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MARCUS STEINWEG
 

KUNST KOMMT NIE AUS DEM WISSEN (2008)

Kunst kommt nie aus dem Wissen. Kunst plausibilisiert sich nicht durch Einsichten, Meinungen, Argumente. Kunst generiert sich nicht aus Gewissheiten, Überzeugungen oder Ansichten. Kunst ist Kontakt gültiger Ungewissheit: affirmativer Widerstand, rücksichtslose Produktion.

Es gibt Kunst nur als Konfrontation unergründlicher Kontingenz. Solange das Subjekt der Kontingenz, der Leere, dem Abgrund, dem Nichts oder dem Außen zugewandt bleibt, ist es Subjekt der Katastrophe. Sobald es beginnt sich als katastrophisches Subjekt zu bejahen, öffnet es die Dimension fröhlicher Selbstbejahung und beatitudo. Statt seine katastrophische Identität dem Paradima des unglücklichen Bewusstseins zu entnehmen, versetzt die Selbstaffirmation als katastrophé das Subjekt in einen Zustand universeller Heiterkeit, den man auch Glück nennen kann.

Glück oder Heiterkeit: jedenfalls handelt es sich um ein freies Verhältnis des Subjekts zu seiner Unfreiheit, um den souveränen Umgang mit allem, was ihm seine Souveränität im vornhinein genommen zu haben scheint. Das volle Subjekt ist Subjekt dieser gesteigerten Freiheit und Souveränität (1). Es weiss um die Begrenztheit seines Wissens und es weiss, dass diese Begrenztheit erst Wissen ermöglicht, da seine objektive Unfreiheit im Tatsachenraum die Bedingung der Möglichkeit realer Selbstüberfliegung und Freiheit ist.

Absolut ist diese Freiheit nicht, weil sie grenzenlos wäre, sondern weil sie sich in ein gelöstes Verhältnis zur Unfreiheit setzt. Das Subjekt ist Subjekt dieser Gelöstheit, die es sein Leben in seiner Unlebbarkeit erfahren lässt. Zu ihm gehört seine Entfesselung auf das Absolute hin, das ein anderer Name des Unmöglichen und Unbesitzbaren ist.

(1) Jacques Derrida, “Ich werde ganz allein umherirren müssen“, in ders., Jedes Mal einzigartig, das Ende der Welt, Wien 2007, S. 242. So sehr Derrida die Begriffe der Freiheit und Souveränität und die Kategorie des Subjekts zum Schauplatz seiner Dekonstruktionen macht, so sehr verteidigt auch er die Notwendigkeit („man muß“), der Aneignung dessen, was sich nicht aneignen lässt: das „empfangene Erbe“, die „Vergangenheit“, kurz all dessen, was das Subjekt zum Objekt faktischer Determinationen macht: „Ja, man muß (und dieses man muß ist dem empfangenen Erbe unmittelbar eingeschrieben), man muß alles tun, um sich eine Vergangenheit anzueignen, von der man weiß, dass sie im Grunde nicht bleibend angeeignet werden kann, ob es sich im übrigen um ein philosophisches Gedächtnis, um den Vorrang einer Sprache, einer Kultur oder um die Abkunft im allgemeinen handelt.“ Siehe: Jacques Derrida / Élisabeth Roudinesco, Woraus wird Morgen gemacht sein? Ein Dialog, Stuttgart 2006, S. 15.