 1970er-Architektur des Pavillons auf. Die sachliche Eleganz des Objekts braucht freilich einen Stuhl als statische Assistenz. Der minimalistische Quader, den das Möbel trägt, verliert das Gleichgewicht. Wieder eine Prothese im Raum, die ein Stück Formgeschichte des 20. Jahrhunderts richten muss. Nichts ist, was es scheint in dieser Ausstellung. Oder vielmehr ist alles, wie es scheint, der Schein genügt aber keiner festen Ordnung mehr. Er verselbständigt sich um so mehr, je länger wir schauen. Je angestrengter wir entschlüsseln wollen, was zu sehen ist, desto mehr sehen wir uns selbst. Keine schlechten Voraussetzungen für unsere Vitrine, die wir den Passanten zur beiläufigen Betrachtung aus den Augenwinkeln anempfehlen.
Nur am Samstag ist der Raum offen, danach wird er zum Vorstellungsraum der Vorübereilenden. Ein Tepidarium ist in der Bäderkultur ja ein therapeutischer Wärmeraum, in dem der Gast auf Bänken ruht. Mag im BKV diese Position auch ein Objekt einnehmen, ist die Wärme doch für jeden Betrachter frei zu regulieren. Wenn die Kunst dieses Raums sich in seiner Vorstellung abspielt, sollte es ihm überlassen bleiben, auch die Raumtemperatur einzustellen.
Der BKV Potsdam dankt den beteiligten Künstlern sowie den leihgebenden Galerien Thomas Schulte, Aanant & Zoo (Berlin) und Lisson Gallery (London). Besonderer Dank gilt Jochen Dehn, Michael Müller, Alexander Hahn, Thomas Schulte und Eike Dürrfeld.
Eine Winterausstellung in 2 Schritten
14 Dezember 2013 - 23 Februar 2014
"Tepidarium" ist eine Ausstellungs-Fata Morgana. Skulpturen sehen dort Pflanzen zum Verwechseln ähnlich, als wolle die Kunst dem Garten draußen so ähnlich werden wie sie nur kann. Ein Sofa wird zum Teil der Architekturgeschichte des Ausstellungsraums. Je länger wir aber die Objekte und ihre Ähnlichkeiten bestaunen, desto unausweichlicher wird die Frage, was so naturgetreue Ähnlichkeit eigentlich so anziehend macht?
Künstler: Angela de la Cruz, Jochen Dehn, Peter Rogiers
Kurator: Gerrit Gohlke
Ausstellungsort: Freundschaftsinsel Eröffnung: Samstag, 18. Januar 2014 , 16:00
Eigentlich finden Eröffnungen am Anfang einer Ausstellung statt. Im Fall von "Tepidarium" jedoch gibt es eine lange Vorgeschichte, die eineinhalb Autostunden von Potsdam entfernt in Forst in der Lausitz beginnt. Dort hat Jochen Dehn eine Ulme bis zum Wurzelwerk aus dem Boden entnommen, wie einen Bausatz zerlegt, verladen und in sein Lager geschafft, um sie für Ausstellungen wiederauferstehen zu lassen. Das Astwerk wird dann jedes Mal sortiert, verschraubt, mit Keilen gesichert, bis der Baum in veränderter Form selbsttragend steht. Mal wuchert er durch eine Tür in den Nachbarraum. Mal steht er frei. Immer ist er der Träger eines künstlerischen Experiments, in dem die Anpassung an den Ort und die Erwartungen, die dem Artefakt dort entgegengebracht werden, so wichtig sind wie das Objekt selbst. Dehn ist ein Experimentator nicht nur im Umgang mit der skulpturalen Form, sondern auch mit der Rolle des Künstlers und der Vorstellung, die wir uns von ihr machen.
"Bowling Ball Beach II", die chirurgisch montierte Ulme, ist also ein skulpturales Ereignis, das nur ausschnitthaft im gläsernen Ausstellungsgebäude in Potsdam zu sehen sein kann. Die Karnevalsgesellschaft, die dem Künstler geholfen hat, den ausgegrabenen Baum zu verladen, die einsame Sortierung und Nummerierung der Äste mit naturkundlicher Präzision in den Höhen des Weserberglandes, die Re-Migration des Baumes nach Brandenburg zählen ebenso zur Ausstellung wie Dehns Entscheidung, das der Natur entfremdete Gewächs in Potsdam geradezu naturgetreu zu inszenieren, Spiegelbild des Draußen, verschraubtes Zerrbild in wohliger Harmonie mit der Wirklichkeit. Warum, fragt Dehn interessiert in den Garten zurück, ist Ähnlichkeit und Harmonie eigentlich so wichtig? Er hat den Baum zu Ausstellungsbeginn als stillschweigende Überraschung im Ausstelungsraum installiert. Erst jetzt bekommt das Objekt Geschichte und Namen. Bis zur Eröffnung am Ende des ersten Ausstellungsteils führte Dehns Skulptur ein Doppelleben als Spiegelbild der Natur.
Peter Rogiers "The Garden" pflichtet Dehn aus der entgegengesetzten Richtung bei. Seine Palme richtet dem Publikum ihre Aluminiumblätter wie Säbelklingen entgegen. Verschraubt, verschweißt, in Kisten aufgebahrt, im Seecontainer verschifft, versucht sein metallisch reflektierendes Gewächs nicht einmal den Anschein zu erwecken, es sei der Natur nebenan entnommen. Es ist fremd wie ein UFO, eine Märchenerzählung von anderswo. Und doch verzückt die Palme, ein blecherner Pflanzengolem, weil sie uns ganz offensichtlich von ihren dekorativen Qualitäten überzeugen will. Sie ist keine abstrakte Chiffre, sondern eine Prothesen-Palme, und doch ist sie schön und nicht nur ein ironisches Spiel mit der Skulpturgeschichte. Sie lehnt sich auf gegen das Pathos der zeitgenössischen Kunst, borgt in der Populärkultur und kokettiert in aller Unschuld mit der nackten Expression. Eine botanische Travestie, die allen Welten zugleich angehört: Der Natur draußen, der Kunst drinnen und dem ungerührten Modernismus des Pavillons.
In ihm steht mit Angela de la Cruz' "Transfer (Ivory)" ein schwer beladenes Sofa, das nicht nur die beiden (falschen) Pflanzen, sondern auch den Aufführungsort der Ausstellung kommentiert. De la Cruz' Sofa trumpft als Inkunabel der Moderne in der 1970er-Architektur des Pavillons auf. Die sachliche Eleganz des Objekts braucht freilich einen Stuhl als statische Assistenz. Der minimalistische Quader, den das Möbel trägt, verliert das Gleichgewicht. Wieder eine Prothese im Raum, die ein Stück Formgeschichte des 20. Jahrhunderts richten muss. Nichts ist, was es scheint in dieser Ausstellung. Oder vielmehr ist alles, wie es scheint, der Schein genügt aber keiner festen Ordnung mehr. Er verselbständigt sich um so mehr, je länger wir schauen. Je angestrengter wir entschlüsseln wollen, was zu sehen ist, desto mehr sehen wir uns selbst. Keine schlechten Voraussetzungen für unsere Vitrine, die wir den Passanten zur beiläufigen Betrachtung aus den Augenwinkeln anempfehlen.
Nur am Samstag ist der Raum offen, danach wird er zum Vorstellungsraum der Vorübereilenden. Ein Tepidarium ist in der Bäderkultur ja ein therapeutischer Wärmeraum, in dem der Gast auf Bänken ruht. Mag im BKV diese Position auch ein Objekt einnehmen, ist die Wärme doch für jeden Betrachter frei zu regulieren. Wenn die Kunst dieses Raums sich in seiner Vorstellung abspielt, sollte es ihm überlassen bleiben, auch die Raumtemperatur einzustellen.
Der BKV Potsdam dankt den beteiligten Künstlern sowie den leihgebenden Galerien Thomas Schulte, Aanant & Zoo (Berlin) und Lisson Gallery (London). Besonderer Dank gilt Jochen Dehn, Michael Müller, Alexander Hahn, Thomas Schulte und Eike Dürrfeld.