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MARCUS STEINWEG
 

GEOMETRIEN DER UNBESTIMMTHEIT

Stephanie Stein
O.T., 2012
Holz, Pigment, Grafit
71 x 50 x 16,5 cm
Unikat
Jahresgabe für den Kölnischen Kunstverein
Die Arbeit einer Künstlerin zu verstehen, bedeutet ihre Logik nachzuvollziehen. Nie geht es um Geschmack oder Vorlieben. Es ist klar, dass überzeugende Kunst eine Durchlöcherung der Geschmacksästhetik impliziert. Sie generiert die Grammatik einer den unbestimmten Wirklichkeitsanteilen zugewandten Passion. Wie in jedem Denken, geht es auch in der Kunst darum, seine Leidenschaften zu präzisieren.

Ich glaube, dass Stephanie Steins Arbeiten solche Präzisierungen sind. Zweifellos geht es darum, den Raum der Unbestimmtheit zu öffnen und dieser Öffnung eine Form zu geben, was soviel heisst wie das Inkommensurable kommensurabel zu machen oder das Indefinite zu definieren. Steins Arbeiten bewegen sich auf der dünnen Bruchlinie zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit. Sie indizieren den Inkonsistenzcharakter von Realität.

Die aktuelle Jahresgabe für den Kölnischen Kunstverein („Ohne Titel“, 2012) exemplifiziert dies mit müheloser Eleganz. Es handelt sich um ein Dreieck, das ein Viereck ist. Darüberhinaus verdoppelt Stein die paradoxale Intensität der Arbeit, indem sie die an der Wand angebrachte geometrische Figur mit einer ihrer Seiten in den Raum ausgreifen lässt: das zweidimensionale Dreieck erweitert sich zu einer dreidimensionalen Struktur. Offenbar geht es darum, sich mit künstlerischer Bestimmtheit dem Unbestimmten zu nähern. Steins Arbeiten gehen auf, indem sie nicht aufgehen. Sie sperren sich einfachen Harmonie- und Komplementaritätsvorstellungen, z.B. indem sie ein drittes oder viertes Element – eine Ecke zuviel – integrieren, einen Überschuß, der ihre Geometrie erzittern lässt oder ins Wanken bringt.

Wie also die Logik von Stephanie Steins Arbeit definieren? Ich denke, es handelt sich um Geometrien der Unbestimmtheit. Sie zeigen auf den a-logischen Punkt unserer Realität. Sie tun es mit äusserster Präzision.


Marcus Steinweg