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MARCUS STEINWEG
 

SCHEITERN UND SELBSTERFINDUNG (2003)

Das Subjekt ist anonym, weil es ohne Subjektivität “leben” muss. Es kann nur bei sich sein, während es sich im Ozean seiner transzendentalen Namenlosigkeit verliert. Es ist Subjekt dieser Versenkung und es ist Subjekt seines Auftauchens. Subjekt der Selbsterfindung ohne Grund.

Das Subjekt verhält sich zu sich, während es eine Kontakt-Zone zum Aussen (Blanchot) konstituiert, indem es sie betritt: “Damit der Mensch erscheinen oder hervortreten kann, ist es erforderlich, daß die Kräfte im Menschen in Beziehung treten zu ganz besonderen Kräften des Außen.” Entscheidend ist der Kontakt. Man könnte von einer Berührung des Unberührbaren sprechen, die ihren Höhepunkt erreicht, sobald das Subjekt ohne Subjektivität die Zone der Ununterscheidbarkeit betritt. Kopflosigkeit oder ursprüngliche Hast, die das Subjekt in einer freimütigen und leichtsinnigen Geste des Wahnsinns an der Schwelle zum Aussen alle Gewißheiten und Vorsichtsmaßnahmen abstreifen lässt, um nichts als dieser fiebrige Vektor, Subjekt der Subjektivierung, zu sein.

Damit Subjektivierung möglich ist, muss das Subjekt das Prinzip der Identität überschreiten, das Gesetz des “Ich denke”, die Macht der Vernunft. Der maritime Diskus der das “ich” und das “ich denke” überschwemmenden Materie, bringt dennoch kein subjektloses Subjekt, keine Hegelsche Substanz hervor. Auch wenn es manchmal den Anschein gewinnt: das Denken des Aussen ist kein Denken jenseits des Subjekts. Der Versuch eines solchen Denkens wäre vergeblich und ertränke im Abgrund bloßer Verschwiegenheit. Ein Denken ohne Subjekt wäre kein Denken mehr. Es wäre nichts als die unbezeugte Wellenbewegung des Nichts.

Personalität, Individualität, Charakter – sind Worte, deren Sinn sich zu oft in der Verdeckung einer sub-subjektiven Strömung (der Anonymität eines die Identität oder Subjektivität unterspülenden Rauschens, dem Gestottere oder dem Murmeln unterhalb der Sprache und ihrer Begriffe) erschöpft. Die Subjektivierung ist der Moment aktiver (Re-)Kontaktierung der Gewalt dieses, wie Maurice Blanchot sagt, Aussens, das der Mitte des abendländischen Logos einwohnt. Denn das Subjekt – weit davon entfernt ein Prinzip realer Selbstevidenz zu sein – schwimmt inmitten eines Wassers, das eine gültige Inselbildung verhindert, indem es seine Grenzen immer neu überflutet und redefiniert. Die Anonymität könnte das Subjekt dieser Überflutung bezeichnen, ein Subjekt ohne gesicherte Grenzen, ohne Bestimmungsort, ohne transzendentale Realität: “Wenn es ein Subjekt gibt”, sagt Deleuze in seinem Porträt Foucaults, “so ist es ein Subjekt ohne Identität.” Das Subjekt, dessen Auftauchen wir in den letzten Büchern Foucaults beobachten, ist ein Subjekt ohne konstitutive Beziehung zu transzendentalen Regeln oder Gesetzen, die ihm sagten, was es ist (oder sein soll). Es ist Subjekt einer jeden seiner Akte begleitenden Einsamkeit. Es kann sich auf nichts als auf diese Einsamkeit verlassen, die sein Sein unendlich singularisiert. Das Subjekt der Berührung der Anonymität oder des Aussen ist dieser absolute Singular. Es ist Singularität, statt Subjekt zu sein im Sinne des kantischen Denkens. Es profitiert nicht von der universalen Schirmherrschaft einer transzendentalen Subjektivität.

Immer geht es dem Subjekt darum, sich auf eine aktive und zugleich riskante, angreifbare Weise zum Aussen zu verhalten, ohne von ihm verschluckt oder zerrieben zu werden. Denn das Aussen ist, wie das Chaos von Deleuze und Guattari, ein schwarzes Loch. Es ist ungesättigte Materie, die alle Aktivitäten des Subjekts, seine Sorge um sich, seinen Willen zur Souveränität, zur Selbstbehauptung und Selbstbezeugung gefährdet. Das Subjekt muss sich gegen dieses Chaos stellen, ohne es zu verleugnen. Es versucht seine Wahrheit spielen zu lassen, ihm eine Sprache, einen allgemeinen Ausdruck anzumessen. Es will Momente des kriegerischen Chaos zur Sprache bringen, ohne seine Kräfte durch die reduzierende Gewalt der Repräsentation und Universalisierung zu neutralisieren. Es muss sich in die äußerste Nähe dessen wagen, was es am meisten bedroht.