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MARCUS STEINWEG
 

EMAIL-KORRESPONDENZ "SPINOZA" THOMAS HIRSCHHORN - MARCUS STEINWEG

Von: Marcus Steinweg
An: Thomas Hirschhorn
Datum: 08.09.06


lieber thomas,

bitte berichte mir dann von der SPINOZA CONFERENCE.

was kann man von SPINOZA lernen, wie mit ihm gehen?

SPINOZA ZEIGT, DASS EIN AUTHENTISCHES LEBEN, EIN LEBEN JENSEITS VON OBSKURANTISMUS (RELIGION) UND POSITIVISMUS (TATSACHENGLAUBE) IST.

AUTHENTISCH EXISTIEREN, BEDEUTET DEM UNENDLICHEN IN DER DIMENSION DER ENDLICHKEIT (DIE DAS LEBEN IST) RAUM ZU GEBEN, SICH ALS ENDLICHES SUBJEKT AUF DIE UNENDLICHKEIT (DER LIEBE, DES DENKENS ETC.) ZU BEZIEHEN.

DAS "UNENDLICHE ZU RETTEN" (SAGEN DELEUZE/GUATTARI).

viele gruesse

marcus


Von: ThomasHirschhorn
An: Marcus Steinweg
Datum: 17.09.06

lieber marcus,
hier ein bericht von der "Spinoza Conference (Wandering with Spinoza)" :

ganz klar kann ich zu deinen fragen "was kann man von spinoza lernen, wie mit ihm gehen ?" keine antwort geben, das liegt an drei sachen, erstens ist mein englisch zu schlecht um nur die hälfte dessen was vorgetragen wurde zu verstehen, zweitens ist meine verstandesgrenze ganz allgemein sehr strapaziert worden und ich bin einfach nicht mitgekommen und drittens war die form der konferenz schon sehr klassisch und akademisch und diese, deine fragen hat sich niemand gestellt, dafür habe ich vielen vorträgen zugehört, die sehr brillant waren, auch langweilig und vorallem in der form todeslangweilig, was mich nerft war dises ständige zitieren (immer der über den, immer der zu dem usw.) an der konferenz lief alles akademisch (akademisch zum beispiel die fragen, nie wurde direkt gefragt, sondern immer zuerst selbst ausgeführt gegeben und erst dann die frage gestellt)
die orginisation : im grossen saal am morgen : einführung, vorstellung des vortragenden durch einen diskussionsleiter, dann vortrag, dann fragen beantworten, dann das gleiche aber in zwei kleineren räumen (da musste man jeweils seinen raum aussuchen) da waren aber jeweils drei kurzvorträge, und am nachmittag das gleiche mit zusätzlich zum abschluss des tages einem "schlüsselvortrag", das drei tage lang, wobei ich nur an zweien davon dabei war,
wie oft : ich fand mich nicht an meinem ort oder besser ich war zu alleine mich nicht an meinem ort zu finden, denn ich war schon etwas überrascht, dass es nicht mehr zuhörer gab, wobei die liste der intervenierenden doch vielversprechend war (mit dem absoluten star, alain badiou), das ganze war sehr herzlich und gut organisiert (die frau die das macht elisabeth presa ist wirklich - ohne philosophin zu sein - eine liebende der philosophie, was ja das wichtigste ist) aber - einmal mehr - so schien es mir, wurde der schritt auf ein publikum oder auf ein neues, noch zu gewinnendes publikum hin nicht gemacht, nicht gewagt oder nicht gewollt, man war etwas "unter sich" - deshalb eben auch fühlte ich mich etwas verloren, manchmal dachte ich, die zuhörer waren ja nur die die schon vorgetragen haben oder die die dann noch vortragen werden, das publikum war nicht jung obwohl doch die universität und die kunstschule mitorganisatoren waren, vielleicht auch verständlich, denn jedesmal wenn von kunst die rede war, kamen rembrandt, shakespear und vielleicht noch cezanne zur sprache, ich glaube es nicht und verstehe deshalb, dass es da sehr viel guten wsillen braucht um drei tage mitzuhalten,
der vortrag von badiou war absolute spitze, nur dafür alleine hat es sich für mich gelohnt dahin zu reisen, es war auch der vortrag den ich mit abstand am besten verstanden habe, vielleicht kommt es daher, dass sein englisch limitiert ist (wie er sagte) oder vielleicht kommt es daher, dass er was zu sagen hat, am anfang hat er ein schema auf einem blatt papier verteilt, und in seinem vortrag ging es dann darum dieses schema zu erklären, er hat eine proposition spinoza's die er für strategisch hält ausgesucht und erklärt wie sie sich selbst beweist, und zwar aufgrund der von spinoza im vornherein evozierten propositionen, aktionen, corrollairen und definitionen, das war sehr schön, was ich mitgenommen habe ist, dass in der philosophie die form sehr wichtig ist, ja entscheidend sein kann und dass es disziplin braucht um diese form zu behaupten, zu beweisen und vorallem durchzusetzen, badiou zum beispiel ist ein super-vortragender, klar, humorvoll, bewegt, nicht zu lang und clever : beim antworten auf fragen, hat er jeweils zuerst die frage (um sicher zu gehen, dass er sie richtig verstanden hat) mit seiner übersetzerin, die auch was von philosophie versteht, besprochen,
(er konnte sich übrigens gut erinnern, dass wir in zu "24h Foucault" eingeladen haben) also sein vortrag war das absolute highlight - auch wenn dabei, erstaunlich, der saal nicht wirklich voll war,
mein vortrag war nicht schlecht, er war nicht schlecht, weil ich bilder (viele) von meiner arbeit zeigte und weil ich von mir redete, ja von meiner arbeit verdammt nochmal, aber er war auch nicht wirklich gut - denke ich jetzt - weil ich nur arbeiten zeigte die offensichtlich mit philosophie zu tun hatten, "Spinoza Monument", "Deleuze Monument", Bataille Monument", "24h Foucault" und "Swiss-Swiss Democracy" aber gerade dadurch konnte konfusion entstehen (und die fragen danach haben das bestätigt) über die wichtigkeit von philosophie für mich oder was wichtig ist für mich an philosophie, das ist dumm, denn es wäre vielleicht mit dem besprechen von (auch) anderen arbeiten möglich gewesen, klarheit zu schaffen, ich war nicht zufrieden mit mit und habe wieder dazugelernt, so hoffe ich wenigstens und zum trost waren bei mir fast soviele leute wie bei badiou, vorallem auch junge und ich kriegte viel applaus und sogar johlen und (zustimmende) pfiffe am schluss, das hat mich berührt, an dieser doch etwas verhaltenen veranstaltung,
ansonsten fand ich es nätürlich schön, dass es leute gibt, die sich stundenlang und tagelange ernsthaft und konzentiert mit dem werk eines philosophen auseinandersetzen,
für mich nehme ich mit aus australien - ausser ein paar plüschkänguruhs - da ich keine echten gesehen habe, dass die form in der philosophie das ist, was mich wirklich interessiert als künstler, ich denke das habe ich herausgefunden - es war kurz und ganz o.k.,
mach's weiter gut,
thomas
(ich habe elisabeth von dir erzählt, vielleicht lädt sie dich mal ein)



Von: Marcus Steinweg
An: Thomas Hirschhorn
Datum: 19.09.06

lieber thomas,

ich freue mich sehr über deinen schönen BERICHT von der SPINOZA CONFERENCE in MELBOURNE und dass du SEBASTIAN und mich für SPINOZA NOW vorgeschlagen hast. VIELEN DANK. das hilft mir. das ist richtig und gut.

ich wundere mich nicht, dass du NICHT ALLES verstanden hast. das geht JEDEM so auf einer solchen konferenz. auch den PHILOSOPHEN. das problem ist, dass die meiste arbeit auf solchen KONFERENZEN und SYMPOSIEN, die meisten dort gehaltenen vorträge ENTBEHRLICHE HISTORISCHE PROTOKOLLE sind. das heisst: statt zu DENKEN, statt SELBST ZU DENKEN, statt zu ERFINDEN, statt zu KONSTRUIEREN, statt etwas und sich AUFZURICHTEN und etwas zu WAGEN durch BEHAUPTUNG und KONSTRUKTION, werden MEINUNGEN, BEGRIFFE, POSITIONEN ANDERER (PHILOSOPHEN) zusammengefasst, erläutert und dargestellt. die meisten AKADEMISCHEN PHILOSOPHEN, die meisten PHILOSOPHIE-PROFESSOREN, WISSEN NICHT, WAS PHILOSOPHIE IST! DIE MEISTEN AKADEMIKERPHILOSOPHEN VERMEIDEN (indem sie über ANDERE PHILOSOPHEN REDEN, DAS WAGNIS IN EIGENEM NAMEN ZU SPRECHEN UND ZU BEHAUPTEN, DIE RISKANZ DER SIGNATUR.

WAS IST PHILOSOPHIE?

ES GIBT PHILOSOPHIE NUR ALS BEHAUPTUNG.
PHILOSOPHIE IST SELBSTÜBERSTÜRZUNG.
PHILOSOPHIEREN HEISST ÜBER SICH HINAUSBESCHLEUNIGEN.
DAS SUBJEKT DER PHILOSOPHIE IST SUBJEKT ABSOLUTER SELBSTÜBERFORDERUNG.
ES IST BLINDES SUBJEKT SEINER ATEMLOSIGKEIT.
PHILOSOPHIE IST ERFINDUNG UND KONSTRUKTION.
PHILOSOPHIE IST NICHT NATÜRLICH, SONDERN ARTIFIZIELL.
PHILOSOPHIE IST RADIKAL KONSTRUKTIVISTISCH UND CREATIONISTISCH.
ES GIBT PHILOSOPHIE NUR ALS KONFLIKT MIT IHRER ZEIT UND DER ZEITGEISTREALITÄT.
PHILOSOPHIE IST UNZEITGEMÄSS.
PHILOSOPHIE IST DEFINITORISCH.
PHILOSOPHIE STELLT KEINE FRAGEN.
PHILOSOPHIEREN HEISST, ANTWORTEN GEBEN AUF FRAGEN, DIE NICHT PRÄEXISTIEREN.
PHILOSOHIE IST IMMER GEWALTSAM, IMMER ÜBERHASTET, IMMER ZU SCHNELL.

ICH WEISS, WAS PHILOSOPHIE IST. und ich weiss, dass es NIE darum geht und darum gehen kann in der philosophie irgendetwas zu VERSTEHEN. das VERSTEHEN-WOLLEN ist für sich genommen nichts. es ist meist eine GROSSE DUMMHEIT. es ist oft FLUCHT VOR DEM DENKEN, FLUCHT VOR DER PHILOSOPHIE. ich werde versuchen das in meinem buch zu MARGUERITE DURAS zu zeigen: dass es EIGENTLICHES VERSTEHEN und ECHTES WISSEN nur als BERÜHRUNG DES ABSOLUTEN, das heisst als ABSOLUTES WISSEN, das heisst als ÜBERSCHREITUNG DER WISSBARKEIT und der VERSTEHBARKEIT, das heisst als GRENZERFAHRUNG, das heisst als ERFAHRUNG DER GRENZE DES WIRKLICHEN gibt.

alles gute
marcus