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MARCUS STEINWEG
 

MARCUS STEINWEG, SEMINAR WS 2005/2006 HYPERBOLÉ. PHILOSOPHIE DER ÜBERTREIBUNG DRITTE SEMINARSITZUNG, 2.12.05: DER KÖRPER DER FREIHEIT

Dritte Seminarsitzung, 2.12.05: Der Körper der Freiheit

1. Angstlosigkeit, Stolz und Übermut

Philosophie hat von Anfang an verängstigt. Was Angst machte war die ANGSTLOSIGKEIT, der MUT DER PHILOSOPHIE. Denn die Philosophie ist eine Bewegung voller Risiken. Sie ist eine Liebesbewegung, die Mut und Entschlossenheit erfordert. Man hat versucht sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Man belächelte oder fürchtete den Philosophen als Dunklen (skoteinos), man spottete, er würde, statt das Nächstliegende nur das Entfernteste sehen, so dass er in den Brunnen falle oder fortwährend stolpere, man klagte ihn an, die athenische Jugend zu verführen, man machte ihm den Prozess. Und gelegentlich tötete man ihn.

Die Gemeinschaft der ANTI-PHILOSOPHEN ist so alt wie die Philosophie selber. Sie rekrutiert sich ausnahmslos aus Subjekten der DOXA, der öffentlichen, anerkannten Meinung und des gesunden Menschenverstands. Die Philosophie ist der Doxa ein Greuel. Sie bedroht die Doxa, sie bekämpft ihr falsches Wissen im Namen des echten Wissens, der EPISTEME. Deshalb wird sie von der Doxa mißhandelt, gedemütigt und denunziert. Manchmal – wie es für Teile der analytischen Philosophie gilt – organisiert die Anti-Philosophie sich unter falschem Namen: Sie nennt sich Philosophie, um die Philosophie (als Metaphysik oder Ontologie) effizienter zu bekämpfen. Man sollte folgende Unterscheidung machen: Die ANTI-PHILOSOPHIE ist nicht dasselbe wie die NICHT-PHILOSOPHIE.

Deleuze und Guattari bestehen darauf, dass die Philosophie auf das Nicht-Philosophische bezogen ist. Philosophie ist offen auf ein Moment von Nicht-Philosophie: “Die Philosophie bedarf einer Nicht-Philosophie, die sie umfaßt, sie bedarf eines nicht-philosophischen Verständnisses, so wie die Kunst der Nicht-Kunst bedarf und die Wissenschaft der Nicht-Wissenschaft.” Die Nicht-Philosophie gehört zur Philosophie, solange Philosophie mehr ist als die Kommunikation von Büchern. Wäre die Philosophie nicht auch Nicht-Philosophie, sie wäre nicht Philosophie. Im Namen der Nicht-Philosophie zu sprechen kann also heissen, im Namen der Philosophie zu sprechen. Denn was wäre Philosophie ohne Nicht-Philosophie, ohne die Bewegung der Selbstlosreißung, Selbstbefreiung und Selbstabhebung des Denkens von dem, was ihr selbst nicht angehört und nie angehören kann? Die Philosophie verdankt sich diesem Namenlosen und bleibt mit ihm in Kontakt, indem sie “gewaltsam ihre Möglichkeit der Nicht-Philosophie, ihrem entgegenstehenden Grund, ihrer Vergangenheit oder ihrer Faktizität, ihrem Tod und ihrem Ursprung” entreißt.

Anders ist es mit der Anti-Philosophie. Es ist nicht möglich im Namen der Anti-Philosophie für die Philosophie zu sprechen, auch nicht für eine explizit der Nicht-Philosophie gegenüber aufgeschlossenen Philosophie. Die Anti-Philosophie will keine Philosophie, meist fordert sie ihr Ende. Aber ist nicht die Philosophie in ihrer Aufgeschlossenheit für Nicht-Philosophie bereits anti-philosophisch? Ist die PHILOSOPHIE IN DER GESCHICHTE, die Geschichte der Philosophie, nicht etwa eine PRAXIS PERMANENTER SELBSTBEKÄMPFUNG? Ist Philosophie nicht Selbstdekonstruktion (der Philosophie und des philosophischen Subjekts)? Sie ist es offenbar. Dennoch oder deshalb ist die Philosophie nicht Anti-Philosophie. Sie ist Subjekt und Objekt der PHILOSOPHISCHEN SELBSTDEKONSTRUKTION ineinem. Deshalb kann Derrida sagen, dass er “niemals zum Thema der Philosophie, im Namen der Philosophie oder ausgehend vom Standpunkt der Philosophie und folglich auch niemals ausgehend vom Standpunkt der Anti-Philosophie gesprochen” habe, “die mir stets als die irgendeines Interesses am geringsten würdige Sache erschienen ist”. Die Dekonstruktion, um Dekonstruktion der Philosophie zu sein, kann nicht im Namen dessen sprechen, was ihr Gegenstand ist. Sie kann es unter dem Pseudonym der Nicht-Philosophie tun. Dennoch ist sie deshalb nicht gegen Philosophie, anti-philosophisch, wie man sagt. Damit Dekonstruktion möglich ist, darf sie, in dem sie die Philosophie in ihren überlieferten Gestalten aufsucht, um sie mit ihren inhärenten Widesprüchen und Paradoxien vertraut zu machen, die Anti-Philosophie nicht vergessen, die der negative Begleiter der philosophischen Selbstbehauptung des abendländischen Subjekts ist. Philosophie und Dekonstruktion (sind sie nicht zuletzt dasselbe?) können sich nicht in der Angst, im Unmut und der Lustlosigkeit der Verneinung erschöpfen. Und sie müssen mehr als offizialisierte und disziplinierte “Herrendiskurse” produzieren. “Hat die Philosophie eine Chance, nachdem sie so lange eine offizielle und referentiale Disziplin war? Heute versteht sich die Anti-Philosophie als Machtsprache. Nützen wir diesen Augenblick.”

Es geht darum, JA zu sagen zur Philosophie. Es geht um ihre Affirmation. Ich nenne das Subjekt dieses JA, dieser EXZESSIVEN, RÜCKHALTLOSEN BEJAHUNG, das SUBJEKT DES STOLZES. Der Stolz ist wesentlich grundlos, ohne Rückhalt. Im Stolz erhebt sich das Subjekt als Subjekt ohne Rechte, als wilde, verbotene, unmögliche Autorität. Es muss sich selbst autorisieren. Es ist Subjekt der Selbstautorisierung. Es sagt Ja zu sich. Es affirmiert sich als SUBJEKT DES JASAGENS. Es ist Subjekt der Selbstaffirmation.

In Blanchots Au moment voulu, einer Erzählung von 1951, kann man folgende Definition des Stolzes finden: “La fièrté aussi ! l'affirmation sauvage et sans droit”– “Der Stolz!, das wilde und entrechtete Jasagen”

Stolz ist der Name für die Seinsweise der SELBSTAFFIRMATIVEN SELBSTERHEBUNG in realer Erniedrigung und Entrechtung. Stolz zu sein bedeutet, in objektiver Unfreiheit absolutes Freisein zu riskieren. Der Stolz fordert vom Subjekt des Stolzes diesen besonderen Mut. Das ist der Mut zur SELBSTÜBERFLIEGUNG, der MUT ZUM ÜBERMUT.

Das Subjekt des Stolzes ist übermütiges Subjekt, Subjekt einer gewissen UNANGREIFBARKEIT. Es bewahrt sich die Resistenz eines intakten, den Zerstörungen und Demütigungen der Tatsachenaffekte enthobenen ZWEITEN KÖRPERS. Der KÖRPER DES STOLZES ist der KÖRPER DER FREIHEIT, eine sich gegen die Negativität der Tatsachen erhebende Kraft. Diese Kraft ist selbst nicht negativ. Sie ist die aus der Widerständigkeit (aus dem Schmerz) geborene Intensität einer rückhaltlosen, wilden, entrechteten Bejahung. Und wie alle Bejahung hat sie das LEBEN – den LOSEN SCHWUNG DER KONTINGENZ und ihrer Ereignisse – als Zielpunkt einer hyperbolischen Verausgabung gewählt.

Im § 42 der Metaphysik der Sitten wird der Stolz (animus elatus) vom Hochmut (superbia) unterschieden. Den Stolz unterscheidet vom Hochmut, dass er mit “Ehrliebe” statt mit blosser “Ehrbegierde” (ambitio) zusammenhängt. Das Subjekt des Stolzes respektiert zuletzt sich selbst, es wahrt seine Ehre und seine Würde, indem es sich vor dem Hochmut gegenüber anderen verwahrt. Der Stolz “als Ehrliebe” ist “Sorgfalt, seiner Menschenwürde in Vergleichung mit anderen nichts zu vergeben [...].”

Vielleicht läßt sich von Blanchot lernen, dass die wesentliche Rückhaltlosigkeit des Stolzes das Subjekt vom SYSTEM DER EHRE und der Menschenwürde abschneidet. Der Stolz ist ohne Anhalt in konkreten Begriffen und etablierten Werten. Das Wesentliche am Stolz ist diese Anhaltslosigkeit, seine Leere. Deshalb kann er eine entrechtete und wilde Bejahung heißen, weil das Subjekt dieser Bejahung selbst leer, das heißt abgründiges Subjekt der Leere, des INFINITEN WÜSTENRAUMS ist.

Die Ehre gehört der SYMBOLISCHEN ORDNUNG an. Die GESETZE DER EHRE (wie sie zum Beispiel in der streng reglementierten Satisfaktion der klassischen Duell-Situation exemplarisch werden ) implizieren konkretisierte und identifizierbare Handlungsanweisungen. Stolz gibt es, wenn diese Gesetze ihre Überzeugungskraft verlieren. Im Stolz korrumpiert das Subjekt des Stolzes das Gesetz der Ehre, wie jedes andere Gesetz. Es korrumpiert die Gesetzmäßigkeit als solche und setzt die Autorität der SYMBOLISCHEN IMPERATIVE ausser Kraft.

Das Subjekt des Stolzes ist ohne Anhalt in GESELLSCHAFTLICHEN NORMEN. Es ist Subjekt ESSENTIELLER A-NORMALITÄT. Es ist ein ungleich einsameres Subjekt als das Subjekt der Ehre, das sich an etablierten Werten orientiert. Das Subjekt des Stolzes ist Subjekt der ONTOLOGISCHEN EINSAMKEIT. Hyperboreisches Subjekt der radikalen Nicht-Begrenztheit. Subjekt einer absoluten Freiheit, die es über den Boden des nur Faktischen hebt.


2. Selbstüberschreitung

Der sich überwindende Mensch ist Subjekt einer notwendig autoaggressiven Selbsttranszendenz. Die Transzendenz verweist auf die Subjektivität (das nicht-substanziale Sein) des Subjekts. Es gibt so etwas wie ein Subjekt nur als Subjekt der PERMANENTEN SELBSTÜBERSCHREITUNG. Das Subjekt durchkreuzt sich als Subjekt. Subjekt ist, was sich als Ort dieser Durchkreuzung, dieses Werdens, der Ruhelosigkeit eines Subjekts ohne Subjektivität bejaht: “Wählt man für das Seiende, das wir je selbst sind, “sagt Heidegger “den Titel 'Subjekt', dann gilt: die Transzendenz bezeichnet das Wesen des Subjekts, ist Grundstruktur der Subjektivität. Das Subjekt existiert nie zuvor als 'Subjekt', um dann, falls gar Objekte vorhanden sind, auch zu transzendieren, sondern Subjektsein heißt: in und als Transzendenz Seiendes sein.”

Die Transzendenz ist das Wesen eines SUBJEKTS OHNE WESEN. Das Subjekt ist ekstatisches Subjekt einer PRIMORDIALEN SELBSTÜBERSCHREITUNG. Es ist Subjekt dieser ontologischen Nacktheit und Armut, nichts als Subjekt der Leere, der Unbestimmtheit und Wesenslosigkeit zu sein. Dieses Subjekt taucht im Denken des 20. Jahrhundert als SUBJEKT DES UNZUHAUSE (Heidegger), als SUBJEKT DES AUSSEN (Blanchot), als SUBJEKT DER FREIHEIT oder des Nichts (Sartre), als SUBJEKT DES ONTOLOGISCHEN MANGELS oder des Realen (Lacan), als SUBJEKT DES CHAOS oder des Werdens (Deleuze/Guattari), als SUBJEKT DER DE-SUBJEKTIVIERUNG und Selbstsorge (Foucault), als SUBJEKT DES ANDEREN (Levinas), als SUBJEKT DER DIFFÉRANCE (Derrida) oder als SUBJEKT DES UNIVERSELLEN oder der Wahrheit (Badiou) auf. Es ist ein Subjekt, dessen Subjektivität sich mit der Dimension des Nicht-Subjektiven (dem Nichts!) zu decken scheint. Ein SUBJEKT OHNE SUBJEKTIVITÄT. Subjekt sein heisst, sich auf ein Aussen, eine Andersheit und Unmöglichkeit hin überschritten zu haben, um sich als Subjekt der Überschreitung zu affirmieren. Das NEUE SUBJEKT ist weder Subjekt des Glaubens, noch Subjekt der Erkenntnis (es ist weder Kreatur, noch Cogito noch Selbstbewußtsein). Es ist Über-Subjekt oder Übermensch, Subjekt der Freiheit, das den Kategorien des letzten und höheren Menschen entgegensteht. Der HÖHERE MENSCH ist noch nicht der Übermensch. Statt sich Gott gegenüber zu versklaven, versklavt der höhere Mensch sich selbst gegenüber. Er nimmt sich in die Pflicht. Der höhere Mensch ist der Mensch der Erkenntnis, der Pflicht und der Humanität. Er ”belädt sich selbst”, wie Deleuze sagt, er ”schirrt sich ganz alleine an, und zwar im Namen der heroischen Werte, im Namen der Werte des Menschen.” Der Übermensch dagegen ist der FREIE MENSCH. Ein DIONYSISCHES SUBJEKT. Er ist nicht der Mensch der menschlichen und allzumenschlichen Werte. Er stellt die Überschreitung der einfachen Überschreitung Gottes durch den höheren Menschen dar. Der Übermensch überschreitet den HÖHEREN wie den LETZTEN MENSCHEN. Er bejaht einen neuen, übermenschlichen, TRANSHISTORISCHEN MENSCHEN: Er bejaht sich als eine Erfindung, die in der Geschichte ohne Beispiel ist.

ZARATHUSTRA verkündet diesen MENSCHEN DES DIESSEITS (der Haecceitas), indem er vom Übermenschen spricht. Der ÜBERMENSCH ist der MENSCH DER BEJAHUNG. Er bejaht die ewige Wiederkunft des Gleichen, indem er die Vergangenheit als Notwendigkeit, die Gegenwart und Zukunft als Öffnung, Möglichkeit und Chance bejaht. Die EWIGE WIEDERKEHR bedeutet nicht, dass alles getan und entschieden ist. Sie entspricht keiner Lehre der Wiederkehr des Vergangenen. Die ewige Wiederkehr hat keinen anderen Sinn, als eine ABSOLUTE BEUNRUHIGUNG einzuleiten. Sie öffnet das Subjekt auf die Zukunft und auf das Unbekannte. Die ewige Wiederkunft meint, dass noch alles zu tun, dass alles noch unentschieden ist. Sie ist das PRINZIP DER TÄTIGKEIT und des WILLENS. Das Prinzip der ”Bejahung von Werden und Handeln” . Die ewige Wiederkunft reisst das Subjekt in den Wirbel einer es zerreissenden Freiheit. Sie bringt Bewegung, BESCHLEUNIGUNG ins Subjekt. Die ewige Wiederkunft bejahen bedeutet, mit dem Tod Gottes die Geburt eines neuen Menschen bejahen. Eine neue Mobilität, eine NEUE HEITERKEIT, eine ANDERE GERECHTIGKEIT und Politik.

Der neue Mensch der neuen Welt ist der ÜBERMENSCH. Er ist der Mensch jenseits des letzten und jenseits des höheren Menschen. Der Mensch der Bejahung, der ungebremsten, nicht-negativen Heiterkeit. Der Mensch der Unschuld, der KINDS-MENSCH. Der Übermensch ist das Kind Zarathustras, seines Propheten: ”Zarathustra nennt den Übermenschen sein Kind, aber er wird durch sein Kind, dessen wahrer Vater Dionysos ist, überschritten.” Zarathustra ist ein Übergang, er ist ein Mittler. Nach ihm kommt der Mensch jenseits des (bisherigen) Menschen. Das ist: der Übermensch. Er ist der Mensch ohne Jenseits, der Mensch des Diesseits, der Immanenz. Dieser Mensch ist heiter und spielerisch, inmitten der Grausamkeit des Seienden, inmitten der “zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt” . Es ist der Mensch einer neuen aussermoralischen Verantwortung und einer Gerechtigkeit jenseits des etablierten Rechts. Der Übermensch ist die Erfindung Nietzsches, er ist das Kind Zarathustras’ und Dionysos’, und er ist selbst ein Erfinder. Er erfindet eine neue Verantwortung. Inmitten der Grausamkeit des Seienden, angesichts des Gesetzes der ewigen Wiederkunft, soll der neue Mensch verantwortlich für sich sein. Die ewige Wiederkunft befreit zu Handlung und Aktivität: ”Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen: oh dass diese grosse Müdigkeit mir stets ferne bleibe!”, sagt Zarathustra.

Wollen, Schätzen, Schaffen sind die Existenzmodi des NEUEN, VERANTWORTLICHEN und FREIEN MENSCHEN. Dennoch scheint Nietzsche (wie später Deleuze) der letzten Konsequenz, die dem Gedanken des Übermenschen wie dem der Singularität anhängt, auszuweichen. Nietzsche muss den ÜBERMENSCHEN vor dem HÖHEREN MENSCHEN (dem TATSACHEN-SUBJEKT) durch eine UNSCHULD auszeichnen, die für ihn nur über die epoché der Wahrheits-Kategorie Sinn gewinnt. Als wäre Wahrheit nichts als Erkenntnis-Wahrheit. Als bezeichnete Wahrheit nichts als eine Naivität und einen Glauben, die Gläubigkeit des Realisten, der “letzten Idealisten der Erkenntnis”, wie er sagt: “Das sind noch lange keine freien Geister: denn sie glauben noch an die Wahrheit...” Und wenn wir zwischen WAHRHEITSGLAUBE und WAHRHEITSLIEBE zu unterscheiden versuchten? Das Subjekt des Wahrheitsglauben ist HYPOCHONDRISCHES SUBJEKT DER SELBSTVERSICHERUNG im notwendig idealischen Prinzip der ERKENNTNIS-WAHRHEIT, während das Subjekt der Wahrheitsliebe sich als hyperboreisches Subjekt der Wahrheits-Berührung, das heisst der Kontaktierung des Nichts-Sinns, des Aussens, des Chaos oder des Nichts, konstituiert. Das Subjekt der Wahrheitsliebe ist Subjekt der SELBSTTRANSZENDENZ auf die Dimension einer Wahrheit, die irreduzibel auf die SPHÄRE DES WISSENS (wie des Nicht-Wissens und des Glaubens) ist. Der “Prozess”, sagt Badiou, des “universellen oder einer Wahrheit”,markiert die Durchbrechung des etablierten Wissens: “Man könnte auch sagen, dass eine Wahrheit keinen Bezug zum Wissen hat, und sogar, dass sie essentiell ungewusst ist.” Wahrheit ist nicht Erkenntnis-, Glaubens-, oder Tatsachen-Wahrheit. Wahrheit markiert die Grenze der Erkenntnis-, Glaubens- und Tatsachen-Systeme. In lacanianischer Terminologie: das Reale der Realität. Das Subjekt der Selbsttranszendenz ist SUBJEKT DES REALEN. Es ist SUBJEKT DER WAHRHEIT. Einer Wahrheit, die der Tatsachen-Welt als ihre immanente Begrenzung angehört, ohne sich auf diese Welt zu reduzieren.

Was die Wahrheitsliebe vom Wahrheitsglauben unterscheidet ist, dass das Subjekt dieser Liebe Wahrheit nicht als substanzial gegeben vorraussetzt. Erst in der Wahrheits-Berührung konstituiert sich Wahrheit. Wahrheit meint nichts als das Unberührbare, das Jenseits des Möglichen, seine Grenze. Eine Wahrheit berühren, das Unberührbare, bedeutet aus dem Wissbaren herauszutreten. Es bedeutet jeden Glauben und seine “Identität”, sein sozio-historisches Sein, sich selbst als Person, als Subjekt zu verlieren.