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MARCUS STEINWEG
 

DAS WELTSPIEL. EIN TELEFONGESPRÄCH

A: Das “Hyperboreische”ist das “Arktische”? Eine sehr kalte oder sehr heiße Zone? Ein extremer Ort, an dem es sich kaum leben lässt. Wer lebt dort? Was ist das hyperboreische Subjekt?

B: Das hyperboreische Subjekt ist Subjekt künstlerischer Form- und philosophischer Wahrheitsbehauptung. Kunst und Philosophie sind (auto)aggressive Halsüberkopf-Bewegungen. Das Subjekt der Kunst, das Subjekt der Philosophie, hat keine Zeit. Es gibt Kunst und Philosophie nur als riskante und deshalb gewagte Selbstüberstürzung. Als blinde, gewaltsame, unberechenbare Bewegung. Kunst und Philosophie sind präzise Kopflosigkeiten. Das Subjekt dieser exakten Selbstüberholung ist ein Subjekt ohne Subjektivität. Es erfährt sich als Subjekt des Ozeans und als Subjekt der Wüste. Die Wüste, der Ozean, sind die hyperboreische Unendlichkeits-Zone. Hier verliert sich jeder Horizont. Das ozeanische Wüstensubjekt ist horizontloses Subjekt einer primordialen Entgrenzung. Es erfährt die Grenzenlosigkeit als eigentliche Grenze. Es wird durch eine Art von Infinität begrenzt.

A: Durch Unendlichkeit?

B: Das Infinite ist nicht das (theologische) Ewige. Es ist die Grenzenlosigkeit des Faktischen. Das Faktische aber ist nicht das Tatsächliche. Das Tatsächliche ist nur das eingegrenzte Faktische. Seine Umgrenzung. Das Faktische selbst ist grenzenlos. Hier bewegt sich, hier taumelt, hier entscheidet das hyperboreische Wüsten-Subjekt ohne heimisch zu werden.

A: Heidegger nennt den hyperboreischen Wüstenraum das Unheimliche.Die Unheimlichkeits-Zone als Unheimischkeits-Sphäre ist der Abgrund.

B: Das Subjekt der Unheimlichkeit ist Subjekt der Wahrheit. Es beschleunigt über den Gewißheitsraum und seine Tatsachenwahrheiten hinaus. Es ist Subjekt der Wahrheitsberührung. Wahrheit ist der Begriff für die absolute Grenze: das Absolute. Im Denken Lacans heißt diese Grenze das Reale. Das Reale ist nicht die Realität. Es markiert ihre Unmöglichkeit, ihre Inkonsistenz, ihre Grenze. Das Subjekt der Philosophie riskiert den Grenzkontakt. Es kontaktiert als endliches das Unendliche. Es berührt, indem es die Grenze anrührt, ihr unmögliches Jenseits. Das Jenseits ist nichts als diese Grenze.

A: Blanchot nennt das unmögliche Jenseits das Aussen (le dehors). Das Subjekt der Grenzberührung überschreitet seinen Wirklichkeits-Status, seine objektive Tatsachen-Identität, um im Kontakt mit dem Außen, die (selbst nicht unmögliche) Erfahrung des Unmöglichen zu machen.

B: Erfahrung ist Schmerzerfahrung, Grenzerfahrung, bedeutet Verlust. Es gibt Kunst und Philosophie nur als Selbstverlust-Erfahrung, als Verschwendung und radikale Entäusserung. Das Subjekt der Verschwendung affirmiert sich als Subjekt seines Schmerzes. Der Schmerz öffnet das Subjekt auf seine Wahrheit. Die Wahrheit des Subjekts ist die absolute Freiheit. Nicht das Subjekt ist absolut. Seine Wahrheit ist es. Diese Wahrheit bleibt unbegründbar. Weder gründet Philosophie Wahrheit, noch ist sie in ihr gegründet.

A: Philosophie hat nichts mit Gründung, Begründung oder Erkenntnis zu tun?

B: Philosophie beginnt mit der Erfahrung der Grenze des Begründ- und Wissbaren. Dennoch ist sie in keinem Fall Mystik oder Obskurantismus. Philosophie verweigert sich der Tatsachen-Esoterik ebenso wie dem Obskurantismus des Idealen. Der Schmerz öffnet das Subjekt auf die Grenze sowie der Wissenshelle, wie der Wissensverdunkelung. Im Schmerz zerbricht das Bewußtsein als Selbstbewußtseins-Identität.

A: Der Schmerz treibt das Subjekt in die Wahrheit.

B: Solange Wahrheit der Name des Unermesslichen ist. Wahrheit markiert eine unendliche Grenze. Wahrheit ist nichts als der Konflikt von Öffnung und Verschliessung. Heidegger nennt sie den Urstreit von lethe und aletheia. Das ist das Wort für die Kompossibilität, die monströse Gleichzeitigkeit oder Gegenwendigkeit von Welt und Erde, Lichtung und Verbergung.

A: Was ist das “Weltsspiel”?

B: Im Weltspiel ergreift sich das Subjekt als Subjekt der Unschuld. Heraklit, Nietzsche und Deleuze verbinden dieses Spielersubjekt mit dem Bild des Kindes. In ihm verdichten sich alle Notwendigkeiten des überlieferten Logos, der Vernunft als Weltvernunft. Es gibt Verantwortung, Schönheit, Liebe, Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit nur als Übertriebenheit, als regelloses Spiel der Unschuld, als Exzess.