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MARCUS STEINWEG
 

SUBJEKT DER WÜSTE

HBK Braunschweig
Klasse Frances Scholz
Subjekt der Wüste

Die Frage des Subjekts – “Wer bin ich?”, “Was ist der Mensch?” – wird immer von der Sinnfrage flankiert werden, von der Frage des Sinns und Ursprungs menschlicher Existenz. Die Philosophie lebt vom Phantasma der präskriptiven Sicherung des Wesens des Subjekts in einer substanzialen Subjektivität. Subjektivität wäre der ontologische Name der ontischen Singularität, die das einzelne (empirische, partikulare) Subjekt ist. Die Subjektivität des Subjekts meint das universale Sein des Menschen, insofern es seinem singulären Erscheinen, seiner Empirizität und ontischen Manifestation im Wirklichkeitsraum vorausgeht. Man hat diesem Sein in der Geschichte der Subjektfrage, d.h. in der Geschichte der Philosophie, verschiedene Namen gegeben. Mal sagte man psyché, mal ens creatum, mal res cogitans, mal homo ectypus, mal Vernunft, mal Selbstbewußtsein. Mit Nietzsche ist Unruhe in diese ontologische Nomenklatur gekommen. Nietzsche öffnet das Subjekt auf ein Aussen, ein Subjektaussen, das – statt die noumenale Sphäre seiner ontologischen Präskription zu sein – die Unmöglichkeit substanzialer oder teleologischer Bestimmtheit indiziert. Das Subjekt, der Mensch, ist das nicht festgestellte Tier. Offenbar verbleibt diese Bestimmung des Menschen, die eben in seiner ontologischen Unbestimmtheit liegt, in der Bahn der überlieferten ontozoologischen Definition des Menschen als animal rationale (oder irrationale), als zoon logon echon, als Lebewesen, das durch den Logos bestimmt ist, die Sprach- und Sinnfähigkeit. Nietzsches Definition des menschlichen Subjekts öffnet das Subjekt auf einen Logos, der nicht schlicht dem Nicht-Sinn als sein Gegenteil entgegensteht. Nietzsche sagt: Das Subjekt hat den Logos als das wesentlich unbestimmte, seine Sinn- und Sprachfähigkeit ist Öffnung auf den Nichtsinn und die Ränder der Sprache, auf die Dimension eines aus den Fugen geratenen, entfesselten, in keinem Prinzip mehr versicherten Logos, auf ein verrücktspielendes oder umherirrendes cogito. Auf seine Wahrheit als substanziale Wüste und als Wüste des Substanzialen und der Substanz selbst. Die Substanz, das Wesen, der Sinn und die Natur des Subjekts wird von Nietzsche in seiner Substanz- und Wesenslosigkeit, im Nicht-Sinn und in seiner ontologischen Artifizialität gefunden. Statt einem göttlichen Plan und einer substanzialen Ordnung zu entsprechen, markiert das Subjekt die Nichtexistenz eines solchen Plans und einer solchen Ordnung: die ontologische Nacktheit menschlicher Subjektivität.

Das Denken des Zwanzigsten Jahrhundert hat die Erforschung dieser Nacktheit, der Wüstensituation des Subjekts, zu seiner Aufgabe werden lassen. Heidegger öffnet das menschliche Dasein auf seine Geschichtlichkeit und auf die Welt als Zuhandenheits- und Dinguniversum, in dem es sich zunächst praktisch, statt reflexiv oder theoretisch, aufhält und orientiert. Sartre fordert das Subjekt auf seine ontologische Nacktheit als Wüste der Freiheit zur Selbstbestimmung zu bejahen. Im Denken der Gegenwart insistiert Agamben auf der Inhaltsleere des Subjekts als l’uomo senza contenuto. Für den Menschen gilt, was für den Künstler gilt, insofern das Subjekt autopoietisches Subjekt ist, Subjekt der Selbsterfindung und autoerectio in der Wüste seiner Nichtsubstanzialität und ontologischen Indefinitheit: “er findet sich in der paradoxen Situation sein Wesen genau im Nicht-Wesenhaften (non-essentiel) finden zu müssen, seinen Inhalt in der bloßen Form.” Das ist die ontologische Situation des Subjekts heute und immer schon: Sich selbst eine Form und eine Bestimmung geben zu müssen (seine Subjektivität), weil es Subjekt ohne Subjektivität ist, Subjekt der Freiheit: ohne Bestimmung, ohne Gesicht, ohne Identität, ohne Namen, inhaltslos, nackt.