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MARCUS STEINWEG
 

KUNST - PHILOSOPHIE - POLITIK LECTURE: HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG UND KUNST, ZÜRICH 10.7.07

Abstract:

Um eine Form- und Wahrheitsbehauptung zu sein, müssen Kunst und Philosophie sich der “Ordnung des 'Politikmachens'” (Badiou) verweigern. Das ist die Ordnung des Möglichen, der Pragmatik und ihrer praktischen Klugheit, der situativen Intelligenz. Es ist die Ordnung der phronesis, wie Aristoteles sagt. Die Dimension der diplomatischen, lebenstüchtigen, umsichtigen, besonnenen Vernunft. Phronesis nennt Aristoteles die Intelligenz im Partikularen, in der Unfreiheit. Intelligenz, die im Verhältnis zu der Situation, in der sie entscheidet und handelt, operiert. Sie ist (Gadamer hat es wiederholt betont) das Prinzip der Hermeneutik: diplomatische, wägende und abwägende Vernunft. Das nähert sie der pragmatischen Schätzung der Doxa, des gesunden Menschenverstands. Zu Kunst und Philosophie gehören absoluter Widerstand gegenüber der Doxa und der Phronesis. Denn sie zwingen das Subjekt in die Verlangsamung, in eine Art von Selbst-Ausbremsung. In den Gewaltverzicht. Philosophie und Kunst wollen das Subjekt als Behauptungs-Gewalt aufrichten, die den Entschärfungen der Doxa und der Phronesis resistiert. Eigentlich entscheidet und handelt das Subjekt nur, indem es seine Situation vernachlässigt, ignoriert und überschreitet, indem es die Tatsachen-Textur durchsticht. Subjekt ist nichts als der Name dieser Durchstechung und der Hyperbolé, der Hybris, die sie notwendig darstellt. Deshalb das Misstrauen gegenüber dem Subjekt einer solchen Selbstautorisierung: weil das Subjekt sich (ver)weigert. Weil es seiner Entschärfung durch den Geist der Tatsachen resistiert.

Es gibt Kunst und Philosophie nur als riskante und deshalb gewagte Selbstüberstürzung. Als blinde, gewaltsame, unberechenbare Bewegung. Kunst und Philosophie sind präzise Kopflosigkeiten. Das Subjekt dieser exakten Selbstüberholung ist ein Subjekt ohne Subjektivität. Es erfährt sich als Subjekt des Ozeans und als Subjekt der Wüste. Die Wüste, der Ozean, sind die hyperboreische Unendlichkeits-Zone. Hier verliert sich jeder Horizont. Das ozeanische Wüstensubjekt ist horizontloses Subjekt einer primordialen Entgrenzung. Es erfährt die Grenzenlosigkeit als eigentliche Grenze. Es wird durch eine Art von Infinität begrenzt.