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MARCUS STEINWEG
 

WARUM MARGUERITE DURAS? (2006)

Marguerite Duras (1914 - 1996)
Warum Marguerite Duras?

1. Weil Duras in allen Momenten ihres Schreibens um den Ursprung des Ursprungs kreist.

2. Weil dieses Kreisen heisst, sich auf eine unbezügliche Leere zu beziehen.

3. Weil das Kreisen um den leeren Ursprung Berührung der Wahrheit ist.

4. Weil eine Wahrheit berühren bedeutet, sich auf die Namenlosigkeit seiner Herkunft zu beziehen.

5. Weil der kreisende Bezug auf die Namenlosigkeit die poetische Form mit der philosophischen Form verbindet.

6. Weil diese Form die Intimität mit dem Unheimlichen ist.

7. Weil Duras weiss, dass es Intimität nur mit der Unberührbarkeit des Aussen (des Nicht-Innen und Nichtwissens) gibt.

8. Weil wahres Wissen Wissen des Nicht-Wissbaren ist.

9. Weil es im Denken und im Schreiben von Duras die Vorstellung des Wahrheitswissens gibt.

10. Weil Wahrheitswissen die Berührung der Grenze des Wissens meint.

11. Weil die Grenze des Wissens zu berühren die einzige Herausforderung, Notwendigkeit und Berechtigung und das einzige Glück von Literatur und Philosophie sein kann.

12. Weil, was Duras Schreiben nennt, écrire, die Insistenz auf dem Notwendigsten – der Unabwendbarkeit selbst – ist.

13. Weil Duras weiss, dass das Wahrheitswissen die Löschung, die Minderung, die Einschränkung, die Neutralisierung und die Zerstörung des Tatsachenwissens einschliesst.

14. Weil alle “journalistischen” Interventionen Duras‘ die Imperialität, die Autorität, die Legitimität, die Plausibilität und Persuasivität der Tatsachendiktate suspendieren.

15. Weil die Suspension der Tatsachendiktatur von Duras als Notwendigkeit und Anfangsmoment und Evidenz und Intensität der Schreibbewegung bejaht wird.

16. Weil das Schreiben, das Abenteuer, das Wagnis, die Rückhaltlosigkeit, der Wahnsinn, das Leben von Duras sich der Paradoxie, der Widersprüchlichkeit und Konfliktuösität der Formulierung des Unformulierbaren verschreibt.

17. Weil Duras ihr volles Nichtwissen in den Dienst des Wahrheitswissens stellt.

18. Weil das Wissen, das sich der Wahrheit opfert, zuletzt als Wissen in das Wahrheitswissen einzugehen beginnt.

19. Weil dieses Wissen Öffnung auf Verschliessung ist, Geöffnetsein des Subjekts auf den äussersten Limes seiner Subjektivität.

20. Weil sich Duras der Mut der Öffnung auf Verschliessung als Lebensnotwendigkeit gezeigt hat.

21. Weil dieser Mut, dieser Übermut, diese Blindheit und Überstürzung und Hingerissenheit sich als exakte Sprache, als mathematischer Wirbel artikuliert.

22. Weil der Wille zur Exaktheit im Schreiben von Duras vom hyperbolischen Übermut unlösbar scheint.

23. Weil Schreiben die Erfahrung der strittigen Kompossibilität von Wissen und Wahrheit ist.

24. Weil also Duras einen eigenen Begriff des absoluten Wissens installiert.