MARCUS STEINWEG / THOMAS HIRSCHHORN BATAILLE MASCHINE (2003)
Bataille Maschine
Das Unheimlichste
"Ein Zeichen sind wir, deutungslos.
Schmerzlos sind wir und haben fast
Die Sprache in der Fremde verloren."
Der Mensch ist ein Zeichen, sagt Heidegger in seiner Deutung der Zeilen Hölderlins (es handelt sich um den zweiten Entwurf von Mnemosyne ). Er ist ein Zeichen, das wie jedes Zeichen auf oder in etwas zeigt. Er zeigt in einen Abgrund. Vielleicht ist es der Abgrund, an den Hölderlin den Menschen reichen lässt:
Nemlich es reichen
Die Sterblichen eh‘ an den Abgrund.
Heidegger spricht vom Entzug. Der Mensch als Zeigender zeigt „in den Entzug“. Die Abgründigkeit des Menschen könnte darin liegen, dass er als zeigendes Zeichen dieses Entzugs, das heißt als Zeichen der Abgründigkeit, fungiert. Entzug und Abgrund verweisen auf die Abwesenheit oder die Flucht des Seins oder der Götter. Heidegger denkt das Sein als Entzug. Es gibt Sein nur in Gestalt des Entzugs. Das Sein schickt sich dem Menschen zu. Es ereignet sich als dieses Geschick oder diese Zuschickung, derart, dass es sich zugleich entzieht. Das Sein entbirgt sich, indem es zugleich als Sichverbergen währt. Es ist und es ist nicht. Es „ist“ weder Seiendes noch Nichtseiendes. Es „ist“, indem es nicht ist, der Abgrund des Seins des Seienden, jenes zitternde Zugleich und Und. Das Sein entbirgt sich als Verbergung. Es spricht, indem es sich in Schweigen hüllt. Noch dann, wenn es, wie Heidegger auch sagt, zum Menschen oder zum Dasein spricht, wenn es ihn oder es ruft, wenn es das Menschenwesen auf seine Zugehörigkeit zu ihm anspricht und anruft. Das Sein braucht den Menschen, der Mensch (ge)hört ihm zu. Brauch und Zugehörigkeit sind Begriffe des seinsgeschichtlichen Ereignisdenkens.
Das Ereignis markiert die Zusammengehörigkeit von Sein und Dasein (Mensch). Diese Zusammengehörigkeit wird geschichtlich auf unterschiedliche Weise korrumpiert. Sie schließt ein gewisses Hören, ein Gehören und vielleicht so etwas wie Hörigkeit ein. Sein und Dasein gehören zusammen: sie sind, „was im Selben zueinandergehört“ . Dieses Selbe der Wesensherkunft nennt Heidegger Ereignis (Seyn). Das Ereignis hat seine Geschichte, die Ereignis- oder Seynsgeschichte. Es ist die Zueinander- oder Zusammengehörigkeitsgeschichte von Sein und Dasein. Sein und Dasein gehören zusammen, insofern sie in das Selbe der Diaphora, des Ereignisses als Abgrund, gehören. Die Geschichte von Sein und Dasein ist die Geschichte einer abgründigen Beziehung. Sie ist wesentlich eine Geschichte der Verstimmung. Das Dasein hört nicht ausreichend auf das Sein, es verhört sich, indem es sich am Beginn der Neuzeit als Subjekt denkt, als vorstellendes Selbst. Bereits zuvor ist das Verhältnis des Menschen zum Sein gestört. Schon Plato sollte, indem er den Menschen mit der aisthesis oder perceptio verbindet, den (modernen) Perspektivismus einleiten. Mit Plato beginnt sich das Sein dem Dasein zu entziehen. Das Sein verweigert sich dem Menschen, indem es sich ihm auf eine falsche Weise zuspricht. Seine offene Wesung entstellt sich, indem sich der Mensch zum Subjekt eines gewissen (Ideen-)Theaters macht, indem er zum Subjekt der Betrachtung, der Ideenschau wird. Einerseits appelliert Heidegger an das Wunder der unverstellten oder offenen Wesung im vorplatonischen Denken; andererseits bleibt dem unverborgenen Sein des frühgriechischen Theaters ein gewisses Entschwinden eingeschrieben. Das Sein offenbart sich im Entschwinden. Es entbirgt sich als eine Art von Flucht. Zu ihm gehört die nicht-nachträgliche Nichtpräsenz, präradikaler, vorursprünglicher Entzug. Das Sein ist, indem es nicht ist. Es ist selbst kein Seiendes. Es gibt Sein. Sein ereignet sich. Sein schickt sich zu. Es ist Ereignis, das heißt, es ist nicht. Es markiert den Abgrund der Seiendheit im allgemeinen, das Ereignis des Entzugs. Das Enteignis, wie Heidegger sagt, ist zunächst der Titel für die abendländische Entstellung der Zusammengehörigkeit von Sein und Dasein. In einem elementareren Sinn ist es dem Ereignis immanent. Es gibt das Ereignis nur als Enteignis, d.h. in diesem Fall als irreduziblen Entzug. Der Mensch ist als Mensch in den Zug des Entzugs, oder in die Strömung einer radikalen Entschwindung gestellt: „zeigend in den Entzug, ist der Mensch allererst Mensch.“
Zum Sein des Menschen gehört offenbar das Zeigen. Der Mensch zeigt in den Abgrund. Es ist sein Wesen, als Zeichen der Abgründigkeit in die Dimension der Nicht-Präsenz, des Ereignisses als Diaphora, zu reichen, in die Dimension einer Abgründigkeit, die, indem sie die Eigenheit, das Eigene des Menschen frei gibt, zugleich die Idee des Eigenen und der Eigenheit, sowie der Eigenschaften unterläuft. Das Eigene des Menschen, sein Wesen, muss jenseits seiner Eigenschaften liegen. Das Eigene des Menschen liegt in der Eigenschaftslosigkeit. Sein Sein ist nichts Personales. Es ist dem Persönlichen und Individuellen vorgeordnet. Es ist Bedingung der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Personalität und Individualität. Es ist der Name einer Grenze. Sie wäre der Ort einer riskanten Begegnung Heideggers mit Deleuze: Der Mensch ist Mensch, indem er den Kontakt mit dem Nichts, mit dem Chaos oder Ungrund (sans-fond), das heißt mit dem Ereignis des absoluten Widerstands riskiert. Als solcher ist der Mensch selbst ein Wagnis, eine hyperbolische Kurve, ein unheimlicher Kontakt. An eine Leere reichend oder an ein absolutes Außen (Blanchot), das seinen Wesensabgrund zeichnet, trägt der Mensch die Spur des Nichts. Er bewegt sich auf das Nichts zu. Er ist „das Dasein in seiner Unheimlichkeit, das ursprüngliche geworfene In-der-Welt-sein als Unzuhause, das nackte 'Daß' im Nichts der Welt.“ Er ist als Subjekt der Freiheit und absoluten Verantwortung, „das in seiner Unheimlichkeit auf sich vereinzelte Dasein“. Subjekt der Wüste, des Abgrunds, des Realen, des Chaos oder der Nicht-Präsenz: unheimliches Selbst im Selbstlosen, Subjekt ohne Subjektivität.
Was ist ein Monster? Wie begegnet man ihm? Wenn der Mensch das Zeichen (monstrum) ist, das den Kontakt zum Abgrund hält, kann es dann eine Begegnung mit Monstern geben, die nicht zugleich Selbstbegegnung wäre? Die Gestalt des Monsters zu berühren, die an das Gestaltlose als solches, an das „Prinzip“ der Gestaltlosigkeit, der Unförmigkeit und des Überdimensionalen, der Anomalie und ihrer Erhabenheit, des Amorphen und des Kolossalischen rührt, bedeutet vielleicht nichts anderes als am abgründigen Ursprung des Selbst, der Egoität oder Subjektivität zu kitzeln. Die Monstrosität würde zur ontologischen Auszeichnung der Humanität als solcher. Zumindest solange man der überlieferten Allianz von Subjektivität bzw. Selbstheit und Menschhaftigkeit, Humanitas, vertraut. Die Monstrosität wäre ein Privileg: Der Mensch ist Mensch, sagt Heidegger, indem er ein leeres Zeichen, ein monstrum ist. Derrida hat gezeigt, dass das Zeigen (monstration) und Aufzeigen (démonstration) bei Heidegger einer gewissen Onto-Zoologie der Hand eingeschrieben ist, jener im Singular monumentalisierten Hand, die er mit großer Sorgfalt von den Greiforganen etwa des Affen trennt: „Die Hand, das wäre die (De)Monstrierbarkeit (monstruosité), das Eigene des Menschen als Sein des Zeigens (monstration).“
Die Hand, das Zeichen, die Monstrosität hätte die Funktion einer Ausschließung der Tiere oder des Tieres aus dem Wesensbezirk des Menschen. Sie hätte die Aufgabe, den Menschen in die Exklusivität einer ihm vorbehaltenen Abgründigkeit einzuschließen, die seinen ontologischen Abstand zum bloßen Lebewesen garantiert.
Indem der Mensch sich selbst begegnet, trifft er als leeres (deutungsloses, wie Hölderlin sagt) Zeichen auf die Monstrosität des eigenen Abgrunds. Er trifft auf sich als Signifikanten einer irreduziblen Leere. Er ist das Subjekt dieser Leere. Das Subjekt, das sich über dem Abgrund einer realen Substanzlosigkeit offenbart. Die „leere Form“, der „schwarze Fleck mitten im Herzen der Realität“, wie Zizek sagt, bezeichnet diesen Punkt des Realen ohne phantasmatische Dämpfung, das Reale ohne Realität, den Kern des Subjekts, die Subjektivität selbst als wesensloses Nichts. Das Monstrum verweist das Subjekt auf seinen Entstehungsort und an seine Grenze. Das Subjekt ist ein Monster, das die „Bedeutungslosigkeit als solche“ repräsentiert. Es repräsentiert das Nichtrepräsentierbare, den Exzess, den Entzug oder die Absenz der Präsenz. Seine Präsenz ist diejenige dessen, was noch nicht ist. Sie ist Entzug oder Abgrund. Eine aufgeschobene und in diesem Sinn irreale Präsenz, die als (Un)Möglichkeitsbedingung konkreter (empirischer, individueller, personaler etc.) Subjektivität fungiert. Bevor das Subjekt ein Subjekt unter anderen Subjekten ist, ist es dieses Monstrum, eine Art prä-ontologischer Entität, für die die lacanianische Ontologie den Begriff des Realen reserviert.
Heidegger hat das erste Chorlied der sophokleischen Antigone (V. 332-375), das polla ta deina, anlässlich seiner Vorlesung vom Sommersemester 1935, Einführung in die Metaphysik, übersetzt. Das Chorlied handelt vom Menschen. Es ist nicht wirklich ein Loblied auf den Menschen, wie Lacan es nahe legt. Eine von der Vorlesung abweichende Übersetzung ist einem Brief Heideggers an Karl Jaspers vom 1. Juli 1935 beigelegt. In dieser Übersetzung werden die Zeilen 359ff., pantoporos, aporos ep' ouden erchetai/to mellon, Haida monon/pheixin ouk epaxetai (der Mensch „hat für alles einen Ausweg, auf nichts, was künftig ist, geht er zu, ohne einen Ausweg zu haben, nur, dem Tod zu entkommen, hat er noch nichts gefunden“), folgendermaßen übersetzt:
„Überallhin unterwegs und doch ohne Ausweg,/kommt er zu nichts./Dem Andrang – dem Tod allein/vermag durch Flucht er nie zu wehren“.
Die Vorlesung gibt einen anderen Text: „Überall hinausfahrend unterwegs, erfahrungslos ohne Ausweg kommt er zum Nichts. Dem einzigen Andrang vermag er, dem Tod, durch keine Flucht je zu wehren“. Heidegger übersetzt „zum Nichts“! Ähnlich – hier scheint er Heidegger zu folgen – Lacan: „Erchetai heißt er geht. Ep' ouden heißt auf das Nichts.“ Diese Übersetzung ist philologisch falsch. Heidegger würde auf ihrer philosophischen Wahrheit insistieren.
Der Mensch, den nichts aufzuhalten scheint, der keine Grenzen anerkennt und überall gleichzeitig ist, der sich im Überall und Nirgendwo zerstreut, kommt zum Nichts, bewegt sich auf das Nichts zu:
„Damit soll nicht der Erfolg geleugnet sein und nicht, daß die Meisterung der Dinge, daß die Beute und Fänge der Jagd gelingen. Wohl aber zeigt sich, daß all dieses Erreichte, für sich genommen, nur wieder zu einem Jagen anreizt und antreibt und, für sich genommen, nur wieder zu einem Jagen anreizt und antreibt und, für sich genommen, nicht die Eignung hat, den Menschen in das Eigene seines Wesens zu bringen; denn alle Geschicklichkeit und alle Gewalttat und alle Künste vermögen dem Tod nicht zu wehren.“
Der Mensch kommt zum Nichts, bedeutet: der Mensch „geht auf seinen Tod zu.“ Der Mensch stirbt, der Mensch, von dem im Chorlied gesagt wird, dass er to deinotaton, das Unheimlichste, Gewaltigste oder Monströseste sei, muss sterben. Er ist schon fast nichts. Er ist ein Sterbewesen, wie Heidegger auch sagt.
polla ta deina, kouden an –
thrôpou deinoteron pelei
Es gibt viel Unheimliches/aber nichts ist unheimlicher als der Mensch. Heidegger übersetzt: „Vielfältig Unheimliches waltet/Und nichts unheimlicher als der Mensch“ (in der Jaspers-Fassung) bzw. „Vielfältig das Unheimliche, nichts doch/über den Menschen hinaus Unheimlicheres ragend sich regt“ (Vorlesung). In der Vorlesung vom Sommersemester 1942 über Hölderlins Hymne „Der Ister“ findet sich eine andere Variante: „Vielfältig das Unheimliche, nichts doch/über den Menschen hinaus unheimlicher waltet.“ Alles scheint sich an der Übersetzung des alten Verbs pelein (walten, sich regen, sein) zu entscheiden, am pelein und seinem Verhältnis zum deinon, zum Ungeheuren oder Schrecklichen oder Gewaltigen eines gewissen Waltens und seiner Gewalt:
„Das Gewaltige, das Überwältigende ist der Wesenscharakter des Waltens selbst. [...] Das Seiende im Ganzen ist als Walten das Überwältigende, deinon [...]. Der Mensch aber ist deinon einmal, sofern er in dieses Überwältigende ausgesetzt bleibt, weil er nämlich wesenhaft in das Sein gehört. Der Mensch ist aber zugleich deinon, weil er der Gewalt-tätige in dem gekennzeichneten Sinne ist“ ,
Er ist es, insofern er gegen das Überwältigende Gewalt anwendet, sich gewaltsam gegen das Überwältigende stellt. Der Mensch ist Täter, er ist Agent der Gegengewalt, aber er ist nicht nur reaktiv. Die Gegengewalt des Menschen gegen das Überwältigende ist seine Art, im Verhältnis zum Überwältigenden zu sein. Sie kennzeichnet das Sein des Menschen im Überwältigenden oder Unheimlichen: unheimlicher und überwältigender, gewaltsamer als dieses Gewaltsame zu sein. Denn der Mensch, Heidegger sagt es so nicht, ist Subjekt. Er ist Subjekt im doppelten Sinn: er ist das Seiende, das mehr als alles übrige Seiende, der Gewalt des Überwältigenden untersteht. Er ist in diesem Sinn hypokeimenon: Unterstehendes, Unterworfenes, Substanz, Gegenstand, Objekt. Er ist zugleich antikeimenon: widerständiges Gegenüber, aggressiver Widerstand, aufständiges Subjekt.
Heidegger versucht die neuzeitliche Erfahrung des Gegenstandes, die der Struktur der Subjekt-Objekt-Beziehung angehört, von der griechischen Erfahrung des Gegenüber, des gewissermaßen gewaltlos Anwesenden oder gewaltlos Überwältigenden zu distanzieren. Zur Gegenständigkeit des Gegenstandes gehört das (kantische) transzendentale Subjekt. Die Subjektivität dieses Subjekts versammelt die transzendentalen Grundsätze, Kategorien und Anschauungsformen, die diese Gegenständigkeit oder Gegenständlichkeit erst ermöglichen: Das transzendentale Subjekt ist die Bedingung der Möglichkeit von Objektivität. Das „Gegenständige“ der griechischen Seinserfahrung ist das Gegenüber. Es wird nicht vom Subjekt aus gedacht, es ist kein Objekt. Es ist Anwesendes für ein Vernehmen.
Das Vernehmen ist absichtsloser als das Begreifen. Es ist rücksichtvoller, d.h. gewaltloser, als die vorstellende Subjektivität. Es ist seinlassendes Zulassen von Anwesendem. Heidegger interpretiert dieses Anwesende als antikeimenon, als ein Seiendes, das gewaltlos auf die Gewaltlosigkeit des seinlassenden Vernehmens trifft. Das Anwesende ist das Offenbare. Das Offenbare trifft auf die Offenständigkeit des Daseins oder des Menschen. Das vernehmende Verstehen unterscheidet vom vorstellenden bzw. stellenden, herausfordernden Begreifen, dass es ein offenständiges Empfangen ist. Es empfängt, was sich ihm entgegen- bzw. zuwirft. Es nimmt in Empfang, „was das Denken überkommt“. Das antikeimenon soll dieser „Gegenstand“ sein, der keiner ist. Es ist ein seiendes oder anwesendes Gegenüber, ohne Objekt für ein vorstellendes Subjekt zu sein, wie die neuzeitliche Metaphysik es denkt.
Lässt sich das dermaßen Anwesende, das antikeimenon, das dem „Subjekt“ des Empfangs immerhin einen gewissen Widerstand bietet, mit der von Heidegger geforderten Deutlichkeit vom „Gegenstand“ des neuzeitlichen Denkens separieren? Der antikeimenos ist das griechische Wort für den Widersacher, für den also, der zu einem anderen Subjekt in Gegnerschaft tritt. Der antikeimenos ist jemand, der sich widersetzt. Er widersetzt sich der Übermacht des Übermächtigen, indem er sich als Gegenmacht aufrichtet. Er durchquert den Bezirk des Gewohnten und Gewöhnlichen, die Sphäre der polis und die Sphäre der Macht, um im Jenseits der Macht seine Kräfte zu ihrer Bekämpfung zu sammeln. Er ist hypsipolis und apolis, steht bei Sophokles. Er ist Rebell: Täter „ohne Statt und Stätte“, einsam, unheimlich oder unheimisch, „ohne Ausweg inmitten des Seienden im Ganzen, zugleich ohne Satzung und Grenze, ohne Bau und Fug“, weil er „als Schaffende(r), dies alles je erst gründen“ muss.
Derrida hat der Bedeutung des Verbs walten im Denken Heideggers, vor allem was die Auseinandersetzung mit dem heraklitischen polemos und dem damit verbundenen Gewaltbegriff betrifft, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Er hat gezeigt, dass bei Heidegger das Walten mit der Diaphora, das heißt mit einer gewissermaßen ursprünglichen Differenz, mit der physis oder dem Ereignis als Krieg, oder Kampf, als Abgrund und Entzug, zusammenhängt. Indem Heidegger das Ereignis oder das Seyn (die Zusammengehörigkeit von Dasein und Sein, ihre ursprüngliche Einigkeit) denkt, ist er zugleich genötigt, den Krieg oder eine irreduzible Gewalt zu denken: derselbe Heidegger, der vom Ereignis sagt, es sei die Macht- und Gewaltlosigkeit selbst.
Die anfängliche Macht der physis soll die Machtlosigkeit sein. Das Ereignis ist gewalt- und machtlos, aber es kämpft mit sich selbst. Das Walten des Ereignisses „überwältigt sich“, sagt Derrida, „es „trägt den Sieg über sich selbst davon, wird in sich selbst über sich selbst hinausgetragen, gerät in sich außer sich. Die Macht, die Kraft oder Gewalt dieses Waltens ist die ursprüngliche physis, die einzig in dieser Selbstüberwindung ihrer eigenen Kraft aufzugehen vermag.“
Der Mensch gehört in das Ereignis. Er befindet sich auf der Bahn des Todes. Die physis ragt in ihn in Gestalt des Entzugs. Was sich mit der physis dem Menschen entzieht, ist das Leben als solches, die Lebendigkeit selbst. Der Mensch ist das Unheimlichste, die Heimsuchung seines Seins durch den Abgrund seines Todes macht ihn dazu. Der Mensch neigt sich aktiv in diesen Abgrund. Er zeigt in den Entzug. Als dieses Zeichen ist er Subjekt. Er ist Subjekt der „Zeige“, und, wie Heidegger auch sagt, der „Sage“ dieses Abgrunds. Er ist Subjekt einer ihn überschreitenden Monstrosität. Das Subjekt als Subjekt ist der Name dieser monströsen Selbstüberschreitung des Menschen auf das Reale einer Monstrosität, die ihn als Subjekt transzendiert.