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MARCUS STEINWEG
 

15 STATEMENTS ZUM VERHÄLTNIS VON KUNST, PHILOSOPHIE, SUBJEKTIVITÄT, LIEBE, FREUNDSCHAFT UND NAMENLOSIGKEIT

Katalog: Ayse Erkmen, Christine Hill und Thomas Hirschhorn.
Beitrag für Thomas Hirschhorn.
1. Es gibt Kunst nur als Behauptung.

2. Jede Behauptung ist kopflos, blind und übertrieben. Sie ist immer zu schnell. Die Kopflosigkeit selbst zu behaupten, verlangt von der Kunst eine Art atemloser Präzision.

3. Das Subjekt der Kunst ist Subjekt dieser Selbstbehauptung. Es behauptet sich als Subjekt einer Atemlosigkeit, die es an die Grenze seines Subjektseins führt. Subjekt nenne ich, was irreduzibel bleibt auf seinen Objektstatus, auf seine objektive Realität. Der Objektstatus des Subjekts konstituiert seinen Realitätsanteil. Subjekt ist, was diese Realität überschreitet. Das Subjekt ist Subjekt, solange es etwas anderes als im Tatsachenraum kodifiziertes und repräsentiertes Objekt ist. Die faktische Unfreiheit des Subjekts kann weder bestritten noch verabsolutiert werden. Sie ist nichts als eine Tatsache. Im Verhältnis zu dieser Tatsache behauptet sich das Subjekt als namenloser Widerstand. Subjektsein bedeutet, sich in keiner Situation und zu keinem Zeitpunkt der Tatsachenautorität zu assimilieren.

3. Die Selbstbehauptung der Kunst erschöpft sich nicht im Negativen. Kunst ist nicht Reaktion. Statt zu reagieren und auf ihre Situation zu antworten, ist Kunst Formbehauptung: Durchquerung und Überschreitung ihrer Situation (sei sie ökonomischer, politischer, biologischer oder kultureller Art). Die Überschreitung dieser relativen Bedingungen ist absolute Bedingung von Kunst.

4. Affirmativ ist die Überschreitung der relativen Bedingungen, weil sie sich auf das Jenseits der Wirklichkeiten wie Möglichkeiten öffnet. Diese Öffnung reißt das Subjekt aus seiner Realitätsverklammerung ohne esder Dummheit des Idealen zu opfern.

5. Eine Form zu behaupten, bedeutet das Chaos zu präzisieren.

6. Das Chaos hat in der Geschichte der Philosophie eine Unzahl von Namen. Es ist das Göttliche oder das Unzeitgemäße, das Noumenale und das Sublime, das Werden oder das Aussen, die Kontingenz und reine Mannigfaltigkeit, das Nichts oder die Freiheit. Dimension des Ethischen, des Mystischen, des Wunders oder des Unaussprechlichen: Das Inkommensurable, das Heterogene, das Unmögliche: reine Gesichts- und Namenlosigkeit.

7. So viele Namen für die eine Namenlosigkeit. Ich denke, dass sie so vielzählig sind, und sich auch zu widersprechen scheinen (warum zum Beispiel sollten Kontingenz und Freiheit einer Ordnung zugerechnet werden?), weil sie auf die konfliktuöse Grundbehauptung des abendländischen Denkens referieren: das Jenseits der Grenze kann nur als Unmögliches und Unlebbares gedacht werden. Die höchste Anstrengung liegt darin, seine Inkompetenz im Akt der Berührung des Unmöglichen einzugestehen.

8. Denken ist Denken des Undenkbaren, sonst wäre es kein Denken, keine Philosophie. Das Eingeständnis der ontologischen Inkompetenz des Subjekts muss keine Niederlage sein. Es gehört zum positiven Begriff des Subjekts auf das Nichtpositive, das Nichtgegebene und Unberührbare geöffnet zu sein.

9. Das Einverständnis mit der ontologischen Inkompetenz wäre ein Akt der Selbstaffirmation und Selbstaufrichtung eines Subjekts, das sich weigert vor dem Nichts zu kapitulieren.

10. Was teilt die Kunst mit dem Denken, worin liegt die Freundschaft von Kunst und Philosophie? Es gibt Kunst und Philosophie nur im Verhältnis zu dem, was jeden Halt und jedes Verhältnis primordial verunsichert, verunmöglicht oder unterbricht und derart unverhältnismässig sein lässt, nur im Verhältnis also zur Unverhältnismässigkeit des Aussen, zum Realen, zum Unmöglichen, zur Unheimlichkeit oder zum Chaos. Als sei zumindest dieses klar: dass zum Subjekt – wie zur Kunst, zur Philosophie und zum Schreiben, zur Liebe und zum Leben – die Selbstverlängerung auf eine Fremdheit gehört, die alle Akte und alle Entscheidungen an den Rand des Mach- und Sagbaren, an die Grenze der Realität selber zwingt. Wieder findet sich das Subjekt auf seine Ohnmacht verwiesen. Wieder berührt und erfindet und erfasst es sich im Kontakt mit dem Unberührbaren, dem Unmöglichen und Unfassbaren. Nocheinmal gleichen seine Erfahrungen einer elementaren Erfahrungslosigkeit.

11. Offenbar gibt es Philosophie nur als Freundschaft, als philía, wie es griechisch heisst. Was ist das für eine Freundschaft, die das Denken lebt und praktiziert? Es ist eine Freundschaft, die alle seine Regungen nährt und steuert. Sie gibt dem Denken sein Ziel und seine Richtung. Sie macht aus der Philosophie eine Sorge und Unruhe. Die philía ist, was das Denken über sich hinausbeschleunigen lässt.

12. Die Stimme des Freundes, sagt Heidegger, ist, was das Dasein noch im Moment der äussersten Einsamkeit mit sich trägt. Die Stimme des Freundes ist unaufhörlich. Sie widersteht ihrer Auslöschung. Sodaß die Philosophie sich auf einen Laut zu verlassen beginnt, der als Zeichen des Unendlichen in den Bezirk der Tatsachen, der Realitäten und Träume dringt. Unendliche Stimme, unendlicher Appell, unendlicher Widerstand, der das Denken an die Mauer des Schweigens grenzen lässt, an eine Grenze, die das Subjekt mit dem Wunder des Unausprechlichen vereint.

13. Philosophie beschreibt den Akt dieser Bejahung, den Blanchot als die Insistenz eines erschrockenen Mädchens bestimmt, dessen Entschiedenheit unzweifelhaft ist im Augenblick einer „Bewegung, die sie mitten in der Nacht auf einen Unbekannten zutrieb und seiner Gnade auslieferte.“ Einer „vornehmen Bewegung“, die ihr „sehr wahrhaftig und richtig“ auszuführen gelingt. Anmut einer gültigen Überstürzung, die für einen Moment als äusserste Forderung oder Forderung des Äussersten gelten kann. Augenblick, in dem sich ein junges Mädchen in den Erfordernissen der Nacht verliert. Am Limit der Nacht, in ihrer Mitte, öffnet sich das Mädchen dem eigenen Verlangen und beschließt die Katastrophe zu ihrer Wahrheit zu machen. Der Beschluß ist einzigartig. Er bedeutet eine nahezu erhabene Geste an der Grenze des Sinns. Indem sich ein Mädchen jenseits der Bedeutung, im Abseits der symbolischen Ordnung, auf sein Begehren verlässt, überläßt es sich für den Moment der Krise einer Kopflosigkeit für die es keine Sprache mehr gibt. Sie ertrinkt in diesem Verlangen, das unmäßig erscheint und ihren Tod bedeutet, den sie nicht flieht. Der Schleier einer grausamen Wahrheit hat sich über ihre Züge gelegt. Der Glanz einer Todgeweihten. Ihre Schönheit ist maßlos. Sie ist der Widerschein dieser Maßlosigkeit selbst.

14. Was ist Denken, was ist Philosophie? Denken und Philosophie sind Berührungen des Unendlichen. Sie bewegen sich auf die Grenze der Sprache, des Sagbaren, der Realitäten und Träume zu. In dem Moment, in dem die Träume versagen und die Realitäten schrumpfen, steuert die Philosophie auf eine Wirklichkeit zu, die im Namenlosen verborgen ihr Rätsel bleibt. Die philía ist, was das Subjekt mit dem Rätsel verbindet und sich mit ihm versöhnen hilft. Freundschaft mit der Unversöhnlichkeit eines Rätsels, das nicht aufhört das Unwirkliche selbst zu sein. Versöhnung mit dem Namenlosen: das ist Denken und Philosophie.

15. Immer bewegt sich das Denken auf das Verborgene zu. Immer streift es die Grenze der Tatsachenwelt, um den Möglichkeiten einer Versöhnung mit der Unversöhnlichkeit des Rätsels nachzugehen. Immer muss die Philosophie eine Freundschaft wagen, die alle Sorgen der Berührung des Namenlosen auf sie überträgt. Und dennoch ist der Moment dieser Übertragung und dieser Last Augenblick der Schwerelosigkeit. Nie hat sich die Freiheit gewaltsamer eines Subjekts bemächtigt als in der namenlosen Evidenz die Freundschaft heisst.